Chamer Zeitung

"Vollmau ist der neue Drogen-Schwerpunkt"


aus Böhmen. Sisyphusarbeit gegen die Drogensucht: 20 "Schleierfahnder" der Polizei-Inspektion Furth im Wald kämpfen gegen eine steigende Rauschgiftflut

aus Böhmen. Sisyphusarbeit gegen die Drogensucht: 20 "Schleierfahnder" der Polizei-Inspektion Furth im Wald kämpfen gegen eine steigende Rauschgiftflut

Von Redaktion idowa

Von Thomas Linsmeier


Furth im Wald. Donnerstagabend, kurz nach 17 Uhr: Eine 24-Jährige aus dem Raum Regensburg gerät in eine Kontrolle der "Schleierfahnder". Am Ende entdecken die Beamten in ihrer Scheide 60 Gramm Marihuana. Szenenwechsel: Eine Familie aus dem Landkreis wird nach einem Einkaufsbummel in Tschechien von den Fahndern der Polizei-Inspektion Furth im Wald unter die Lupe genommen. Geschockt muss die Mutter zusehen, wie die Beamten aus der Hosentasche ihres Jungen ein Päckchen Crystal-Speed herausfischen. ­ Zwei Fälle von vielen. Und die Tendenz ist weiter steigend, wie Manfred Brückl im Gespräch mit der Chamer Zeitung betont. Der Polizeirat: "Vollmau ist der neue Drogen-Schwerpunkt an der bayerisch-böhmischen Grenze."

Gemeint sind die Vietnamesenmärkte nur einen Steinwurf hinter der Landesgrenze. Sie sind längst nicht mehr nur ein Geheimtipp für CD- oder DVD-Raubkopien oder Markenplagiate, sondern zunehmend auch für Drogenkonsumenten ­ und Dealer. Doch das Schlimmste: Die Vietnamesen gehen gezielt an Kinder und Jugendliche heran, sprechen sie an, bieten ihnen
Drogenkostproben an. "Anfüttern" nennt dies Manfred Brückl. Das Ziel ist klar: Es sollen neue Kunden geworben werden. Und dabei geht es längst nicht mehr "nur" um Gras, wie Marihuana umgangssprachlich heißt. Oft werden Jugendlichen Drogen wie "Crystal Speed" durch Gratisproben schmackhaft gemacht. "Auch Kindern unter 14 Jahren", betont Christian Pongratz, einer der Fahnder. Das Fatale daran: Gerade dieses chemische Rauschgift treibt in die Abhängigkeit. Bereits nach dem ersten Konsum sind Auswirkungen auf das Gehirn feststellbar. Wird von Seiten der Eltern die Gefahr nicht erkannt, setzt ein unaufhaltsamer Prozess ein. Der Grund liegt an der Qualität des Rauschgifts.

"Der Wirkstoff ist längst nicht mehr der gleiche, wie ihn mancher aus der Hippie-Zeit kennen mag", warnt Brückl von dem oft verharmlosten Marihuana-Konsum. Auf Grund der Gen-Technik ist der THC-Gehalt prozentual deutlich gestiegen. Und das wiederum bedeutet eine erhöhte Suchtgefahr. Für die organisierte vietnamesische Mafia-Struktur in Tschechien handelt es sich hierbei um ein sehr lukratives Geschäft, das weit mehr Geld abwirft als der Verkauf von gefälschten CDs oder Textilien. "Damit machen sie in einem Monat soviel wie sonst mit den Plagiaten das ganze Jahr", weiß Brückl.

Aus diesem Grund werden die Drogen mittlerweile im Nachbarland im großen Stil hergestellt. Vorbei sind die Zeiten kleiner Gärten, in denen Hanf wächst. Heute sind es alte Flugzeug-Hangars oder Fabrik-Hallen, in denen Cannabis angepflanzt, geerntet und getrocknet wird. In schmuddeligen Chemie-Labors wird dagegen massenweise "Crystal Speed" hergestellt. Das schlägt sich im Preis nieder.

Billigpreise locken

Laut Pongratz erhalten Junkies in Cham das Gramm Marihuana für zwölf Euro. Auf den Vietnamesenmärkten dagegen für acht Euro. Je mehr gekauft wird, desto billiger wird es. Ab einem Kilo gibt¹s das Gramm schon für 2,80 Euro. "Das ist eine wahnsinnige Preisspanne." Das lockt nicht nur Konsumenten, sondern auch Dealer an. Brückls Fahnder stoppen zunehmend Drogenkuriere, deren Einzugsbereich immer größer wird. Waren es früher überwiegend Drogenkäufer aus dem Landkreis, kommen nun viele aus den Regionen Straubing, Regensburg und darüber hinaus. Auch werden die Verstecke immer raffinierter. Wurden vor Jahren die Drogenpäckchen lediglich in die Hosentaschen gesteckt, findet man sie heute zunehmend in Körperöffnungen sowie speziell präparierten Fahrzeug-Hohlräumen.

Bei Brückl, Pongratz und ihren Kollegen schrillen die Alarmglocken. Denn mittlerweile gibt es in Orten wie Vollmau von Marihuana bis Heroin und Kokain alles, auch in beliebig großen Mengen. Die tschechische Polizei kennt die Problematik, doch die rechtliche Vorgehensweise ist schwierig. "Zudem können die vietnamesischen Mafia-Strukturen nur schwer infiltriert werden."

Aufgriffszahlen explodieren

Auf deutscher Seite wird es ebenfalls immer schwieriger, diese Flut in Griff zu bekommen. Das beweisen die Zahlen der Further: Im Vorjahr wurden 45 Drogendelikte bei 27 Schmugglern von den Fahndern aufgedeckt, in den ersten sechs Monaten 2011 sind es bereits 168 bei 79 Dealern. Das entspricht einer Steigerung von 200 Prozent! Für die Aufdeckung stehen nur 20 Schleierfahnder zur Verfügung. "Wir wären schon froh, wenn wir wieder unsere sechs Beamten, die an andere Dienststellen abgeordnet sind, zurückbekommen würden", meint der Polizeirat auf die Frage nach Verstärkung. Christian Pongratz, selbst Vater, betont, dass die hohen Aufgriffszahlen seine Kollegen zusätzlich motivieren: "Viele von uns haben Kinder. Und wir wissen, dass schon Mengen von zwei Gramm sehr gefährlich sind. Wir machen deshalb unsere Arbeit mit großer Überzeugung!"

Warnzeichen für Eltern
Die Schleierfahnder der Polizei-Inspektion Furth bilden die vorderste Front im Schutz der Jugend vor Rauschgift aus Tschechien. Doch auch die Eltern selbst können agieren, indem sie auf bestimmte Anzeichen achten. Das beginnt bereits beim Einkauf auf den Vietnamesenmärkten. "Während die Mutter Textilien begutachtet, kauft der Junge CDs. Und dabei bekommt er vom Händler kostenlos ein Päckchen Rauschgift zugesteckt", weiß Fahnder Christian Pongratz.

Doch auch zu Hause gebe es deutliche Anzeichen, dass der Nachwuchs Drogen konsumiere. Gerade bei "Crystal Speed" sei der Verfall des Körpers sehr deutlich. "Von der Suchtgefahr ist das mit Heroin gleichzusetzen." Es komme zu einer massiven Verhaltensveränderung. Die Jugendlichen schlafen kaum mehr, die Haut verschlechtert sich deutlich, "weitaus mehr als die üblichen Pickel bei Pubertierenden".

Die Heranwachsenden verschließen sich den Eltern, die schulischen Leistungen sacken schnell dramatisch ab. Weitere Indikatoren: ein Päckchen Backpulver oder größeres Zigarettenpapier, so genannte "Long Papers", in der Schultasche. Ersteres wird für Heroinkonsum verwendet, das andere für das Drehen von "Joints".

Die Gefahr, dass Jugendliche im Landkreis Cham irgendwann mit Drogen in Berührung kommen, ist laut Polizei "sehr hoch". Es wird von 90 Prozent ausgegangen. Dies spiegelt sich auch in der Aufgriffsstatistik wider: Den Schwerpunkt der Täter bilden junge Erwachsene im Alter von 21 bis 24 Jahren. Besonders dramatisch ist aber, dass auch die Gruppe der 14- bis 17-Jährigen zunehmend in Böhmen Drogen kauft. Sprunghaft steigt auch die Zahl junger Autofahrer, die unter Drogeneinfluss am Steuer sitzen. Wurden durch die Further Polizisten 2008 noch 74 gestoppt, sind es derzeit bereits 116. Christian Pongratz betont, dass hier die Polizei wirklich als Freund und vor allem Helfer betrachtet werden soll. Gerne gebe man den Eltern Hilfestellung, wie sie das Problem in den Griff bekommen können, wenn ihr Kind mit Drogen in Berührung kam. Auch der Kontakt zu Suchtberatungsstellen wie das Landratsamt werde hergestellt. Denn: Je früher die Problematik erkannt wird, desto eher und effektiver kann sie behoben werden.

Ebenso wichtig erachtet Pongratz aber auch, dass die Polizei ein Feedback von Schulen oder aus Freundeskreisen erhält. "Uns geht es nicht in erster Linie um den einzelnen Konsumenten, sondern um die Hintermänner", betont der Schleierfahnder. Eben um die Männer, die mit der Zerstörung der Gesundheit junger Menschen viel Geld verdienen.

Jüngster Fund: 60 Gramm Marihuana, verpackt in Kondomen, wollte am Donnerstagabend eine 24-Jährige in ihrer Scheide nach Deutschland schmuggeln. Solche Verstecke sind selbst an der Further Grenze kein Einzelfall mehr.

Jüngster Fund: 60 Gramm Marihuana, verpackt in Kondomen, wollte am Donnerstagabend eine 24-Jährige in ihrer Scheide nach Deutschland schmuggeln. Solche Verstecke sind selbst an der Further Grenze kein Einzelfall mehr.