Leitartikel: Horst Seehofers Finale

Suche nach der Zukunftsvision: Was hat die CSU außer weiß-blauem "Mia san mia" noch zu bieten?


Bekannt für überraschende Entscheidungen: Ministerpräsident Horst Seehofer. (Foto: dpa)

Bekannt für überraschende Entscheidungen: Ministerpräsident Horst Seehofer. (Foto: dpa)

Von Dr. Gerald Schneider

Geht er oder bleibt er? Hält er durch bis 2018 oder tritt er vorzeitig ab? Angebliche gesundheitliche Probleme von CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer haben zuletzt die Spekulationen wieder ins Kraut schießen lassen.

Immer wieder hat er betont, er werde sich beim Parteitag im November erneut zum Parteichef wählen lassen und wolle sein Amt als Regierungschef voll erfüllen ... wenn, ja wenn es seine Gesundheit erlaubt.

Besonders viel Spaß dürfte Seehofer das Regieren zuletzt nicht gemacht haben. Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld gekippt, die EU hat erhebliche Zweifel an der geplanten Pkw-Maut. Zwei Prestigeprojekte der bayerischsten aller bayerischen Parteien hängen fest oder sind doch irgendwie gescheitert. Bei den Stromtrassen, die Seehofer eigentlich weitestgehend verhindern wollte, hat er Verbesserungen erreicht, verhindert hat er sie nicht. Und die eigentliche Auseinandersetzung mit den Bürgern, mit denen er sich in der Koalition wähnt, steht erst noch an.

Zieht er also die Gesundheitskarte und wirft hin? Setzt er der nervigen Nachfolgedebatte ein Ende? Bis zum Wahlparteitag im November ist - abzüglich der Sommerpause - nicht mehr allzu viel Zeit. Zeit, die notwendig wäre, um anstehende (Personal-)Entscheidungen in die Wege zu leiten. Klar, seit einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung achtet Seehofer sehr auf seine Gesundheit. Ignorieren gilt seither nicht mehr. Gerne erinnert er in Reden daran: "Ein gesunder Mensch hat viele Wünsche, ein kranker Mensch nur einen." Doch so viel Bescheidenheit?

Die Pleiten auf Bundesebene haben aber offenbar gesessen. Offiziell verbeißen sich viele CSU-Granden ihren Ärger über die Karlsruher Abfuhr beim Betreuungsgeld. Als - mit Verlaub - "richtig Scheiße" bezeichnet so mancher das Votum der obersten Richter, der dann doch lieber hinterherschickt: "Des schreiben S' fei jetzt ned!" Denn die zwei wichtigsten Anliegen der CSU, mit denen die Partei immerhin zwei Wahlen gewonnen hat, sind jetzt erst mal gestoppt und werden so wie vorgesehen wohl nicht umgesetzt werden, wenngleich es in Bayern ein Landesbetreuungsgeld geben soll und irgendeine Beteiligung ausländischer Autofahrer an den Kosten deutscher Straßeninfrastruktur kommen mag - irgendwie und irgendwann.

Und das Zeichen ist verheerend: Ankündigen kann die CSU viel, womöglich sogar die Koalitionspartner so lange nerven und erpressen, bis diese Ja sagen. Doch an der Umsetzung hapert es.

Und wie war das mit den Stromtrassen?

Zwei minus x galt als Losung. Nun ist es nicht weiter ungewöhnlich, mit Maximalforderungen in Verhandlungen zu gehen, um dann wenigstens Verbesserungen herauszuschinden. "Monstertrassen" sind auch angeblich verhindert. Aber erledigt ist der Fall Stromleitungen noch längst nicht. Spätestens wenn's ans Bezahlen geht, werden wohl so manchem die Augen übergehen. Und irgendwer wird unter den dennoch nötigen Leitungen und den Arbeiten für die Erdverkabelung zu leiden haben. Problem erkannt, Problem gelöst? Mitnichten! Mit welcher Bevölkerung Seehofer seine Koalition geschlossen hat, muss er noch zeigen.

Was also bleibt?

Sind Betreuungsgeld und Pkw-Maut die Projekte, die als Zukunftsvision für Bayern herhalten sollen? Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter fällt dazu in einem Interview ein hartes Urteil: "Nach (Edmund) Stoiber erlebt man eine CSU-Führung, die anders als in den Jahrzehnten zuvor keine weitreichenden oder umgestaltenden Konzeptionen hat, sondern die im Wesentlichen die positive Position Bayerns bewahren will und das bayerische Lebensgefühl in den Vordergrund stellt. Tief greifende zukunftsorientierte Perspektiven werden nicht entwickelt, es sei denn, man ist mit Bekenntnissen zur Digitalisierung, mit familienpolitischen oder Akzenten in der Flüchtlingspolitik zufrieden. Aber das sind eigentlich Detailfragen."

Hat die CSU außer weiß-blauem "Mia san Mia" und einigen Detailfragen nichts mehr aufzubieten, was Gestaltungswillen für die Zukunft erkennen lässt?

Man mag durchaus sagen, die Digitalisierung sei mehr als nur eine Detailfrage. Doch auf der anderen Seite führt daran eigentlich kein Weg vorbei, wenn man die Zeichen der Zeit richtig deutet. Wenn Oberreuters Analyse stimmt, würde dies bedeuten, Bayern und die CSU zehren nur noch von der Substanz eines Landes, das - sicherlich auch unter Beteiligung der Christsozialen - den Weg an die Spitze der deutschen Länder geschafft hat. Zudem, so analysiert Oberreuter weiter, hat sich Seehofer zu sehr an die über-populäre Bundeskanzlerin gekettet. Dadurch sollte etwas vom Glanze Angela Merkels auch auf die bayerische Schwesterpartei ausstrahlen.

Doch eigene politische Akzente in Berlin? Fehlanzeige.
Das was Finanzminister Wolfgang Schäuble derzeit vormacht, mit seinen betonten Gegenkonzepten zur Griechenlandpolitik der Kanzlerin, wäre auch einer CSU gut zu Gesicht gestanden. Doch nach der Abfuhr beim Betreuungsgeld dürfte die Kompromissbereitschaft von CDU und SPD gegenüber der CSU eher noch geschrumpft sein, auch wenn Seehofer im Hintergrund und Miteinander der Parteichefs durchaus eine starke Rolle spielt, die nur eben viel zu selten sichtbar wird. Dass von alledem die Opposition in Bayern nicht im Geringsten zu profitieren vermag, ist da aus CSU-Sicht nur ein schwacher Trost. Christsozialer Machtanspruch speist sich nicht aus der Schwäche der anderen.

Sollte Seehofer dies ebenfalls insgeheim so sehen - wovon aber kaum auszugehen sein dürfte -, wäre ein Rückzug aus gesundheitlichen Gründen eine elegante Lösung. Sollen doch die Ehrgeizlinge in der zweiten Reihe zeigen, was sie können. Und sollen sie doch sagen, welche Vision für ein Bayern 2050 sie denn auf der Pfanne haben, oder ob sie mit eigenen bundespolitischen Vorstellungen Merkel in die Bredouille zu bringen vermögen - zum Nutzen der eigenen Sache. Zeit genug bliebe noch vor den Bundestags- und Landtagswahlen in den Jahren 2017 und 2018, um etwaige neue Konzepte dem Wahlvolk einzutrichtern.

Und dann bleibt ja noch das Thema Flüchtlinge, das derzeit alles andere überdeckt. Sollte die CSU hierzu wirklich gangbare Lösungen liefern, die zu einer Entspannung der Lage in den Kommunen führen und womöglich auch das massenhafte Sterben im Mittelmeer beenden, wäre der Weg zu neuen Erfolgen wohl offen.

Aber ohne eine solche schlüssige Zukunftsvision und ohne wirkliche politische Umsetzungskraft wird es eng werden. Auch wenn der Breitbandausbau derzeit ganz gut voranschreitet, ist ein großes Ziel nicht auszumachen. Ohne ein solches Ziel dürfte die CSU mit ihrem Heilsbringer Seehofer wohl schon bald die Geduld verlieren. Auch in Berlin steht kaum noch was auf der Checkliste der Landesgruppe. Von anderen verlangt Seehofer gerne, sie sollten liefern. Jetzt ist er dran.