AZ-Interview

Habeck-Rückzug: Warum Social Media für Politiker gefährlich sein kann


Ein 20-jähriger Hacker hat zuletzt sensible Daten von knapp 1.000 Politikern und Journalisten geklaut und via Twitter veröffentlicht.

Ein 20-jähriger Hacker hat zuletzt sensible Daten von knapp 1.000 Politikern und Journalisten geklaut und via Twitter veröffentlicht.

Von Bernhard Lackner

Die Münchner Expertin für Digitalisierung über die Probleme des Grünen-Chefs Robert Habeck mit Twitter - und warum Soziale Medien für Politiker gefährlich sein können.

Jasmin Siri (39) unterrichtet an der LMU München. Die 39-Jährige beschäftigt sich insbesondere mit den Folgen der Digitalisierung für Politik und Gesellschaft.

AZ: Frau Siri, derzeit sorgen Fußball-Star Franck Ribéry und Grünen-Politiker Robert Habeck mit zweifelhaften Beiträgen in Sozialen Medien für Schlagzeilen. Beide müssten im Umgang mit Twitter, Facebook und Instagram doch eigentlich Profis sein, oder?
JASMIN SIRI: Als Spieler hat sich Ribéry mitunter auch auf dem Platz deutlich daneben benommen. Da sollte es nicht wirklich verwundern, wenn er auch im Internet mit seinen Beleidigungen über die Stränge schlägt. Obwohl er als vier- und bald fünffacher Vater - und natürlich als prominenter Sportler - ein Vorbild sein sollte.

Ist es bezeichnend, dass Ribéry das umstrittene Goldsteak-Foto im Urlaub veröffentlicht hat, also zu einem Zeitpunkt, an dem kein Berater ein Auge auf seine Social-Media-Aktivitäten werfen konnte?
Das kann gut sein. Wenn wir in unserer Freizeit sind, haben wir unsere Sensoren nicht so an. Es gibt ja auch viele Journalisten oder Wissenschaftler, die sich nachts auf Twitter dezidiert politisch äußern, obwohl sie von Berufs wegen eigentlich strikt neutral sein müssten. Die scheinbare Sicherheit der Privatsphäre verführt dazu, die Öffentlichkeit von Äußerungen zu vergessen.

Siri: "Twitter ist ein gefährliches Medium für Politiker"

Und wie ist es mit Habeck?
Dem könnte man - wie vielen von uns - eine gewisse Blauäugigkeit vorwerfen, sowohl, was den Umgang mit seinen privaten Daten angeht, als auch seinen umstrittenen Beitrag über Thüringen und die dort fehlende Demokratie. Viele Menschen, darunter auch Spitzenpolitiker, sind im Umgang mit ihren Daten unvorsichtig oder machen sich keine Gedanken darüber, wer alles einen Beitrag lesen kann und wundern sich dann, wenn sie gehackt oder kritisiert werden.

Habeck hat nach seinem umstrittenen Twitter-Beitrag - es war schon sein zweiter - seinen Account gelöscht und sich endgültig von dem Kurznachrichtendienst verabschiedet.
Twitter ist ein gefährliches Medium für Politiker. Einerseits stellt es eine narzisstische und publizistische Chance dar - es gibt dort ein schier unendliches Publikum und man kann seine Fans um sich scharen und Journalisten auf sich aufmerksam machen. Andererseits finden sich dort eben auch unendlich viele Leute, die einen doof finden und das einem auch mitteilen. Der Rückzug Habecks zeugt von einer für einen Spitzenpolitiker erstaunlichen Sensibilität, die dann selbst wieder Thema in den Sozialen Medien werden kann. Was wir an diesem Beispiel auch sehen können ist eine starke Personalisierung der Politik, zum Beispiel, wenn Habeck schreibt, er habe in der Nacht vor dem Rückzug schlecht geschlafen. Man kann sich ja fragen: Warum erzählt er überhaupt von seinen Schlafproblemen? Wen soll das interessieren?

Könnte Habecks Fauxpas auch damit zu tun haben, dass er als Schriftsteller mit der Kürze der Beiträge von 280 Anschlägen ein Problem hat?
Grundsätzlich ist es eine Herausforderung, die Logik eines Sozialen Mediums zu verstehen, und die Kürze Twitters ist eine solche. Viele Politiker haben es nicht im Blick, wie herausfordernd die Nutzung Sozialer Medien ist, es sei denn, es handelt sich um Netzpolitiker. Eine Ausnahme von der Regel ist zum Beispiel der heutige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der Twitter schon sehr früh und sehr professionell für politische Statements genutzt hat.

Ist es nicht ebenfalls problematisch, dass Politiker gar nicht wissen, wer ihre Beiträge überhaupt konsumiert?
Ja, auch das. Bei Twitter haben sie ein maximal großes Publikum. Da weiß niemand, ob gerade ein Neonazi, ein IS-Sympathisant oder der Nachbar mitliest. Und entsprechend divers kann auch das Feedback auf einen Tweet ausfallen. Oft wird davon gesprochen, dass sich im Internet Blasen von Gleichgesinnten treffen. Aber vielleicht ist es auch anders herum. Im Alltag sind wir oft mit Leuten mit ähnlicher Haltung zusammen und sehen dann im Netz, was es sonst noch so gibt. Das kann erschrecken.

Hass gab es immer - Social Media macht ihn sichtbar

Den Umgang mit Twitter erschwert die Tatsache, dass das Medium jeden Nutzer quasi omnipräsent macht?
Genau. Manche Politiker zeigen dort sehr viel von sich und das bedeutet, dass die politische Performance nicht mehr gut kontrollierbar ist. Denkt man beispielsweise an das berühmte Kniefall-Foto von Willy Brandt 1970 in Warschau - das hat auch deshalb so gut funktioniert, weil diese Generation von Politikern sich in der Öffentlichkeit rar gemacht hat.

Ribéry und Habeck haben mit ihren Beiträgen einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Woher kommt der beinahe grenzenlose Hass im Netz? Ist das ein neues Phänomen?
Das würde ich nicht sagen. Hass gab es immer. Aber wir alle haben es vielleicht nicht so deutlich mitbekommen. Viele Feministinnen und Politikerinnen der 1960er bis 1980er Jahre haben Hassbriefe erhalten, eben weil sie Frauen waren oder Frauenthemen behandelten. Gut, die kamen damals noch auf Papier und vermutlich wurde es in der Öffentlichkeit nicht so für alle sichtbar. Aber Hass war genug da.

Gibt es bestimmte Personengruppen, die besonders viel Hass im Netz hervorrufen?
Je mehr man sich im Netz sichtbar macht, umso wahrscheinlicher werden auch Reaktionen. Wenn ich dann besonders stark moralisch argumentiere oder mich einer politischen Richtung besonders zurechne, steigt zudem die Wahrscheinlichkeit der Einbindung in politischen Konflikten. Die Grünen zum Beispiel polarisieren generell stark - so gibt es eine starke Fanbase, sie sind gleichzeitig aber auch der "Lieblingsfeind" aller, die sich als rechts oder politisch inkorrekt begreifen. Im Fall von Robert Habeck kommt hinzu, dass er sich sehr responsiv verhalten hat und man ihm anmerkte, dass ihm das negative Feedback etwas ausmacht. Das kann auf Twitter gewissermaßen als eine Einladung an politische Gegner und Trolle gelesen werden.