Rätselheft zur Tablette

Expertentipps zum Mysterium Medikamenten-Beipackzettel


Für die meisten Menschen ist der Beipackzettel bei Medikamenten ein Buch mit sieben Siegeln.

Für die meisten Menschen ist der Beipackzettel bei Medikamenten ein Buch mit sieben Siegeln.

Von André Wagner

"Selten: Herzinfarkt". Bei Kopfschmerztabletten? Soll ich die dann überhaupt nehmen? Beipackzettel sollen dem Patienten helfen - und verunsichern oder überfordern oft eher. Welche Tipps Experten geben.

München - Lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker." Diesen Ratschlag hat man im Leben vermutlich genauso oft gehört wie ignoriert. Denn das Gespräch mit Arzt oder Apotheker mag noch hilfreich sein. Der Beipackzettel vieler Medikamente jedoch ist oft eher Rätselheft als leichte Lektüre.

Was schade ist, schließlich beantwortet der Zettel viele wichtige Fragen: Wer darf das Medikament nehmen, wann und wie oft? Welche Nebenwirkungen können auftreten? Viele dieser Infos schaffen es einfach nicht zum Empfänger, sagt Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg. "Ich vermute mal, dass neun von zehn Patienten den Beipackzettel nicht lesen."

Kleine Schrift, Bandwurmsätze, Fachausdrücke: "Die Beipackzettel in ihrer heutigen Form überfordern die Patienten oftmals", sagt Ingrid Dänschel aus dem Vorstand des Deutschen Hausärzteverbands. Grund dafür sei der Versuch der Hersteller, sich juristisch abzusichern.

"Das ist ein Kampf, den Hersteller und Behörden seit Jahrzehnten führen"

Tatsächlich gibt es zahlreiche Vorschriften, an die sich Pharmafirmen halten müssen. "Es ist gesetzlich festgelegt, was in den Beipackzetteln drinstehen muss", erklärt Rose Schraitle vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Auch die Reihenfolge der Informationen sei vorgeschrieben. "Und es muss verständlich sein", sagt Schraitle. "Das ist aber ein Kampf um laienverständliche und trotzdem richtige Formulierungen, den Hersteller und Behörden schon seit Jahrzehnten führen."

Ingrid Dänschel sieht die Hersteller in der Pflicht - und fordert einen Kompromiss zwischen Patientenfreundlichkeit und juristischer Absicherung: "Am besten wäre es, wenn der Zettel zumindest teilweise in einer einfacheren Sprache geschrieben und nicht mehr so kleingedruckt wäre."

Bis es so weit ist, sollten Verbraucher und Patienten zumindest einen Teil der Infos beachten, sagt Apotheker Siemsen. Auch wenn es schwerfällt. "Wichtig auf dem Beipackzettel sind einmal die Kontraindikation, also wann ich ein Medikament nicht nehmen darf."

Dazu kommt natürlich die genaue Anleitung zur Einnahme. "Auf nüchternen Magen" etwa heißt, dass Patienten vier Stunden nichts gegessen und nur Wasser getrunken haben sollten, wie der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) erklärt. Und "mit viel Flüssigkeit zu sich nehmen" bezieht sich ausdrücklich auf kaltes oder lauwarmes Wasser, nicht auf heiße oder koffeinhaltige Getränke.

Bei den Einnahmehinweisen steht auch, in welchem Rhythmus Patienten wie viel von einem Medikament nehmen sollen. Bei Antibiotika zum Beispiel sind diese Hinweise entscheidend: "Wenn da drei Mal am Tag alle acht Stunden steht, sollte ich das auch so nehmen", sagt Siemsen. 30 Minuten mehr oder weniger dürften es zwar auch mal sein, aber keine viel größeren Abweichungen. "Und vergessene Medikamente sollte man auch nicht einfach nachnehmen."

"Sehr selten" bedeutet einer von 10.000

Bei den Nebenwirkungen sind die Hersteller verpflichtet, alle je beobachteten Nebenwirkungen eines Medikaments aufzuführen, sagt BAH-Expertin Schraitle. "Auch wenn nur vermutet wird, dass sie auf das Arzneimittel zurückzuführen sind. Das liest sich im Ergebnis natürlich manchmal dramatisch." Experte Siemsen empfiehlt, sich die Wahrscheinlichkeit einer Nebenwirkung bewusst zu machen - auch die steht ja im Beipackzettel. "Sehr häufig" zum Beispiel heißt übersetzt, dass die Nebenwirkung bei einem von zehn Behandelten aufgetreten sind. Steht dort "sehr selten", war es dagegen nur einer von 10.000.

Etwas kniffliger wird es bei den Wechselwirkungen. "Bei Medikamenten passiert es schnell, dass der Hausarzt was verordnet, dann der Facharzt, und die wissen nichts voneinander", sagt Siemsen. "Deshalb ist es schon wichtig, dass es den Hausarzt gibt, der den Überblick behält." Der muss auch die Medikamente kennen, die ein Patient auf eigene Faust kauft, sagt Hausärztin Dänschel. "Auch diese haben unter Umständen Neben- oder Wechselwirkungen - das Johanniskraut zum Beispiel." Gerade bei solchen pflanzlichen Mitteln dächten viele Patienten, dass es keine Wechselwirkungen gebe - das Gegenteil ist der Fall. "Auch ein noch so guter Beipackzettel hebt den Beratungsbedarf nicht auf."

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