Interview

Aiwanger verurteilt die deutsche Flüchtlingspolitik


Der Landesvorsitzende der Freien Wähler (FW), Hubert Aiwanger (r), am 02.02.2016 im Landtag in München (Bayern) während der Plenarsitzung.

Der Landesvorsitzende der Freien Wähler (FW), Hubert Aiwanger (r), am 02.02.2016 im Landtag in München (Bayern) während der Plenarsitzung.

Von Monika Müller

Derzeit sammelt er Unterschriften gegen geplante Freihandelsabkommen. Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, fürchtet, Europa könnte von der amerikanischen Übermacht überrollt werden. Im Redaktionsgespräch mit unserer Zeitung erklärt er, was er gegen das TTIP-Abkommen hat. In der Flüchtlingspolitik fordert er von der CSU, den vielen Ankündigungen nun auch Taten folgen zu lassen. Für die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Aiwanger kein Verständnis.

Herr Aiwanger, Sie sammeln Unterschriften gegen die geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP). Was haben Sie dagegen, dass sich die größten Wirtschaftsräume zusammentun und hohe Standards für den Welthandel setzen?

Aiwanger: Das Problem ist, dass diese Handelsabkommen zu umfassend sind. Man hätte sich auf kleinere Segmente, beispielsweise auf den Industrieexport, konzentrieren müssen. Aber alles zu liberalisieren, von der Arzneimittelzulassung über Trinkwasser und Hormonfleisch bis hin zum Ausschreibungswesen oder Berufsabschlüssen, das geht viel zu weit. Hinzu kommen ja noch die Investitionsgerichtshöfe. Man wirft hier zu viel Bewährtes über den Haufen.

Die Europäer müssen sich ja nicht auf alles einlassen. Soll die EU darauf warten, dass die USA zusammen mit China die Standards definieren?

Aiwanger: Ich glaube, dass das Argument, wonach Größe an Märkten eine Garantie für Wohlstand ist, ins Leere geht. Es gibt kleine Länder wie die Schweiz, die ihre eigenen Standards setzen und gut damit fahren. Und leider sieht es so aus, als würde sich Europa bei den Verhandlungen auf alles einlassen. Die EU verhandelt zu schludrig. Wir müssen die Bevölkerung auf die Barrikaden bringen und verdeutlichen, worum es hier geht.

Wie kommen Sie darauf, dass die USA in allen Belangen niedrigere Standards haben als die Europäer?

Aiwanger: In gewissen Bereichen sind deren Standards sogar höher. Aber da, wo es drauf ankommt, sieht es anders aus. In den USA sind Wachstumshormone und Gentechnik erlaubt, Glyphosat wird standardmäßig angewandt. Viele Amerikaner haben bis heute keine Krankenversicherung, das ist ein Standard wie bei uns vor 150 Jahren. Mit diesen Standards will ich nicht konkurrieren.

Dann also lieber gar kein Abkommen?

Aiwanger: Genau. Lieber keines als dieses. Wünsche aus der Wirtschaft müssen wir gezielt abarbeiten. Großkonzerne brauchen das Abkommen ohnehin nicht. Nun heißt es aber, man tue das für den Mittelstand. Also US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel zerbrechen sich den Kopf über den niederbayerischen Mittelstand - das glaubt doch kein Mensch. Am Ende wird das ein Abkommen für die Eliten sein. Wir haben jetzt kein solches Abkommen, aber blühenden Handel mit Amerika. Standards können wir gerne weiterentwickeln. Da würde ich übrigens mal beim Datenschutz beginnen.

Sie kritisieren die Investitionsgerichtshöfe. Diese sind eine deutsche Erfindung und man ist gut damit gefahren.

"Die CSU ist eine Partei der leeren Versprechen geworden"

Aiwanger: Ja, aber das alles stammt aus einer Zeit, zu der man es mit Diktaturen und Regimes zu tun hatte, wo man nicht wusste, ob man am nächsten Tag enteignet wird. Keiner dieser Staaten hat eine Klageindustrie wie Amerika. Ich glaube, Ergebnis wäre, dass Anwaltskanzleien die gegnerische Seite belauern, wo sie ihnen einen Prozess ans Bein binden können. Hier lassen wir uns mit jemandem ein, der mit anderen Wassern gewaschen ist als andere Handelspartner.

Was soll jetzt eine Unterschriftensammlung in Bayern bringen?

Aiwanger: Es geht darum, die Bevölkerung aufzuklären und eine Volksbefragung zu machen. Die Staatsregierung wird ja im Bundesrat gefragt werden. Hier soll sie nicht die Hand heben, ohne zu wissen, wie die Bevölkerung denkt.

In der Flüchtlingskrise geben Sie der CSU erstaunlich häufig recht. Was könnte aus Ihrer Sicht noch besser laufen?

Aiwanger: Recht gebe ich der CSU vielleicht bei dem, was sie sagt, aber nicht bei dem, was sie tut. Die CSU ist eine Partei der leeren Versprechen geworden. Die Klage gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung liegt schon lange auf dem Tisch. Erst wollte man noch einen EU-Gipfel vor ein paar Wochen abwarten. Jetzt will man bis Sommer mal schauen - also nur Ankündigungen.

Was erwarten Sie hier aus Berlin?

Aiwanger: Die Bundesregierung müsste endlich sagen, wir wollen von den hohen Zuwandererzahlen runter. Wir sind nicht mehr bereit, Menschen aufzunehmen, die nicht unter das Asylrecht fallen. Das müsste auch Frau Merkel tun. Sie sollte auch die Länder loben, die die Balkanroute dicht machen. Aber Merkel tut das Gegenteil. Sie will die Route für Syrer offen halten. Da fragt man sich, welches Spiel spielt Frau Merkel. Denn auch anderswo herrscht Krieg. So lockt man weiter schlecht kontrollierte Menschen ins Land. Wenn man das Signal senden würde, wer keinen Anspruch hat, wird schnellstmöglich wieder heimgeschickt, würde man den Schleppern schnell das Handwerk legen. Aber Merkel sendet weiter das Signal "kommt alle". Das dürfte auch Seehofer nicht mehr mittragen, sondern müsste aus der Regierung raus.

"Bayern kann nicht nur drohen und dann doch alles mitmachen!"

Verstehen Sie nicht, dass die Regierungspartei CSU der Kanzlerin noch etwas Zeit geben will?

Aiwanger: Ich will, dass den Worten Taten folgen. Und wenn Grenzkontrollen durch die bayerische Polizei nicht möglich sind, soll man die Schleierfahndung im Hinterland ausbauen. Dann könnte man auch Druck auf den Bund aufbauen. Bayern kann nicht nur drohen und dann doch alles mitmachen. Denn Hauptfluchtursache ist inzwischen Merkel mit ihrer Äußerung: Wir machen die Grenze nicht dicht. Merkel sendet die falschen Signale, das kann Seehofer nicht länger dulden. Wie erklären Sie sich, dass die Freien Wähler seit der Landtagswahl bei den Umfragen so eingebüßt haben? Bei der Wahl hatten Sie neun Prozent, derzeit rangieren die Freien Wähler um die Fünf-Prozent-Hürde. Aiwanger: Wir werden bei der nächsten Landtagswahl wieder ein gutes Ergebnis einfahren, das werden Sie sehen. Mitte 2011 lagen wir um die vier Prozent, bei der Wahl erreichten wir aber neun Prozent. Dass wir in der Zwischenwahlzeit, wo nur Bundestagsparteien wahrgenommen werden, bei fünf Prozent liegen, ist gar nicht so schlecht. Wir sind immer stark geworden durch die Kandidaten in der Wahlkampfzeit.

Die Kommunalwahl in Hessen hat ein deutliches Signal gesetzt: Die AfD konnte auftrumpfen. Was schlagen Sie vor, um diese Partei nicht noch größer werden zu lassen?

Aiwanger: Die Probleme zu lösen, die diese Partei groß machen. Ein Großteil der Wähler der AfD speist sich aus Protestwählern gegen die Bundespolitik. Wenn Frau Merkel das Flüchtlingsthema abräumen würde, wäre der AfD-Spuk schnell vorüber. Ich glaube nicht, dass die Menschen hier wirklich bereit sind, Rechtsradikale zu wählen.

Nimmt Ihnen in Ihrer Rolle als Anwalt der kleinen Bürger nicht gerade die AfD die Butter vom Brot?

Aiwanger: Natürlich greifen die Wechselwähler ab und Leute, die gegen das Establishment stimmen wollen. Das ist schon auch Potenzial für die Freien Wähler. Trotzdem wird uns die Kernwählerschaft weiter wählen. Wir müssen mit der Lage klarkommen, unsere Themen spielen und glaubwürdig Politik machen. Solange die in Fernsehsendungen sitzen und Millionenspenden erhalten, tun sie sich auch leicht.

"Wir sind der Ideengeber der CSU"

Ist das eigentliche Problem nicht, dass die Freien Wähler, außer auf der kommunalen Ebene, niemand wirklich braucht?

Aiwanger: Das ist die Behauptung der CSU. Das Gegenteil ist richtig. Manfred Weber hat einmal gesagt, jetzt sind die Probleme gelöst, die die Freien Wähler angesprochen haben, jetzt braucht man sie nicht mehr. Horst Seehofer hat angekündigt, er wolle unsere Themen übernehmen, um uns damit überflüssig zu machen. Daran sieht man, dass wir der Ideengeber der CSU sind. Die schauen schon, welche Konzepte wir haben. Unser Thema war immer der ländliche Raum. Jetzt ist Markus Söder Heimatminister. Schnelles Internet, Abschaffung der Studiengebühren, Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 - all dies sind unsere Themen. Wir bringen die CSU also schon zu einem Kurswechsel. So gestalten wir bayerische Politik aus der Opposition mit. Wir sind das Ingenieurbüro, das die Themen vorgibt, und die CSU ist die Baufirma, die sie abarbeitet.

Nehmen wir an, Sie haben recht. Wären die Freien Wähler dann nicht der ideale Koalitionspartner für die CSU nach der nächsten Landtagswahl?

Aiwanger: Es wäre für Bayern auf alle Fälle besser, wenn die Freien Wähler mit am Kabinettstisch sitzen. Vieles ginge schneller und viele Fehler würden vermieden.

Dann wäre aber die Unterscheidbarkeit zwischen Ihrer Partei und der CSU bald völlig dahin.

Aiwanger: Glaube ich nicht, aber es ist ein bekanntes Phänomen, dass der kleine Koalitionspartner in Gefahr ist, erdrückt zu werden. Wir müssten da sehr gut aufpassen, nicht von der CSU aufgesaugt zu werden.

Anfang Februar wurden Sie mit nur 13 von 19 Stimmen als Fraktionschef wiedergewählt. Warum?

Aiwanger: Es waren eben welche dabei, die sich nicht hinreichend wertgeschätzt gefühlt haben. Wenn man durch schwierige politische Situationen durch muss, kommt das eben vor.

CSU-Chef Horst Seehofer will womöglich weitermachen. Schreckt Sie das?

Aiwanger: Das ist Sache der CSU. Mich interessiert das nicht mehr. Ich finde es eher peinlich, dass sich eine Partei in Alleinregierung ständig mit sich selbst beschäftigt. Wenn die so weitermachen, werden sich auch manche Wähler sagen, die kann man alleine nicht mehr regieren lassen. Ich glaube, dass Seehofer selbst nicht weiß, ob er weitermachen soll oder nicht.

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