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Werksschließungen machen auch die Chamer Siemensianer nervös


Fünf Prozent mehr Lohn will die Belegschaft des Chamer Siemens-Werks. 705 Mitarbeiter zählt der Standort derzeit. Sie sind verunsichert.

Fünf Prozent mehr Lohn will die Belegschaft des Chamer Siemens-Werks. 705 Mitarbeiter zählt der Standort derzeit. Sie sind verunsichert.

Zwei Stunden sind gestern bei Siemens in Cham alle Bänder stillgestanden. Die Beschäftigten wollen mehr Lohn. Fünf Prozent plus sollen es sein, ein Prozent bot der Arbeitgeberverband an. "Eine Provokation", schimpft Birgit Falk, Vertrauensperson der IG Metall im Chamer Betrieb.

Unterstützung bekommen die Siemensianer erstmals von den Beschäftigten von AZ Formenbau. Der Rundinger Formgusshersteller gehört seit kurzem zu Continental und hat mit der Gewerkschaft einen Haustarifvertrag abgeschlossen. Der Tarifabschluss, den die IG Metall nun aushandelt, wird für die Rundinger Belegschaft übernommen. "Wir hängen uns dran", begründet AZ-Betriebsratsvorsitzender Josef Amberger, warum er sich gestern mit dem roten Gewerkschaftsschal in die Schar der Protestierer einreihte.

Die Früh- und Normalschicht war nahezu komplett in den Ausstand getreten. "Nur einige Büromitarbeiter sind auf dem Gelände", stellte Franz Aschenbrenner, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens in Cham, nach einem Werksrundgang zufrieden fest. Dabei hatten viele Beschäftigte im Vorfeld durchaus ihre Zweifel, ob ein Streik in der derzeitigen Situation das richtige Mittel ist. Gerade der Blick nach Ruhstorf lässt die Mitarbeiter zittern: Dort schließt Siemens ein komplettes Werk. "Das verunsichert die Leute", hat Aschenbrenner festgestellt. Und die Siemensianer haben auch noch die Worte der Konzernleitung im Ohr, wonach dort produziert werden soll, wo auch die Absatzmärkte sind. "Aber 80 Prozent unserer Produkte gehen ins Ausland. Der Beschäftigungsanteil in Deutschland liegt noch bei 50 Prozent."

Wird der Streichkurs im Konzern also fortgesetzt? Einen kleinen Vorgeschmack auf den Abbau hat auch die Chamer Belegschaft jüngst erfahren: Eine Schalterproduktion lief aus, das Nachfolgeprodukt wird nun allerdings in Tschechien gefertigt. In der Folge verlieren sieben Mitarbeiter, die über Zeitarbeitsfirmen ins Haus kamen und befristete Arbeitsverträge hatten, ihren Job. Ihre Verträge laufen Ende Juni aus. "So etwas hatten wir bisher noch nie", bedauert Aschenbrenner. In den vergangenen sechs Jahren konnte jeder befristete Beschäftigte dauerhaft übernommen werden. Zeitarbeiter werkeln in den Chamer Hallen gar nicht mehr. Der Letzte geht im Mai, er hat eine andere Anstellung gefunden.

Aschenbrenner will nicht jammern. Aber: "Die Konjunktur ist derzeit nicht so, wie wir uns das wünschen", räumt er ein. Die Auslastung liege momentan knapp unter dem Vorjahresschnitt. "Da spielt vieles eine Rolle", weiß der Betriebsratsvorsitzende und nennt als Beispiel die Krise in der Türkei und das Embargo gegen Russland.

Dennoch verdient der Konzern nach wie vor gut, hält Gerhard Pirner, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Regensburg, den Verantwortlichen vor. "Ein Großteil des Profits wird als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet", ärgert sich Pirner. Fünf Prozent mehr Lohn seien eine "gerechte Forderung". Das Angebot von 0,9 Prozent von Arbeitgeberseite bringt Pirner in Rage. "Wir lassen uns doch nicht demütigen", poltert er und rechnet den Streikenden vor, was ihnen das Tarifplus bescheren würde. Die meisten Beschäftigten im Chamer Siemenswerk seien in den zweiten und dritten Lohngruppen eingestuft. 2 370 Euro bekommen sie für ihre Arbeit. "Bei einer Steigerung von 0,9 Prozent sind das 22,50 Euro brutto mehr im Monat. Die Einmalzahlung bringt Euch nochmal 7,50 Euro", listet er auf. "Soviel kostet schon die Zigarre, die sich die Herren bei ihren Sitzungen genehmigen", wettert der IG-Vertreter und bezeichnet das Angebot als "einzige Frechheit".

Sein Fazit: "Wer so etwas anbietet, der will den Konflikt!" Und den werden die Arbeitgeber nach Pirners Worten nun ernten. Am 12. Mai wird das nächste Angebot vorgelegt. Kommt dann "nichts Vertretbares, werden wir uns für die 24-Stunden-Streiks Betriebe heraussuchen, wo es richtig weh tut". An die Adresse von Siemens-Chef Joe Kaeser gerichtet, findet der Gewerkschaftler drastische Worte: "Kaeser hat versprochen, Ruhe in die Siemens-Familie zu bringen. Ich habe aber selten soviel Unruhe in einem Betrieb gesehen, wie derzeit bei Siemens." Zwar habe Kaeser mit den Gewerkschaften vereinbart, keine Mitarbeiter zu entlassen. Aber "dann werden die Werke eben verkauft. Ein menschenverachtendes Vorgehen".

Mit Vehemenz betont Pirner, dass Tarifauseinandersetzung und Stellenstreichungen "nichts miteinander zu tun haben". Den Versammelten verspricht er, sich für die Weiterbeschäftigung der sieben befristeten Mitarbeiter stark zu machen. "Sobald der Tarifvertrag geschlossen ist, werde ich einen Ergänzungstarifvertrag anbieten. Darin soll festgeschrieben werden, dass in Cham 705 Mitarbeiter unbefristet beschäftigt werden", betont Pirner. Als Gegenleistung will er sogar Einbußen bei den Tarifsteigerungen der übrigen Beschäftigten anbieten. Den Vorschlag quittieren die Streikenden mit Applaus.

Danach verabschieden sich die Siemensianer ins Wochenende. Die Spätschicht rückt um 14.30 Uhr an und fährt die Maschinen wieder hoch. Bis zum nächsten Mal...