Cham

Ein Landkreis rüstet auf: Zahl der "kleinen Waffenscheine" steigt


Seit der Kölner Silvesternacht ist Pfefferspray ein Verkaufsschlager.

Seit der Kölner Silvesternacht ist Pfefferspray ein Verkaufsschlager.

Die Bürger rüsten auf. Um sich verteidigen zu können, greifen sie auch im Landkreis Cham immer öfter zu Schreckschusswaffen und Pfefferspray. Allein im ersten Quartal des Jahres gab das Landratsamt mehr als doppelt so viele kleine Waffenscheine aus wie das ganze vergangene Jahr.

Sprunghaft steigt die Zahl der ausgegebenen kleinen Waffenscheine. 2012 stellten Ronald Burger und seine Kollegen vom Sachgebiet öffentliche Sicherheit und Ordnung am Landratsamt gerade mal zwölf Waffenscheine aus. Zu Beginn des Jahres 2016 sind es mit 118 fast zehnmal so viele.

Auch Martin Kuchenreuter vom gleichnamigen Geschäft in der Innenstadt merkt die Furcht vor Übergriffen. Derzeit verkauft er haufenweise Selbstverteidigungsgerät. Die Lieferanten kommen nicht mehr nach, um ihn mit Pfefferspray und Schreckschusswaffen zu versorgen. Die erste Steigerung hat er im August des vergangenen Jahres bemerkt, sagt er. Nach Silvester gingen die Verkaufszahlen dann nochmal in die Höhe. Frauen, Männer, Alte, Junge - sie alle treibt die Unsicherheit gleichermaßen.

Einen Anstieg in der Zahl der Verhandlungen wegen Verstoßes gegen das Waffenrecht spüren die Amtsrichter trotz zunehmender Waffenverkäufe noch nicht. Zumindest gibt's nach subjektiver Einschätzung von Amtsgerichtsdirektor Johann Kopp noch keine Veränderung nach oben. Quantifizieren kann er das nicht. Was allerdings noch nichts heißen mag. Denn zum einen legitimieren viele Bürger den Besitz ihrer Schreckschusspistole, indem sie den kleinen Waffenschein beantragen. Zum anderen kommt nur vor Gericht, was die Polizei aufdeckt.

Während die Beamten in der Kreisstadt im Laufe des vergangenen Jahres viermal wegen unerlaubten Waffenbesitzes Anzeigen schrieben, zählten sie an der Grenze in Furth im Wald um die 100 Fälle. Christian Pongratz von der Schleierfahndung erklärt die Diskrepanz: Unerlaubter Waffenbesitz ist ein Kontrolldelikt. Weil die Schleierfahnder gemäß ihres Auftrags häufiger Autofahrer anhalten, stellen sie auch öfter Verstöße fest. Was in Daberg eine weitere Rolle spielt: In Tschechien verkaufte Ware muss in Deutschland noch lange nicht erlaubt sein. Pongratz und seine Kollegen zeigen nicht nur den Besitz von Butterfly- oder Springmesser, Elektroschocker in Taschenlampenform oder Stahlruten an. Die Polizisten schreiben auch dann Anzeigen, wenn sie Schreckschusspistolen oder Reizgas-Spray entdecken. Doch sind die unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland erlaubt.

Stefan Fischer von der Polizeiinspektion Cham erläutert: Pfefferspray mit dem Prüfsiegel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ist vom BKA überprüft. Das darf jeder ab 14 Jahren mitführen. Jedoch ist das vom Grundsatz her für die Tierabwehr gedacht. "Im Rahmen der Notwehr ist aber auch der Einsatz gegen Menschen erlaubt." Allerdings prüft der Staatsanwalt, ob das gerechtfertigt ist.

Ronald Burger vom Sachgebiet öffentliche Sicherheit und Ordnung am Landratsamt rät: Die Kennzeichnung ist wichtig, weil das Institut geprüft hat, wie hoch die abgegebene Energie einer Waffe ist oder ob die Zusammensetzung etwa von Reizgas für Menschen gefährlich werden kann. Auch Schreckschusswaffen untersucht die Anstalt.

Jeder, der älter als 18 ist, darf sie kaufen und in seinen eigenen vier Wänden aufbewahren. Sie auf offener Straße zu tragen ist aber verboten. Dafür braucht's den kleinen Waffenschein. Den beim Landratsamt zu beantragen, ist recht unkompliziert. Entsprechende Unterlagen gibt's im Amt oder online. Einmal ausgefüllt, überprüfen die Sachbearbeiter den Antragsteller. Dazu ist ein Blick ins Vorstrafenregister nötig, erläutert Burger. Hat das Gericht den Antragsteller wegen einer vorsätzlichen Tat zu mehr als 60 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt, kriegt er den Schein nicht. Auch dann nicht, wenn der Antragsteller einschlägig fahrlässig gehandelt hat und dafür verurteilt wurde.

Die Zahlen zeigen die steigende Verunsicherung wegen der Flüchtlingskrise, nach den Anschlägen von Paris und in der Kölner Silvesternacht. Bedenken äußert Amtsgerichtsdirektor Kopp: "Ob die steigende Zahl an Waffenbesitzern tatsächlich zu einer höheren Sicherheit beiträgt, ist fraglich."


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