Formel-1-Finale
Norris-Liebeserklärung mit Tränen nach dem WM-Triumph
Lando Norris hat sich zum ersten Mal zum Formel-1-Weltmeister gekrönt. Dem 26 Jahre alten Briten von McLaren reichte beim Finale in Abu Dhabi der dritte Platz zum Gipfelsturm. Norris entthronte Max Verstappen und beendete die Titelära des 28 Jahre alten Niederländers von Red Bull nach vier WM-Triumphen in Serie.
Norris ist der 35. Weltmeister in der Geschichte der Motorsport-Königsklasse. Für McLaren ist es der erste Fahrertitel seit Lewis Hamiltons Triumph 2008. In der vergangenen und in dieser Saison gewann das Team jeweils auch die Konstrukteurswertung.
In das letzte der 24 Saisonrennen war Norris mit einem Vorsprung von 12 Punkten auf Verstappen und 16 auf Stallrivale Oscar Piastri gegangen. Ein Platz auf dem Podium reichte dem Briten, um den Titel perfekt zu machen - egal, wo Verstappen und Piastri landen würden.
Schon kurz nach dem Start verlor Norris zwar seinen zweiten Startplatz an Piastri. Danach fuhr der Engländer aber ein kontrolliertes Rennen, so dass ihm auch Verstappens 71. Grand-Prix-Erfolg mit einem Riesenvorsprung nicht die Krönung verderben konnte. Piastri wurde schließlich Zweiter.
Mit Norris darf auch ein neuer Typus Rennfahrer im nächsten Jahr auf dem Auto die Nummer eins für den Weltmeister tragen. „Ich möchte einfach mein Leben genießen. Das ist eine Einstellung, die vielleicht nicht unbedingt mit Killer-Instinkt gleichzusetzen ist“, sagte Norris vor der Saison dem britischen „Guardian“: „Ich glaube einfach nicht, dass man diesen haben muss, um Weltmeister zu werden.“
Norris ist der Sohn eines britischen Unternehmers, der mit Rentenversicherungen ein Vermögen machte und sich mit 36 erstmal in den Ruhestand verabschiedet hatte. Er lacht gern und er lacht auch oft. Norris ist aber auch oft nachdenklich, selbstkritisch und redet offen über mentale Kämpfe und Herausforderungen.
„Es ist großartig zu sehen, welches Vorbild Lando in der Formel 1, aber auch außerhalb geworden ist“, lobte jüngst der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel den neuen Champion. Früher seien Fahrer wie Maschinen aufgetreten, um bloß nie Schwächen zu zeigen. Das sei Tabu gewesen, bemerkte Vettel. Dass Norris, der an Renntagen kaum etwas essen oder trinken kann, über seine Sorgen spreche, sei ein Zeichen des Fortschritts, nicht der Schwäche.
„Im Laufe seiner Karriere gab es zwei langjährige Kritikpunkte,
die regelmäßig dazu benutzt wurden, die Leistungen und Fähigkeiten
von Lando Norris, dem McLaren-Fahrer aus Somerset, zu diskreditieren“, schrieb der englische „Independent“.
Der erste Grund sei seine wohlhabende Herkunft, der andere „mentale Zerbrechlichkeit“. Er bringe seine Kritiker mit dem Klassement zum Schweigen, betonte das Blatt. „Zu weich, zu privilegiert, ein bisschen Gen Z - aber Lando Norris straft seine Zweifler Lügen“, schrieb der „Telegraph“.
Ein Selbstläufer war sein Titel in diesem Jahr auch nicht. Lange sah es eher so aus, als würde nach der Niederlage im WM-Duell 2024 gegen Verstappen nun sein Teamkollege Piastri den Titel holen. Nach dessen starker erster Saisonhälfte erlebte der 24 Jahre alte Australier aber einen immer noch schwer zu erklärenden Einbruch, während Norris' Formkurve nach oben ging.
Als er in Mexiko siegte, wurde Norris ausgepfiffen. Das hing mit einigen Teamentscheidungen zusammen, für die der Brite aber gar nichts konnte. In Brasilien gab es nach Norris' Sieg Buhrufe. Er habe gelernt, damit umzugehen, erklärt er danach. Rückhalt gibt Norris auch die Familie: Seine Eltern waren auch beim Finale dabei.
Und doch musste der neue Titelträger bis zum Schluss bangen. In Las Vegas wurden beide McLaren disqualifiziert, im vorletzten Saisonrennen in Katar leistete sich das Team einen gravierenden Strategiefehler. Verstappen nutzte dies eiskalt und jagte Norris und Piastri in ein finales Entscheidungsrennen. Am Ende brachte Norris seinen Vorsprung ins Ziel und löste Verstappen auf dem Formel-1-Thron ab.
Es herrschte Hochspannung schon das gesamte Wochenende. Hier der abgeklärt-aggressive Titelverteidiger, der nach einem 104-Punkte-Rückstand Ende August auf Platz eins und seiner Liste von Erfolgen nichts zu verlieren hatte. Da die beiden Stallrivalen Norris und Piastri, die sehr viel zu verlieren hatten. Ein solches Dreikampf-Finale hatte die Formel 1 seit 2010 nicht mehr erlebt, als Sebastian Vettel vom Gesamtrang drei zum WM-Titel im Red Bull gerast war.
Norris machte den offenen Umgang mit Schwächen und Ängsten auch in der Formel 1 salonfähig und sagte schon mal von sich selbst, er wolle zeigen, dass man auch ohne Killerinstinkt Weltmeister werden kann. Ein Typ, der junge Zielgruppen anspricht, einer der gern und sehr markant lacht, aber auch einer, der offen über Zweifel und Ängste redet. Auf die Frage, wie er die Nacht vor dem erstmal wichtigsten Rennen seiner Karriere geschlafen habe, antwortete er: „Überraschend gut. Das ist der Moment, auf den wir unser ganzes Leben warten.“
Im Gegensatz zu Norris kennt Verstappen diese Momente reichlich. Für manche ist er der vielleicht kompletteste Rennfahrer, den die Formel 1 je gesehen hat. Getrimmt durch Vater Jos, der selbst parallel zum Finale bei einer Rallye in Afrika am Steuer saß. Gesegnet auch noch mit den Renngenen seiner Mutter, einst exzellente Kartfahrerin, die auch nicht in Abu Dhabi war, sondern auf die Hunde aufpasste. „Sie vertrauen ihrem Sohn“, hatte Max Verstappen gesagt und gegrinst.
Und dann noch dieser lange Zeit in der WM so starke und coole Australier. Piastri gewann bis Ende August sieben Rennen, führte im Klassement, schien unerschütterlich. Doch dann kam der Einbruch. Kein Sieg mehr in einem Grand Prix, zuletzt in Katar die Leistungssteigerung und der Erfolg im Sprint. „Der Glaube ist immer noch da, aber es müssen ein paar Dinge für mich laufen“, sagte er unmittelbar vor den letzten 306,183 Rennkilometern dieser Saison, die am 16. März in Piastris Heimat Melbourne mit einem Sieg von Norris begonnen hatte.
Und im Gegensatz zu seinen beiden Rivalen fuhr er auf der härtesten Reifenmischung los, Verstappen und Norris auf der mittleren Mischung. Hieß auch: Piastri würde später zum ersten Reifenwechsel reinkommen.
Um 17.03 Uhr Ortszeit gingen zum letzten Mal die Roten Ampeln in dieser Saison aus. Verstappen hatte sich mit einer famosen Runde die Pole gesichert, Norris war Zweiter im Qualifying geworden, Piastri Dritter. Papa Norris nahm den Sohn noch mal innig in den Arm. Es half nur bedingt. Verstappen verteidigte Platz eins, den musste er auch nicht holen.
Aber Piastri machte umgehend Druck. Der Australier, dessen Manager Mark Webber 2010 gegen Vettel zu den WM-Verlierern gehört hatte, fuhr volle Kampflinie. Ob das von den Teambossen so gedacht war? Piastri zog es durch, überholte Norris außen. Er sei nicht wirklich überrascht gewesen, behauptete McLarens Geschäftsführer Zak Brown bei Sky Sports UK. Zwischenfazit nach dem Nervenauftakt: „So weit, so gut, nicht komfortabel.“
Platz drei würde Norris auch noch zum Titel reichen, aber von hinten drängte eine Weile Charles Leclerc im Ferrari. Der Monegasse, der selbst seit Jahren vergeblich dem Titel hinterherjagt, kam aber nicht nah genug ran, um zu überholen. In Runde 17 fuhr Norris zum Boxenstopp: 2,1 Sekunden und die neuen Reifen waren drauf. Das ging fix. Er kam auf Rang neun zurück auf die Strecke, machte schnell Plätze gut, ehe er hinter Verstappens Teamkollege Yuki Tsunoda hing.
Die Red-Bull-Strategie-Abteilung um Hannah Schmitz hatte wie bei Piastri harte Reifen draufziehen lassen beim Japaner zu Beginn. „Ich weiß, was ich zu tun habe, lasst mich in Ruhe“, funkte der Japaner genervt an die Box. Als Norris überholen wollte, überreizte Tsunoda aber komplett. Er fuhr nach links und rechts und drängte Norris fast ins Gras. Die Strafe folgte schnell: In seinem letzten Rennen für Red Bull bekam er fünf Sekunden aufgebrummt.
McLaren ließ Piastri mit den harten Reifen weiter draußen, Verstappen kam aber immer näher ran - trotz des Reifenwechsels. Der Australier sollte auf den Mediumreifen am Rennende noch mal Druck machen. Norris kam mittlerweile schon zum zweiten Mal zum Reifenwechsel - McLaren reagierte auf den Boxenstopp von Leclerc. Fast zur gleichen Zeit überholte Verstappen Piastri, der Australier war damit virtuell raus aus dem WM-Rennen. Er gab aber nicht auf und fragte die Box, wie sie das Rennen gewinnen wollen.
Die Frage war: Würde Piastri noch von der Box aufgefordert werden, zur Sicherheit Norris vorbeizulassen? Verstappen hatte so viel Zeit, zu fragen, ob Leclerc noch an den Briten rankommen würde. Das schaffte der Monegasse nicht mehr und Norris überquerte als neuer Weltmeister die Ziellinie nach 58 Runden.













