AZ-Interview

Felix Neureuther: Das Karriereende war "eine Befreiung"


Felix Neureuther (l.) bei der Verleihung des Bayerischen Sportpreises in der BMW-Welt durch Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Felix Neureuther (l.) bei der Verleihung des Bayerischen Sportpreises in der BMW-Welt durch Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Von Michael Schleicher / Online

Exklusiv in der AZ spricht Felix Neureuther über sein Leben als Privatier und US-Kickerin Megan Rapinoe, die er bewundert. "Immer nur Sport, Sport, Sport, war mir zu wenig."

München - Der ehemalige Ski-Star Felix Neureuther (35) im AZ-Interview. Im vergangenen März hat er seine illustre Ski-Karriere beendet.

AZ: Herr Neureuther, Gratulation zum Erhalt des Bayerischen Sportpreises, aber lassen Sie uns mit einer privaten Frage an Privatier Neureuther beginnen: Ihre Tochter Matilda ist 19 Monate alt, stand sie schon mal auf Ski?
FELIX NEUREUTHER: Beim Siebzigsten von meinem Papa im April. Das Wetter war eine Katastrophe, aber die war nicht zu bremsen, die wollte nicht mehr aufhören.

Scheint in der Familie zu liegen. Wird sie also auch mal Ski-Rennläuferin?
Wenn sie es selbst möchte, dann sehr gerne. Nur bitte keine Abfahrerin.

Sie haben Ihre Laufbahn im März beendet, wie fühlt sich der erste Sommer nach zwei Jahrzehnten auf Brettern an?
Sehr gut und sehr richtig.

"Im Winter wird es sicher etwas zwicken"

Gab es noch keinen Moment, in dem Sie es bereut hätten?
Nein. Natürlich ist es irgendwie schade. Skifahren war ein großer Teil meines Lebens, mein Herz hängt noch immer dran. Aber wie das alles lief mit den Verletzungen, dem Kreuzbandriss, dem kaputten Daumen. Es wurde von Mal zu Mal schwieriger, zurückzukommen, ich musste immer mehr kämpfen und habe gespürt, wie mehr junge Läufer von hinten nachrücken. Das musst du einfach akzeptieren, musst loslassen können und darfst nicht dauernd festhalten.

Die wochenlangen Sommer-Trainingslager in Übersee in Neuseeland oder Chile vermissen Sie aber nicht?
Das geht mir überhaupt nicht ab. Im Winter, wenn die Rennen losgehen, wird es sicher etwas zwicken. Aber das schöne Privileg, das ich jetzt habe: Ich darf jetzt zum Skifahren gehen, wenn ich möchte. Und nicht mehr, wenn ich muss.

Wachen Sie manchmal schweißgebadet auf und denken: Herrschaftszeiten, jetzt los zum Gletschertraining?
Das nicht, aber am Anfang, unmittelbar nach meinem Rücktritt dachte ich manchmal, ich muss schleunigst in den Kraftraum. Bis mir einfiel: Die Zeiten sind vorbei. Dabei habe ich es nie als Last empfunden. Skifahren war immer eine Freude. Das lange Hin und Her war anstrengend zum Schluss. Einen Tag lief es super, am nächsten hat dir alles wehgetan und hast dir gedacht: Ich kann nicht mehr. Es war eine Befreiung, am Ende eine Entscheidung zu finden, mit der ich leben, die ich akzeptieren konnte.

So genießt Neureuther seine neue freie Zeit

Wie verbringen Sie Ihre Zeit, sind Sie viel mit Frau Miriam und Matilda unterwegs?
Das genieße ich sehr. Allein jeden Tag das Frühstück zu dritt, so etwas war selten drin, als ich aktiv war. Ansonsten bin ich in einem Lernprozess. Ich hatte mich schon lange in Gedanken mit dem Leben nach dem Sport beschäftigt, jetzt aber stecke ich da mitten drin. Schon alleine - auch wenn's blöd klingt - unser Leben als Familie auf die Reihe zu bekommen. So Sachen wie Buchhaltung, Steuern, Finanzen in den Griff zu kriegen. Ich musste mich nie drum kümmern, das hatte mir alles der Papa abgenommen. Jetzt muss ich schauen, dass ich mir jeden Tag zwei Stunden für Büroarbeit freischaufle. Ein gewaltiger Gewöhnungsprozess.

Felix Neureuther kann sich nach seinem Rücktritt mehr um Frau Miriam und Tochter Matilda kümmern.

Felix Neureuther kann sich nach seinem Rücktritt mehr um Frau Miriam und Tochter Matilda kümmern.

Und wie sind die konkreten Berufspläne? Erst mal TV-Experte im nächsten Winter?
Das würde mir Spaß machen. Ich bin immer noch großer Fan des Skisports und würde da gern meinen eigenen Stempel aufdrücken und etwas bewegen können, auch Kinder und Jugendliche animieren, sich zu bewegen und Sport zu machen.

Und Trainer? Oder gar Funktionär?
Wenn sie im Verband meinen Rat brauchen oder ich mal auf den ein oder anderen Kurs mitkommen soll, um dem Nachwuchs etwas mitzugeben und zu erzählen, bin ich gern dabei. Aber hauptberuflich? Nein. Ich war so viel unterwegs in meinem Leben, das brauche ich nicht mehr. Und Funktionär? Das würde nicht hinhauen, weil ich meinen eigenen Kopf habe und dazu das Gefühl, dass ich dort nichts bewegen könnte. Weil das System so eingefahren ist, wäre das verlorene Zeit und verlorene Energie.

Sie hätten Angst, als Funktionär zerrieben zu werden zwischen all den Machtspielen und Klüngeleien?
Dann wäre ich nur ein Teil davon, einer von vielen, der mitschwimmen würde. Das könnte ich nicht. Die Verbände würden es auch nie zulassen, mich dort zu integrieren, weil ich zu sehr anecken würde. Wenn ich anecken würde, wäre ich ganz schnell wieder raus. Nein, das würde ich mir nicht antun.

Lob für US-Kickerin Rapinoe

Bleiben wir beim Anecken: Sie waren einer der wenigen deutschen Topsportler, die ihre Meinung kundtaten. Gibt es zu wenige mündige Athleten?
Ja. Ich bedauere sehr, dass sich keiner mehr was zu sagen traut - oder mal auf den Tisch haut. Sicher ist es mit den sozialen Medien nicht leichter geworden. Viele lassen sich davon einschüchtern. Aber dann gibt es eben blöde Kommentare, das gehört dazu. Recht machen kann man es eh nicht jedem. Es fehlen einfach die Charaktere.

Wie Megan Rapinoe, die nach dem WM-Triumph der US-Frauen eine flammende Rede für Gleichheit und Toleranz gehalten und sich gegen Präsident Trump positioniert hat?
Ja. Die hat richtig Gas gegeben, aber das ist gut so. Du brauchst so Persönlichkeiten, an denen du dich reiben kannst, und allein wegen Rapinoe habe ich mich sehr gefreut, dass die Amerikanerinnen den Titel geholt haben. Wir brauchen mehr solche Vorbilder im Sport. Viele sagen immer, sie wollen sich nur auf den Sport konzentrieren. Das ist totaler Blödsinn. Ich habe mich auf den Sport konzentriert und trotzdem immer meine Meinung vertreten und mich für andere Dinge eingesetzt. Da bleibt neben dem Sport immer genug Zeit dazu. Immer nur Sport, Sport, Sport, das war mir zu wenig. Ich wusste immer, im Leben geht es nicht um Pokale und Medaillen, sondern um viel größere Werte. Wissen Sie, was mich gerade sehr berührt hat?

Nein.
Auf dem Weg zu unserem Gespräch hat mich eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn auf dem Arm angesprochen. Sie meinte, sie liest ihrem Buben jeden Abend aus meinem Kinderbuch vor - und dass es sein Lieblingsbuch sei. Wissen Sie, so etwas bedeutet mir um ein Vielfaches mehr, als hier so einen Preis zu bekommen.

Felix Neureuther, hier mit AZ-Autor Florian Kinast (l.).

Felix Neureuther, hier mit AZ-Autor Florian Kinast (l.).

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