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Christian Schwarzer über Handball-WM:"Absagen? Bei uns hätt's das nie gegeben!"

2007 bei der Heim-WM wurde Deutschland mit dem Kreisläufer Christian Schwarzer Weltmeister. Bei der WM in Polen und Schweden traut er dem deutschen Team vor dem ersten Spiel gegen Katar "alles zu".


Von Thomas Becker

AZ-Interview mit Christian Schwarzer: Der 53-Jährige gewann 2007 den WM-Titel und arbeitet nun als Jugend-Koordinator beim Saarländischen Handballverband.i

AZ: Herr Schwarzer, eine WM in Polen und Schweden, in gleich zwei Ländern: gewöhnungsbedürftig, oder?

CHRISTIAN SCHWARZER: Man orientiert sich auch da am Fußball, leider. Die haben damit angefangen. Ob das jetzt so gut ist, sei dahin gestellt. Ich bin eher ein Freund davon, alles in einem Land zu veranstalten, so wie ich das früher auch erleben durfte. Aber die Kommerzialisierung schreitet halt immer weiter voran. Wahrscheinlich kann man so noch mehr Geld verdienen, und dann kommen eben solche Entscheidungen zustande. Die Stimmung in den Gastgeber-Ländern wird schon gut sein, aber für die Fans ist das natürlich schwierig. Wenn es die Deutschen in die Finalrunde schaffen, müssen die Fans von Polen nach Schweden reisen, was ja auch viel Geld kostet. Ich weiß nicht, ob man so was auch bedacht hat.

Zum Sport: Was trauen Sie der deutschen Mannschaft zu?

Ich vergleiche das Team so ein bisschen mit dem Europameister von 2016. Dem hatte vorher kaum einer etwas zugetraut, man spielte sich dann aber in einen Rausch, mit einem überragenden Torhüter Andy Wolff - und wurde plötzlich Europameister. Auch jetzt ist da in der Mannschaft eine gute Mischung aus erfahrenen Leuten wie Andy Wolff, Patrick Groetzki, Philipp Weber, Paul Drux und eben jungen Spielern, die ihr erstes großes Turnier spielen. Das Gute ist: Alle Jungs, die da zusammen sind, sind stolz für Deutschland zu spielen, tragen den Adler mit Stolz auf der Brust. Das ist die beste Grundvoraussetzung: dass sie hungrig und heiß sind, Deutschland zu vertreten. Deshalb traue ich denen alles zu. Man hat ja auch aus der Mannschaft - Andy Wolff und Johannes Golla - endlich mal gehört, dass das Halbfinale das Ziel ist. Ein realistisches Ziel, wie ich finde.

Apropos Stolz auf den Bundesadler: Einige Nationalspieler haben für die WM abgesagt, aus persönlichen Gründen oder wegen Überlastung, und das nicht zum ersten Mal. Wie bewerten Sie das?

So etwas hätte es bei uns nie gegeben. Wir haben uns immer auf diese Turniere gefreut, sich mit den Besten der Besten messen zu dürfen. Dazu: Spaß haben mit den Jungs. Es geht ja nicht nur ums Handballspielen, da sind ja Freundschaften entstanden, die heute noch Bestand haben. Das geht ja nur, wenn ich in der Nationalmannschaft viele Jahre zusammen durch dick und dünn gehe. Andererseits verstehe ich die Argumentation derer, die abgesagt haben, die jetzt Familienväter sind oder Spieler wie Hendrik Pekeler, der aus einer langen Verletzungsphase kommt. Die Belastung der Spieler, die international unterwegs sind, ist natürlich wahnsinnig hoch.

Wie eng ist das Band der Weltmeister-Mannschaft von 2007 noch?

Bis vor Kurzem waren einige ja immer noch aktiv: Jogi Bitter, Carsten Lichtlein, Christian Zeitz, Holger Glandorf. Wir haben so ein Ehemaligen-Team, das ein paar Mal im Jahr Benefizspiele für Bedürftige veranstaltet. Zuletzt war Heiner Brand dabei, Henning Fritz, Marcus Baur, Pascal Hens. Wir versuchen immer noch ein bisschen Spaß auf dem Spielfeld zu haben und dabei Gutes zu tun. Ab und zu spielen wir auch zusammen Golf, verlieren uns also nicht aus den Augen.

Zurück zur WM: Team Germany startet gegen Katar, den aktuellen Asienmeister und Vize-Weltmeister von 2015. Eine Art Wundertüte, oder?

Katar ist weit entfernt von der Weltauswahl, mit der sie 2015 gespielt haben. Serbien ist gewohnt stark, immer sehr gut ausgebildete Spieler, immer gefährlich. Bei Algerien weiß man gar nicht, was auf einen zu kommt. Mit der afrikanischen Spielweise haben sich Europäer früher oft sehr schwer getan. Es ist jedenfalls eine machbare Gruppe.

Zum deutschen Kader: Die Startformation kann sich sicher sehen lassen, dahinter wird es allerdings etwas dünn. Da darf während des Turniers nicht viel passieren, korrekt?

Vielleicht sah das in den Testspielen gegen Island so aus, würde ich aber gar nicht so sagen. Das sind alles Jungs, die Woche für Woche in der stärksten Liga der Welt zeigen, wie gut sie sind. Ich glaube, dass wir in der Breite sehr gut aufgestellt sind.

Auffälligste Figur war zuletzt Mitte-Spieler Juri Knorr, der stets zwischen Genie und Wahnsinn pendelt.

Man darf nicht den Fehler machen, dem Jüngsten (22 Jahre, d. Red.) ganz allein den Status des Retters der Nation zuzuschustern. Er hat gezeigt, welches Potenzial er hat, aber er braucht natürlich die Unterstützung einer ganzen Mannschaft. Einer allein hat noch nie ein Turnier gewonnen. Was mir fehlt, ist ein klassischer Spielmacher wie früher Marcus Baur oder Andy Schmid von den Rhein Neckar Löwen. Die haben 60 Minuten Handball gespielt, mussten nicht einmal aufs Tor werfen und waren dennoch die besten Spieler, weil sie eben strategische Entscheidungen getroffen haben, die zum Tor geführt haben. Martin Strobel war auch nicht der torgefährlichste Spieler, aber er konnte ein Spiel steuern und in der richtigen Situation die richtige Entscheidung treffen.

Die Abwehr: Jahrelang war das mit Pekeler und Winczek eine Bank. Jetzt stehen da Johannes Golla und der junge Julian Köster.

Die haben zuletzt die Hauptverantwortung getragen, aber da braucht es auch einen Plan B, drei, vier Spieler für den Innenblock. Aber es zählt ja das Zusammenspiel der gesamten Abwehr. Und in Sachen Torhüterleistung waren uns zuletzt andere Nationen überlegen. Da würde ich mir wünschen, dass wir wieder da an Haltequoten von 30, 40 Prozent herankommen.

Die WM ist auch wegen der Qualifikation für Olympia wichtig sowie als Aufgalopp zur Heim-EM im kommenden Jahr.

Das ist eine gute Möglichkeit, Werbung für unseren Sport zu machen und Handball als Teamsportart Nummer zwei hinter dem Fußball zu platzieren, und es geht ja auch um Mitgliedergewinnung.