Thema Geld im Amateurfußball

Tim Frohwein: "Das ist dann wohl der Amateurfußballer 2.0"


Tim Frohwein hat sich intensiv mit dem Thema Bezahlung im Amateurfußball beschäftigt.

Tim Frohwein hat sich intensiv mit dem Thema Bezahlung im Amateurfußball beschäftigt.

Von Gerd Lex

Der Soziologe Tim Frohwein, der an der Hochschule Fresenius München lehrt, hat die Auswirkungen von Spielergehältern im Amateurfußball untersucht. In seiner Diplomarbeit an der Ludwig-Maximilian-Universität in München liefert er Belege, dass sich die Zahlungsbereitschaft bis in die unteren Klassen des Amateurbereichs ausgebreitet hat. Wir haben mit Tim Frohwein gesprochen, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeiten ein absoluter Kenner der vielfältigen Facetten des Geldflusses im Fußball-Amateurbereich ist.

Die Kombination Fußball und Geld ist immer wieder Anlass für hitzige Diskussionen. Woher kommt Ihr persönliches Interesse an diesem Thema, Herr Frohwein?
Tim Frohwein: Am Anfang stand, wie so häufig bei einer wissenschaftlichen Arbeit, eine Beobachtung aus meinem Alltag. In meinem Verein, bei dem ich mittlerweile seit bald zwanzig Jahren Fußball spiele, gab es eine Phase, in der man für den sportlichen Erfolg Geld in die Hand genommen hat. Die Spieler in meiner Mannschaft, die Geld bekamen, beteiligten sich weniger am sozialen Miteinander im Verein. Konkret: Sie setzten sich seltener auf ein Bier in die Vereinsgaststätte und blieben Mannschaftsabenden oder Vereinsfeiern eher fern. Das hat mein Interesse geweckt und ich wollte wissen, ob das System hat und auch in anderen Vereinen so vorkommt. Das war allerdings nur ein Aspekt unter mehreren, die ich untersuchen wollte.

In Ihrer Arbeit haben Sie 200 Münchner Amateurspieler intensiv befragt. Aus welchen Ligen kamen diese Spieler?
Frohwein: Die Studie ist ja nun schon ein paar Jahre alt. Damals gab es in Bayern noch die Bezirksoberliga, die gleichzeitig die höchste in der Studie erfasste Liga war. Die restlichen Spieler in der Stichprobe kamen aus Vereinen, die in den darunterliegenden Spielklassen, also Bezirksliga, Kreisliga, Kreisklasse, A-, B-, und C-Klasse, gemeldet waren.

Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass bei keinem anderen Thema im Amateurfußball so gelogen wird, wie beim Geld. Wie haben Sie es geschafft, dass die Spieler bei diesem sensiblen Thema offen mit Ihnen kommuniziert haben?
Frohwein: Es handelte sich um eine anonyme Fragebogenuntersuchung. Eigentlich wollte ich wissen, für welche Zwecke Amateurfußballer ihr soziales Vereinsnetzwerk nutzen. Das war der zentrale Aufhänger und wurde am Anfang des Fragebogens auch so kommuniziert. Diese beiden Faktoren haben die Frage nach der Bezahlung vielleicht ein Stückchen weniger brisant erscheinen lassen.

Wie groß ist der Anteil der bezahlten Spieler in den einzelnen Klassen die Sie untersucht haben?
Frohwein: Während in den "Buchstabenligen" kein Geld floss, verdienten sich 30,8 Prozent der Kreisklassen-Spieler, 55,2 Prozent der Kreisliga-, 86,2 Prozent der Bezirksliga- und alle befragten Bezirksoberliga-Spieler ein kleines oder größeres Entgelt hinzu.

In den unteren Amateurklassen arbeiten viele ehemals höherklassige Fußballer als Spielertrainer. Dies bringt so manchen Verein an die finanzielle Schmerzgrenze. In Ihren Augen ein sinnvoller Weg, um ein hohes Spielergehalt zu rechtfertigen?
Frohwein: Eine schwierige Frage. Mir hat einer meiner Spielertrainer mal gesagt, dass es ihm eigentlich unglaublich schwerfalle, auf dem Platz sowohl die Rolle des Spielers als auch die Rolle des Trainers auszufüllen. In der Soziologie spricht man in diesem Zusammenhang übrigens von einem Interrollenkonflikt. Wenn der Spielertrainer aber damit zurechtkommt und die Qualität der Mannschaft mit seiner Arbeit deutlich erhöht, dann ist eine höhere Bezahlung heutzutage zumindest nichts Außergewöhnliches mehr.

Wie viele dieser Zahlungen laufen Ihrer Meinung nach am Finanzamt vorbei?
Frohwein: Dazu gibt es keine Statistiken. Fest steht jedoch: Immer wieder haben Vereine Probleme mit den zuständigen Behörden, eben weil sie die Zahlungen nicht rechtmäßig angeben.

Die Auswirkungen von Geld im Amateurfußball

Sehen Sie Gefahren, wenn sich ein Amateurverein von Sponsoren abhängig macht?
Frohwein: Absolut. Im Rahmen meiner Recherchen zum Thema haben mir Vereinsmitglieder berichtet, dass einzelne Sponsoren oder Mäzene, die das Ruder an sich reißen, zwar dem Verein durch ihre Investitionen durchaus kurzfristigen sportlichen Erfolg ermöglichen, dass es aber auch vorkommen kann, dass sich diese Sponsoren nach einer gewissen Zeit und ohne Vorwarnung plötzlich wieder aus dem Verein zurückziehen. Dann fehlt das Geld, die Spieler wandern ab, die Klasse kann nicht gehalten werden. Das ist oft der Anfang einer Talfahrt.

Hat die Bezahlung von einzelnen Spielern Auswirkungen auf das Vereinsleben und die Identifikation mit dem Verein?
Frohwein: In der Tat war das der statistisch eindeutigste Zusammenhang in meiner Studie. Spieler, die vom Verein kein Geld für das Fußballspielen bekommen, schätzen die Geselligkeitsdimension des Amateurfußballs viel stärker. Was bedeutet, dass sie nach dem Training länger im Vereinsheim sitzen bleiben, ein Bier trinken und dort auch schon mal ihre privaten Sorgen und Probleme besprechen. Bei den bezahlten Amateurspielern ist das viel seltener der Fall. Überspitzt könnte man also sagen: Je mehr bezahlte Fußballer im Verein sind, desto weniger gesellig ist das Vereinsleben. Aber genau dieses gesellige Miteinander stiftet in einem Amateurverein Identität und ist für viele Mitglieder mindestens genauso wichtig wie der Fußball auf dem Platz. Gerade die Ehrenamtlichen, die sich um das Waschen der Trikots, das Säubern der Trinkflaschen oder die Buchhaltung kümmern, brauchen dieses Miteinander. Wer übernimmt solche Aufgaben schon gerne für Leute, die des Geldes wegen im Verein sind und ohne Navigationssystem die Vereinsanlage nicht finden?

Kann man im Amateurfußball auch schon von einem "Söldnertum" sprechen?
Frohwein: In der wissenschaftlichen Literatur zum Thema spricht man vom Spielertypus des "Wechslers", das finde ich irgendwie angemessener. In meiner Untersuchung kam heraus, dass es eine Schnittmenge zwischen diesem Typus und einem bezahlten Spieler gibt. Bezahlte Amateurfußballer bleiben im Schnitt nur 2,8 Jahre bei einem Verein, während Spieler, die nicht bezahlt werden, alle 5,6 Jahre den Verein wechseln. Wenn Vereine also Spieler für das Kicken bezahlen, müssen sie mit einer stärkeren Fluktuation rechnen. Denn die Spieler schauen sich natürlich ständig um und fragen sich, ob es nicht Vereine mit einem vielleicht lukrativeren Angebot gibt. Mittlerweile hat der Spielermarkt im Amateurfußball ja absurde Züge angenommen: Ein Trainer bei einem Amateurfußballverein in Berlin hat mir erzählt, dass Spieler bei ihm vorstellig werden und mit selbstproduzierten YouTube-Videos, in denen ihre besten Spielszenen und "Skills" zu sehen sind, für sich werben. Das ist dann wohl der Amateurfußballer 2.0.

Was halten Sie generell von Zahlungen in den unteren Amateurligen und ab welcher Liga geht es ihrer Meinung nach nicht mehr ohne bezahlte Spieler?
Frohwein: Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den unteren und den höheren Spielklassen. Je höher man kommt, desto größer wird die Leistungs- und Erfolgsorientierung. Anhand einer Umfrage, die wir an der Hochschule Fresenius in Kooperation mit dem Bayerischen Fußball-Verband durchgeführt haben und bei der rund 1000 Mitglieder der bayerischen Amateurfußballfamilie teilgenommen haben, konnten wir das belegen. Laut den Daten scheint es in diesem Zusammenhang zwischen der Kreis- und der Bezirksliga eine unsichtbare Trennwand zu geben: Ab Bezirksliga und höher zählt zunehmend der sportliche Erfolg, von der Kreisliga abwärts gewinnt dagegen das soziale Miteinander für die befragten Vereinsmitglieder mehr und mehr an Bedeutung. Ich halte es, um auf Ihre Frage zurückzukommen, für sinnvoll, dass man den unteren Amateurfußball zu einer geldfreien Zone erklärt. Ab der stärker erfolgsorientierten Bezirksliga geht es dann nicht mehr ohne, denn Geld schießt natürlich Tore, wie wir alle wissen.

Eine weitere Form der indirekten Bezahlung ist die Beschaffung von Jobs für Spieler, Hat die Uraltregel "Jobs gegen Tore", die aus der Zeit der Weimarer Republik stammt, auch in der heutigen Zeit noch Gültigkeit?
Frohwein: Dass man gute Spieler mit einem Jobangebot ködert, ist ja irgendwo legitim, das ist ein uraltes Phänomen! Gerade in der Zeit der Weimarer Republik, als der Fußball an der Schwelle zum Massensport stand und die Spieler in der höchsten Spielklasse aber nach wie vor den Amateurstatus besaßen und daher nicht wirklich Geld verdienen durften, hat man durch Anstellungen in vereinsnahen Betrieben, die oft nicht mehr als Scheinanstellungen waren, dafür gesorgt, dass die Spieler für ihre fußballerischen Dienste entlohnt wurden. Das gibt es heute immer noch. Heute gilt das Prinzip "Jobs gegen Tore", wie ich aus vielen Erzählungen und Berichten weiß, eben schon in der Kreisklasse! Was Scheinanstellungen, aber auch Schwarzgeldzahlungen im Amateurfußball angeht, sind die Finanzbehörden allerdings mittlerweile ziemlich hellhörig geworden, wie das Beispiel des TSV Aindling gezeigt hat.

Verdirbt Geld die Seele des Amateurfußballs?

Die Recherche zu diesem Thema hat sich sehr schwierig dargestellt, da das Thema Geld bei vielen Vereinen scheinbar ein absolutes Tabuthema ist. Warum behaupten viele Vereine bis zur Bezirksliga hinauf ihren Spielern nichts zu bezahlen, obwohl seit Jahren offensichtlich ist, dass das ein "Märchen" ist?
Frohwein: Zum einen vermute ich, dass man sich hier häufig am Rande der Legalität bewegt, oder über diesen Rand hinausgeht. Zum anderen weiß ich, dass Vereine keine Unruhe in die Mannschaft bringen wollen, indem sie sich öffentlich zu Spielerprämien äußern. Häufig herrscht innerhalb von Vereinen oder Mannschaften bei diesem Thema keine Transparenz.

Verdirbt das Geld die Seele des Amateurfußballs?
Frohwein: Geld kann die Strukturen von Fußballvereinen durchaus zum Negativen verändern. Zumindest, wenn man wie ich ein Idealbild des Amateurfußballs hat, das stark von sozialem Miteinander, Austausch und Geselligkeit geprägt ist.

Der Präsident des Bayerischen-Fußballverbands, Rainer Koch, kritisierte vor zwei Jahren Zahlungen an Trainer und Spieler von der Bezirksliga abwärts. Sie seien der Hauptgrund für finanzielle Schwierigkeiten in Vereinen. Teilen Sie seine Meinung.
Frohwein: Ich glaube, dass der Fußball von der Kreisliga abwärts anders funktioniert und Geldzahlungen an Spieler hier mehr kaputt machen als Sinnvolles bewirken. Laut dem aktuellsten Sportentwicklungsbericht ist bei reinen Fußballvereinen in Deutschland der zweitgrößte Posten bei den Ausgaben die Zahlungen an Spieler. Das finde ich schon erstaunlich.

Thema Nachwuchsausbildung und Geld. Qualitative Nachwuchsarbeit kostet viel Geld. Was halten Sie von Vereinen, die keinerlei Nachwuchsarbeit betreiben und das ganze Sponsorengeld einzig und allein in den Spielbetrieb der ersten Mannschaft stecken um möglichst hochklassig zu spielen?
Frohwein: Amateurfußballvereine sind für mich auch wichtige Sozialisationsinstanzen: Dort werden Normen und Werte vermittelt, kommen Menschen unterschiedlichster sozialer und kultureller Herkunft miteinander in Kontakt. Bestenfalls werden dabei Freundschaften auf- und Vorurteile abgebaut. Wenn man das Geld nur in die erste Mannschaft steckt, die Jugendarbeit vernachlässigt und Jugendlichen diese Sozialisationsinstanz nimmt, ist das nicht im Sinne der Gesellschaft. Der Fußball ist nun mal die mit Abstand beliebteste Sportart in Deutschland und kann für die Gesellschaft viel leisten, gerade im Jugendbereich.

Was kann man gegen diesen Trend tun?
Frohwein: Um auf die gesellschaftliche Bedeutung und Funktion des Amateurfußballs aufmerksam zu machen, habe ich zusammen mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit die Veranstaltungsreihe "Mikrokosmos Amateurfußball" entwickelt, die im Frühjahr 2018 ihren Auftakt hatte. Damals hat zum Beispiel Integrationsbotschafter Jimmy Hartwig gesprochen. In den nächsten Jahren soll die Veranstaltung in allen bayerischen Regierungsbezirken Station machen, jeweils mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Sicher wird dabei auch diskutiert werden, was Amateurfußballvereine im Jugendbereich leisten - auch abseits des Fußballplatzes.