U16-Nationaltrainer im Interview

Michael Prus: "Talent ist nicht alles"


U16-Nationaltrainer Michael Prus.

U16-Nationaltrainer Michael Prus.

Am Montag (11 Uhr) gastiert die U16-Nationalmannschaft für ein Spiel gegen die U16 Tschechiens in Bogen. Im idowa-Interview spricht Nationaltrainer Michael Prus über die Situation im deutschen Nachwuchs, den Faktor Team, frühere und spätere Entwicklungssprünge und Kritik an der Talentförderung des DFB.

Herr Prus, am Montag sind Sie mit der U16-Nationalmannschaft zu Gast in Bogen. Wie blicken Sie auf die Partie gegen Tschechien voraus?
Michael Prus: Wir nutzen die erste Halbserie dieser U16-Saison, um vielen Spielern die Möglichkeit zu geben, internationale Erfahrung zu sammeln. Es sind Tests für uns als Mannschaft, aber auch für die Spieler, damit sie sehen können, wie sie sich auf internationalem Level zurechtfinden. Dafür haben wir insgesamt drei Doppel-Länderspiele vereinbart. Wir haben schon gegen Österreich und in Finnland gespielt. Jetzt geht es gegen die Tschechische Republik.

Das heißt, sie nominieren für diese Maßnahmen auch in der Breite viele Spieler und nicht immer die gleichen Top-Talente?
Prus: Genau, insbesondere im ersten Halbjahr ist das so. In der Rückrunde, beginnend mit einem Trainingslager im spanischen La Manga, werden wir den Kreis enger ziehen. Die jetzt nominierten Spieler sind sozusagen auf unserem Radar, sie haben sich allesamt für die Nationalmannschaft empfohlen, indem sie in Lehrgängen oder in ihren Vereinen auf sich aufmerksam gemacht haben. Nun können sie das auf DFB-Ebene nachhaltig bestätigen.

Damit dürfte die Breite an guten Talenten relativ groß sein.
Prus: Einerseits schon, andererseits arbeiten wir derzeit im gesamten deutschen Fußball daran, dieses Niveau zu halten - wenn nicht sogar wieder ein Stück anzuheben, weil uns etwa die Engländer oder Franzosen im Nachwuchs derzeit schon einen Tick voraus sind. Im Jahrgang 2004 haben wir eine ganze Reihe guter Talente. Deshalb ist es aus meiner Sicht auch wichtig, dass wir den Kreis nicht zu früh zu klein halten. Denn aus der Vergangenheit wissen wir, dass die Entwicklungssprünge bei den Spielern sehr unterschiedlich erfolgen. Die einen entwickeln sich früher, andere machen später noch einen größeren Sprung. Wir müssen schauen, dass wir möglichst viele Spieler fördern.

Wie sieht der Ablauf rund um die Länderspiele in Bayern aus?
Prus: Wir haben uns am vergangenen Montag in Regensburg getroffen. Dort haben wir ein paar Trainingseinheiten absolviert. Da wir ein paar Tage Zeit hatten, haben wir aber nicht nur trainiert. Die Mannschaft ist in dieser Form zum ersten Mal zusammengekommen. Deshalb wollten wir auch außerhalb des Fußballs gemeinsame Aktivitäten machen. Wir haben uns zum Beispiel Baseball erklären lassen, da gibt es in Regensburg mit den Buchbinder Legionären ja einen sehr erfolgreichen Club. So versuchen wir, auch ein bisschen Teambuilding einzubauen.

Wie wichtig ist es Ihnen zu sehen, wie sich die Spieler im Team verhalten und nicht nur auf die sportlichen Fähigkeiten zu achten?
Prus: Ich finde das total wichtig. Ich bin der Meinung, dass man auf dem Platz nur als Team funktionieren kann, wenn man es auch daneben lebt. Man muss nicht jeden Mitspieler lieben, aber ein gewisses Verständnis für und ein gewisses Interesse an den Mitspielern ist auf jeden Fall von Nöten. Wie wichtig der Teamgedanke auf dem Platz ist, haben wir in den bisherigen Länderspielen dieser Saison gesehen. Während unsere Mannschaft immer mit einem komplett neu zusammengestellten Kader angetreten ist, haben die Österreicher und Finnen auf ein vergleichsweise eingespieltes Team gesetzt. Da waren sie uns in puncto Zusammenspiel zunächst voraus und es hat ein bisschen gedauert, bis wir unsere Fähigkeiten auf den Platz bringen konnten.

Sie sind seit drei Jahren im Bereich zwischen der U15 und U17 für den DFB tätig. Wie viel Spaß macht Ihnen diese Aufgabe?
Prus: Bei uns ist es so, dass ein Trainer die U15 übernimmt, sie über die U16 bis zur U17 begleitet und anschließend wieder bei der U15 einen neuen Jahrgang übernimmt. Mir macht der Job total viel Spaß. Ich freue mich immer wieder, unsere Talente weiterzuentwickeln und daraus ein starkes Team zu formen. Wir haben schon jetzt einige echt gute Spieler in unseren Reihen, wenngleich aktuell viel über die Nachwuchsarbeit im gesamten deutschen Fußball diskutiert wird. Wenn wir die Talententwicklung in Deutschland insgesamt auf das nächste Level heben und ein paar inhaltliche Korrekturen vornehmen, kann das nur von Vorteil sein. Aber die Änderungen müssen an den richtigen Stellen ansetzen.

Finden Sie die Kritik an der Talentförderung im DFB denn berechtigt?
Prus: Durchaus, ja. Wir machen uns natürlich auch intern viele Gedanken. Das hat im Übrigen schon weit vor dem Aus bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr angefangen. Es ist wichtig, dass man ständig hinterfragt: Was ist gut und was kann man noch verbessern? Daher haben wir - gemeinsam mit der DFL - auch das "Projekt Zukunft" aufgesetzt. Das ist eine Initiative, die Maßnahmen für die Nachwuchsarbeit entwickelt.

Was sind denn Punkte, an denen es anzusetzen gilt?
Prus: Hier würde ich zwei Punkte als Beispiele anführen. Wir haben begonnen, bei den Kindern nicht mehr das Ergebnis in den Vordergrund zu stellen, sondern die Entwicklung. Sie sollen frei, aber zielgerichtet kicken und ihre Spielfreude ausleben können - ohne aber dabei den Wettbewerb abzuschaffen, denn den braucht es natürlich ebenfalls. Ein weiterer Punkt ist, dass wir zuletzt sehr viel im taktischen Bereich gearbeitet haben und dadurch vielleicht das eine oder andere technische Element auf der Strecke blieb. Dort müssen wir wieder stärker ansetzen.

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht der Bereich zwischen U15 und U17 bei der Talententwicklung?
Prus: Sehr wichtig. Die Talente messen sich erstmals international, stellen fest, wie andere Länder Fußball spielen, dass sie andere Ideen verfolgen. Uns ist es wichtig, dass wir uns nach Möglichkeit immer mit den besten Teams messen. Damit wir die Grenzen erfahren und sehen, woran wir noch arbeiten müssen. Es ist aber auch unsere Aufgabe, die Spieler individuell weiterzuentwickeln. Wir werden nicht eine Junioren-Mannschaft komplett in die Bundesliga oder in die A-Nationalmannschaft bringen. Das werden immer nur einzelne Spieler schaffen. Deshalb müssen wir die Top-Talente so weiterentwickeln, dass sie ihre Ziele bestmöglich erreichen können.

In Teil 2 des Interviews spricht Michael Prus über Leitlinien für seine Arbeit, die Stürmersuche im DFB und die überraschende Entwicklung eines aktuellen Nationalspielers

Michael Prus über Leitlinien für seine Arbeit, die Stürmersuche im DFB und die überraschende Entwicklung eines aktuellen Nationalspielers

Inwieweit sind Sie in Ihrer Arbeit frei? Oder gibt es strikte Vorgaben von oben?
Prus: Es gibt Leitlinien des DFB, an denen wir uns orientieren. Zum Beispiel, dass wir das Spiel aktiv gestalten wollen, sowohl im Ballbesitz als auch ohne Ball. Uns werden aber auch gewisse Freiheiten gelassen, ein System ist beispielsweise nicht vorgegeben. Wenn wir in einer Mannschaft zum Beispiel viele gute Stürmer haben, dann können wir auch versuchen, diese auf den Platz zu bringen.

Stichwort Stürmer. Ein durchaus diskutiertes Thema auch in der A-Nationalmannschaft. Sehen Sie denn im Juniorenbereich einen neuen Miroslav Klose?
Prus: (lacht) Das ist in dem Altersbereich, in dem wir uns bewegen, natürlich noch schwer vorherzusagen. Aber ich bin schon der Überzeugung, dass wir talentierte Stürmer haben. Es wäre allerdings unseriös, heute zu sagen: Der oder der wird so gut wie Miroslav Klose. Und ganz nebenbei: Eine solche Aussage wäre auch für einen 16 Jahre alten Spieler eine völlig unnötige Last.

Gibt es Talente, denen Sie eine Profikarriere vorausgesagt haben, die es letztlich nicht geschafft haben, und Spieler, die sie nicht so auf dem Schirm hatten, die dann eine herausragende Entwicklung genommen haben?
Prus: Ja. Ich denke, jeder Trainer kann solche Geschichten erzählen.

Haben Sie ein Beispiel?
Prus: Ich war, bevor ich Nationaltrainer geworden bin, schon als Co-Trainer im Juniorenbereich dabei. Spontan fällt mir zum Beispiel Nico Schulz ein. Ich finde, dass er ein Spieler ist, der eine überraschend positive Entwicklung genommen hat, das freut mich wahnsinnig für ihn. Als er in den Nachwuchsteams auflief, gab es Spieler, die zum damaligen Zeitpunkt weiter waren. Aber Nico ist mit Ehrgeiz und Mentalität drangeblieben. Mittlerweile gehört er zum festen Bestandteil des DFB-Teams.

Talent oder harte Arbeit - was ist Ihrer Einschätzung nach wichtiger, um es nach oben zu schaffen?
Prus: Ich glaube schon, dass harte Arbeit den Großteil ausmacht. Talent braucht es auch, ganz klar. Das ist aber nicht alles. Es braucht zudem das nötige Quäntchen Glück. Der Spieler sollte sich möglichst wenig verletzen, braucht Trainer, die ihn fördern. Denn jeder Spieler durchläuft auch mal ein Tief. Wenn er in einer solchen Phase gute Ansprechpartner hat, dann kann er es gut überstehen und eventuell sogar gestärkt daraus hervorgehen. Es hilft, wenn man sich die Dinge selbst erarbeitet und sich auch mal durchbeißen muss.

Wenn sie verschiedene Jahrgänge vergleichen: Merken Sie, dass die Qualität der Spieler nachlässt oder besser wird?
Prus: Es gibt - wie in vielen anderen Bereichen - auch Wellenbewegungen. Manche Jahrgänge vereinen vier, fünf, sechs Spieler, die richtig viel Talent mitbringen. Dann gibt es aber auch Jahrgänge, da ist es schwer, wirklich herausragende Talente zu finden. Mit dem 2004er Jahrgang haben wir wieder einen ganz guten.

Kommen wir noch einmal zum anstehenden Spiel gegen Tschechien in Bogen zu sprechen. Was wollen Sie von Ihren Spielern sehen, was sind Ihre Erwartungen?
Prus: Ich möchte sehen, dass sie die Dinge, die wir ansprechen und trainieren, versuchen umzusetzen. Wir wollen einen zielgerichteten Spielaufbau haben, wollen Bewegung im Mittelfeld, immer wieder Anspielstationen schaffen und uns viele Chancen erspielen. Wichtig ist aber auch, dass sich alle Spieler an der Defensive beteiligen. Ich möchte, dass wir es schaffen, unsere Fähigkeiten schnell auf den Platz zu bringen. Dafür ist eine gute Kommunikation von Nöten. Die Spieler müssen auf dem Platz auch selbst Verantwortung übernehmen.

Wie schätzen Sie Gegner Tschechien ein?
Prus: Wir haben uns natürlich vor der Maßnahme verschiedene Videosequenzen angesehen. Das ist eine kompakte Mannschaft, wir sollten aber in der Lage sein, uns durchzusetzen und das Länderspiel zu gewinnen.