Erstes Geisterspiel in München

Alles anders: Der AZ-Report aus der Allianz Arena


AZ-Reporter Patrick Strasser in der Allianz Arena.

AZ-Reporter Patrick Strasser in der Allianz Arena.

Von Bernhard Lackner

Patrick Strasser, der Bayern-Reporter der AZ, hat in der Allianz Arena viele große, emotionale Partien erlebt - aber noch nie ein Geisterspiel. Eine Reportage von einem ganz anderen Fußballerlebnis.

München - Nach getaner Arbeit schlurfen die Bayern-Profis mit ihrem Hab und Gut, verstaut in Rucksäcken oder Tüten, zu ihren Autos. Aus den Katakomben geht's noch einmal raus auf den Rasen, die Trainerbank der Bayern rechts liegengelassen ab durchs Marathon-Tor.

Keine Fans, kein Selfiejäger am Parkplatz. Und tschüss. Das erste Pflicht-Heimspiel der Vereinshistorie des FC Bayern ohne Fans war für alle Beteiligten ein Erlebnis der anderen Art, irgendwo zwischen absurd und surreal. Als Reporter im Einsatz für die Abendzeitung habe ich schon viele Trainingsspiele gesehen, selbst an Tagen, an denen nur Journalisten einer Einheit beiwohnen durften.

In einem prachtvollen Rund wie der Allianz Arena, eröffnet vor 15 Jahren, habe ich derart Sonderbares wie am Samstagabend noch nie erlebt. Ein Geisterspiel mit den 321 Menschen, die für die Durchführung im Konzept der DFL Task Force vorgesehen sind, als neue Erfahrung. Grenzwertig. Weil: schön und schaurig zugleich.

Bei der Ankunft wird die Körpertemperatur gemessen

Samstag, 16.30 Uhr. Ich wähle das Auto für die Fahrt nach Fröttmaning. Vor Corona-Zeiten habe ich stets die U-Bahn genommen, trotz Umsteigen. Etwas einlesen fürs Spiel, etwas eingrooven dank der Fangesänge beider Lager. Körper an Körper, eine Sauna-Fahrt gratis. Vom Feeling her kein gutes Gefühl, aber besser als nerviges Warten Stoßstange an Stoßstange. Diesmal: Koan Stau!

Die Fahrt in den Norden Münchens flutscht nur so, die Hürden lauern bei der Einfahrt ins Parkhaus, das ich sonst gerne meide. Hier, an der Zufahrt S1/S0, erfolgt - wie angekündigt - im Auto eine Messung der Körpertemperatur durch das Bayerische Rote Kreuz.

Bundesliga-Geisterspiel: Nur die Spieler tragen keine Masken

36,8 Grad, alles in Ordnung. Den Fragebogen zu meinem allgemeinen Gesundheitszustand gebe ich ab - und rein. Vor mir fahren zwei Kollegen rechts ran. Was ist los? Erneuter Fieber-Check nötig, war wohl bei der ersten Messung zu heiß im Auto. Sie folgen mir rasch. Mit Mund-Nasen-Schutz geht es direkt auf die Pressetribüne, da sämtliche Medienarbeitsbereiche geschlossen sind. Der Platz für die Reporter ist zugewiesen, mehrere Meter von mir entfernt mit Sicherheitsabstand: einer der anderen neun Kollegen. Währenddessen suchen die drei zugelassenen Fotografen ihre Einsatzbereiche. Die einzigen Menschen ohne Maske sind die Spieler, die sich auf dem Rasen warmmachen.

Zehn Minuten vor Anpfiff werden die Auswechselbänke, großzügig in den Unterrang der Haupttribüne gebaut, desinfiziert. Pressesprecher Dieter Nickles verliest sachlich-nüchtern die Namen aller Spieler. Mit Vor- und Nachnamen. Ohne Widerhall, ohne das Vorfreudegebrüll der Fans. Stadionsprecher Stephan Lehmann ist nicht da, mehr Personal zu "nominieren" war nicht möglich. Es läuft getragene, soulige, dem kühlen Regenwetter angepasste Musik. Auf die Klassiker, die Vereinslieder, verzichtet man dennoch nicht.

Immerhin die Kommandos bilden einen Mehrwert

Im Spiel hört man die Kommandos der Spieler. "Gut so, Boys!", lobt Abwehrchef David Alaba seine französisch-deutsch-österreichisch-kanadische Viererkette. "Auf geht's! Zustellen!", ermahnt Torhüter Manuel Neuer die Vorderleute. Ein Mehrwert, dieser Einblick in die Absprachen. Wenn man den Blick über die leeren Sitzschalen schweifen und dabei große Arena-Abende voller Emotionen vor dem geistigen Auge hat, reißt einen das Klatschen und Anfeuern der Betreuer und Ersatzspieler zurück in die Realität. Donnert der Ball an Latte oder Pfosten, meint man, der Tisch unter dem Laptop kracht zusammen. Auch der traditionelle Tor-Jingle wird gespielt. Bisschen Alltag, wenigstens.

Man stelle sich vor, einen richtig guten Film anzuschauen - mit nur wenigen Leuten im riesigen Kinosaal. Das Spektakel stimmt, aber das Popcorn fehlt, das Rascheln, Schluchzen und Tuscheln der anderen, die Atmosphäre. Pandemien kennen keinen Glamour. Geisterspiele laufen unprätentiös ab, nüchtern, steril. Aber genau das ist das Überlebens-Konzept der Liga für den Spielbetrieb Marke Notstromaggregat. Alles muss, nichts kann.