Landshuter Zeitung

Zehn Austritte an einem Tag


Von Redaktion idowa

Von Claudia Hagn
Ganze 31 Euro reichen - dann ist der Austritt aus der Kirche amtlich. 25 Euro ist die Gebühr, sechs Euro kostet die Bescheinigung, sagt Andreas Rauhmeier, Sachgebietsleiter beim Standesamt, wo Kirchenaustritte verwaltet werden. In diesem Jahr haben bis Freitag 86 Personen die 31 Euro bezahlt. 47 waren es im März, allein zehn kamen in der letzten Woche an einem Tag.

Zwar waren es 2009 noch mehr, nämlich 58, die sich im März zum Austritt entschieden; Rauhmeier vermutet jedoch, dass 2009 wirtschaftliche Gründe viele zum Austritt brachten. Denn in den Jahren vorher waren es im März nur immer durchschnittlich rund 25 Personen. Genaue Gründe für die Austritte weiß Rauhmeier nicht; denn Bürger müssen keinen Grund für ihre Entscheidung angeben. Und auch ist nicht klar, welcher Religionsgemeinschaft genau die Menschen den Rücken kehren - das wird ebenfalls nicht erfasst.

Jeder dritte, viere äußere sich überhaupt, warum er austrete. Die meisten legten einfach den Ausweis hin, zahlten und sicherten sich die Bescheinigung. In der vergangenen Woche sei die Zahl jedoch sprunghaft gestiegen, sagt Rauhmeier. Zehn Bürger an einem Tag, die aus der Kirche austreten wollten - das sei auffällig.

Auf die gehäuften Kirchenaustritte in der Region reagiert Stiftspropst Monsignore Bernhard Schömann mit Bedauern. "Das ist sicher eine Reaktion auf die momentanen Ereignisse", sagte er gestern. Für ihn gebe es nur die eine Möglichkeit, nämlich alle Vorfälle von sexuellem Missbrauch aufzudecken und an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. "Das ist und bleibt ein Straftatbestand." Im Erzbistum München-Freising werde laut seinen Kenntnissen momentan "rigoros" aufgedeckt. Laut einer kürzlichen Umfrage von Emnid glauben 89 Prozent der deutschen Bürger daran, dass die momentan aufgedeckten Fälle nur die Spitze des Eisbergs seien. Eine Ansicht, die bei Schömann Verwunderung hervorruft. "Das hieße ja, dass in allen Einrichtungen der Kirche Kinder missbraucht werden. Das ist Unsinn."

Die negativen Schlagzeilen der letzten Monate könnten der Kirche Schaden zufügen; dies müsse die Kirche jedoch tragen, sagt der Stiftspropst, "ich weiß nicht, ob die Kirche ohne größeren Schaden aus dieser Thematik herauskommt." Es sei zudem nicht die Aufgabe der Kirche, darauf Wert zu legen, ob sie beliebt sei oder nicht. "Sie muss das Evangelium verkünden, durch Seelsorge, karitatives Arbeiten, durch Gottesdienste." Den Stiftspropst stört eines an der momentanen Berichterstattung in den Medien; nämlich nicht differenzierende Meldungen zwischen sexuellem Missbrauch und körperlicher Züchtigung. Vor Jahrzehnten, und auch zu seiner Schulzeit, sei körperliche Bestrafung in Schulen noch geduldet gewesen. "Ich will das keinesfalls unterstützen. Aber Lehrer haben Kinder damals in dieser Art und Weise bestraft."

Zu den Aussagen von Regensburgs Bischof Müller äußerte sich Schömann nur am Rande. Eines könne man sagen: "Müller geht keinem Konflikt aus dem Weg." Müller hatte in seiner umstrittenen Predigt vergangenen Samstag erwähnt, dass Geistliche beschimpft würden - davon kann Schömann in Landshut nicht berichten. Auch die Teilnahme an den Gottesdiensten sei nicht geringer geworden. Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer - aus der Kirche austreten, erhalten in jedem Fall einen Brief von ihrer Gemeinde und das Angebot für ein Gespräch. "Man muss hinhören und darüber reden, was der eigentliche Grund für den Austritt ist", sagt Schömann. Es könne sich auch um eine langfristige Entfremdung von der Kirche handeln. Dass die momentanen Missbrauchsfälle bei vielen das Fass sozusagen zum Überlaufen gebracht hätten, das wollte Schömann nicht bejahen, aber auch nicht verneinen. Aber es gebe viele Themen, bei denen die Kirche schon unter Beschuss geraten sei.

Auch der Pfarrgemeinderatsvorsitzende von St. Martin, Manfred Gebel, verurteilt die Missbrauchsfälle scharf. Es sei für ihn in keinster Weise nachvollziehbar, wie ein ausgebildeter Pädagoge so reagieren könne. Jedoch würden sicherlich nur die austreten, die eh nicht in die Kirche gingen. "Und die fühlen sich durch die Berichte bestätigt in ihrer Entscheidung", sagt Gebel.

Man dürfe aber nicht nur das Negative an der Kirche sehen, sondern auch das Positive wieder in den Vordergrund rücken. Pädophile Priester müssten ohne Ausnahme aus dem kirchlichen Dienst suspendiert werden; zusätzlich sei eine strafrechtliche Verfolgung unbedingt nötig. Jedoch verwies Gebel auf die Vergebung, die im katholischen Glauben verankert sei. Trotz der Missbrauchsfälle sei die Martinskirche am Sonntag sehr gut gefüllt gewesen. Das Thema bewege die Menschen.

Mehr dazu lesen Sie in der Landshuter Zeitung vom 23. März 2010!