Interview mit SPD-Chef

Walter-Borjans: "Olaf Scholz soll Kanzler werden"


SPD-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans.

SPD-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans.

Von André Wagner

Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans spricht im AZ-Interview über Kanzlerkandidat Olaf Scholz - und seine möglichen Gegner.

Am Montag wurde Bundesfinanzminister als Kanzlerkandidat der SPD auserkoren. Aber wird er nun auch Parteivorsitzender? Die AZ hat sich darüber mit Norbert Walter-Borjans unterhalten.

AZ: Herr Walter-Borjans, meist sind Kanzlerkandidaten auch Chef der Partei, auch bei Martin Schulz war das so. Werden Sie Olaf Scholz jetzt ihren Posten als SPD-Chef überlassen, um seine Position im Rennen um das Bundeskanzleramt zu stärken?
NORBERT WALTER-BORJANS: Für Olaf Scholz, Saskia Esken und mich steht fest: Olaf Scholz soll Kanzler werden - im bewährt engen Schulterschluss mit denen, die jetzt an der Spitze der Partei stehen. Ich habe mit meiner Kandidatur für das Amt des Parteivorsitzenden bewusst keine anderen Ambitionen verbunden. Insofern war die logische Folge, dass jemand anderes Kanzlerkandidat wird.

Mir geht es um die Profilschärfung der SPD. Deshalb bin ich auch nicht angetreten, um nur den Wegbereiter eines Kanzlerkandidaten zu machen. Denn dann hätten wir ja sofort wieder die Situation, die von den Mitgliedern kritisiert worden ist, nämlich dass die SPD-Programmatik viel zu lange aus Koalitionszwängen heraus definiert worden ist. Außerdem können wir in der gegenwärtigen Konstellation die unterschiedlichen Strömungen in der Partei am besten zusammenführen.

Scholz als Parteichef? "Das kann ich mit Gewissheit sagen"

Wie sieht die Rollenverteilung zwischen Ihnen und Olaf Scholz aus?
Als langjähriger Finanzminister eines großen Bundeslandes bringe ich selbst Regierungserfahrung ein, stecke aber nicht in der Kompromissverpflichtung der Großen Koalition. Deshalb kann ich die Profilbildung unserer Partei freier angehen. Saskia Esken bringt große Erfahrung in der Digitalisierungs- und Sozialpolitik mit. Olaf Scholz ist als umsetzungsstarker Vizekanzler und besonnener Verhandler der ideale Kanzlerkandidat. An dieser Konstellation wollen wir alle drei nichts ändern.

Olaf Scholz wird also nicht Parteichef?
Das kann ich mit Gewissheit sagen.

Nicht alle in Ihrer Partei begrüßen Ihre Entscheidung für Olaf Scholz. Wie schwierig war der Auswahlprozess?
Die Ereignisse dieses Jahres, speziell natürlich Corona, haben eines deutlich gezeigt: Die hohe Zustimmung für Saskia Esken und mich als Parteivorsitzende, die gibt es noch genau wie vor einem Jahr. Aber für viele gilt das längst nicht mehr als Gegenentwurf zu Olaf Scholz. In der Partei besteht der starke Wunsch, den Weg jetzt zusammen zu gehen. Die Mitglieder merken, dass wir das tun und uns nicht mit Eifersüchteleien aufhalten. Das gilt für den Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, für Vizekanzler Olaf Scholz und für uns beide als Parteivorsitzende. Aber machen wir uns nichts vor: Bei einem Teil unserer Mitglieder, der die Entwicklung im letzten Jahr nicht so intensiv verfolgen konnte, ist schon noch ein Stück Überzeugungsarbeit zu leisten. Das gehört aber zu einer Volkspartei dazu.

"Wir wollten früh Klarheit schaffen"

Wann wird die SPD ein "Kompetenzteam" oder "Schattenkabinett" für den Wahlkampf vorstellen?
Wir haben eine Programmkommission eingerichtet, die identisch ist mit dem Präsidium, unter anderen den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden, darunter Kevin Kühnert und Generalsekretär Lars Klingbeil als Wahlkampfleiter. Olaf Scholz ist selbstverständlich dabei. Gemeinsam mit externen Experten werden wir ein gutes Programm entwickeln, aber wir beabsichtigen nicht, daraus so eine Art Bühnen-Performance zu machen.

Welche Lehren ziehen Sie aus dem Wahldebakel von 2017 mit Kanzlerkandidat Schulz?
Aus unserer Sicht war es wichtig, jetzt früh Klarheit zu schaffen. Es sollte nicht wieder erst acht Monate vor der Wahl sein wie bei Martin Schulz. Wenn wir uns untereinander darüber klar sind, sollten wir auch dem Wähler Klarheit geben. Wohlwissend, dass sich in der Phase, in der ein Kandidat bekannt ist, auch viele Pfeile auf ihn richten. Aber damit kann Olaf Scholz umgehen. Wichtig ist jetzt, dass wir Geschlossenheit zeigen. Ich bin gespannt, wie das jetzt in der CDU läuft. Eine weitere Lehre aus 2017 ist, dass wir die große Linie, für Gerechtigkeit und Zusammenhalt einzutreten, stärker mit konkreten Inhalten füllen werden.

Ist die Wahlkampfkasse der SPD gut genug gefüllt für eine lange Kampagne? Laut Berichten fehlen durch schlechte Wahlergebnisse rund zehn Millionen Euro?
Sicher haben wir weniger Mittel zur Verfügung als in früheren Wahlkämpfen. Aber wir setzen auch auf digitale Strategien, mit denen wir die Wähler heute erreichen können. Dazu kommen unsere engagierten Mitglieder. Das ist eine Stärke der SPD.

Sie streben ein Bündnis mit Grünen und Linken an. Sie haben aber klar gesagt, dass die Linken dafür etwa ihre Ablehnung der Nato aufgeben müssten. Die Grünen scheinen eher der Union zugeneigt. Wie realistisch ist so ein Bündnis dann überhaupt?
Wir wollen die Grundlagen für unseren Wohlstand erhalten und für sozialen Ausgleich sorgen. Dafür müssen wir der wachsenden Ungleichheit entgegenwirken und wirksamen Klimaschutz betreiben. Das geht nur mit einer Mehrheit im Bundestag, die wir sicher nicht allein erreichen. Wenn wir jetzt schon anfingen, demokratische Wettbewerber auszuschließen, würden wir als Juniorpartner einer Großen Koalition verkümmern. Wir wollen stärkste Kraft in einem Zukunftsbündnis werden. Was geht, liegt auch an möglichen Partnern und ihren möglichen oder unmöglichen Forderungen. Ich habe allerdings oft genug an Koalitionsverhandlungen teilgenommen, und am Ende waren viele Punkte lösbar.

"Wir haben immer eine Politik für die große Mehrheit gemacht"

Es heißt oft, dass die SPD bei ihrem Linksruck die gesellschaftliche Mitte aus dem Blick verloren hat. Wie wollen Sie sie zurückgewinnen?
Es ärgert mich, wie der Begriff der Mitte missbraucht wird, wenn sich etwa Friedrich Merz schon für einen Angehörigen der gehobenen Mitte hält. Wir haben in den vergangenen Jahren immer eine Politik für die große Mehrheit gemacht. Ja, das sind auch die Hilfsbedürftigen, die Menschen ohne Erwerbstätigkeit, aber eben auch die Erwerbstätigkeiten mit einem über dem Durchschnitt liegenden Einkommen. Unser Steuerkonzept für die Bundestagswahl 2017 hätte eine Entlastung aller Menschen mit einem Einkommen von bis zu 90.000 Euro brutto als Single oder 180.000 Euro als Paar bedeutet. Da reden wird von einer Mehrheit von 98 Prozent. Den übrigen zwei Prozent würden wir tatsächlich einen höheren Beitrag zumuten. Dann so zu tun, als würden wir die Mitte um ihren hart erarbeiteten Lohn zu bringen, ärgert mich, das ist Propaganda von Multimillionären, die die Mitte für sich instrumentalisieren und damit gegen deren eigene Interessen.

Angela Merkel tritt ja jetzt als Kanzlerin ab, wie kann die SPD davon profitieren?
Ohne da jetzt illusionäre Hoffnungen dran zu knüpfen - aber wenn Angela Merkel jetzt abtritt, wird sehr deutlich, wessen Handschrift die allseits geschätzte Regierungspolitik der letzten Jahre wirklich trägt, nämlich die der SPD. Und dass derjenige, der neben Angela Merkel die größte Erfahrung in dieser Regierung vorweisen kann, der Sozialdemokrat Olaf Scholz ist.

Union und Grüne müssen sich noch auf einen Kanzlerkandidaten festlegen. Wen würden Sie sich als Gegner wünschen? Rechnen Sie mit einer Kandidatur von Markus Söder?
Markus Söder kenne ich sehr gut aus Zeiten, als wir beide Finanzminister waren, er in Bayern, ich in Nordrhein-Westfalen. Er war schon immer enorm wandlungsfähig mit einem gewissen Bauchgefühl. Schwer zu sagen, wohin ihn sein Bauchgefühl diesmal treibt. Ich finde schon bemerkenswert, wie gegensätzlich die Positionen innerhalb der Union sind, zwischen Laschet, Söder oder Merz. Und dann stellen die sich hin und sagen, bei der SPD sei ungeklärt, in welche Richtung es geht. Unser Weg ist klar auf ökonomische und ökologische Erneuerung in sozialer Verantwortung gerichtet. Mit seiner Solidität und der Erfahrung auf Bundesebene und im internationalen Bereich muss sich Olaf Scholz weder vor einem Söder, noch vor einem Laschet oder Merz fürchten.

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