Diskussion um Tempolimit

Verkehrsexperte: Deutsche Autobahnen? Eine Strafe!


Demolierte Fahrzeuge stehen an einer Unfallstelle auf der Autobahn A7 im November 2019 bei Marktbreit im Nebel. 29 Menschen wurden verletzt, 18 Fahrzeuge waren beteiligt.

Demolierte Fahrzeuge stehen an einer Unfallstelle auf der Autobahn A7 im November 2019 bei Marktbreit im Nebel. 29 Menschen wurden verletzt, 18 Fahrzeuge waren beteiligt.

Von Markus Giese

Verkehrsexperte Harald Kipke äußert sich zur aktuellen Debatte um Tempo 130 - und er verrät, warum er auf das Auto als Fortbewegungsmittel möglichst verzichtet.

AZ-Interview mit Harald Kipke: Der Diplom-Ingenieur ist Professor an der Teschnischen Hochschule Nürnberg und unterrichtet unter anderem Verkehrs- und Stadtplanung.

Verkehrsexperte Harald Kipke.

Verkehrsexperte Harald Kipke.

AZ: Herr Professor Kipke, kann man durch ein Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen einen signifikanten Sicherheitsgewinn erzielen?
HARALD KIPKE: Diese Frage kann ich eindeutig mit Ja beantworten. Eine Hypothese wie "Tempo 130 führt zu Sicherheitsgewinnen" kann wahr sein ohne, dass es nachweisbar ist, aber warum? Je mehr Daten eine Hypothese bestätigen, desto "sicherer" ist sie. Wir müssten also einmal flächendeckend, vielleicht in einem Bundesland ein Tempolimit einführen, und zwar gleich über mehrere Jahre, um hieraus genügend Daten zu gewinnen.

Es gab wohl schon einmal einen derartigen Versuch in Mecklenburg-Vorpommern, der die Hypothese "Sicherheitsgewinn" bestätigt hat und natürlich die vielen Ergebnisse aus dem Ausland, wobei wir da ja in der Regel keinen entsprechenden "Vergleichszustand" haben, da es in allen Ländern der Welt schon länger ein Tempolimit auf Autobahnen gibt.

Und weshalb ist die Hypothese wahr, obwohl nicht in der Realität nachweisbar?
In der Theorie ist ein Sicherheitsgewinn einfach abzuleiten, da kann man auf die Gesetze der Physik zurückgreifen. Die Aufprallenergie im Falle eines Unfalls ist direkt proportional zur kinetischen Energie der Fahrzeuge und die wächst nicht linear sondern quadratisch mit der Geschwindigkeit, das heißt, ein Fahrzeug, das mit 160 km/h auf ein Hindernis prallt, hat um 50 Prozent mehr Bewegungsenergie und damit auch mehr Schadenspotenzial als das gleiche Fahrzeug mit 130 km/h, obwohl die Geschwindigkeit nur um etwa 20 Prozent höher liegt. Bereits hieraus lässt sich ein entsprechender Sicherheitsgewinn begründet vermuten.

Die Autobahnen sind bezogen auf die Verkehrsleistung aber doch die sichersten Straßen.
Das ist richtig. Kein Autofahrer bleibt jedoch auf der Autobahn, denn irgendwann wird diese Person auf das untergeordnete Straßennetz wechseln und ist nun gezwungen sein Fahrverhalten ziemlich radikal zu ändern, was bekanntlich nicht jedem gelingt. Ich selbst gehe daher davon aus, dass mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen auf 130 km/h oder besser noch darunter, erhebliche Sicherheitsgewinne im untergeordneten Straßennetz zu erzielen wären - und zwar gerade dann, wenn von einer Autobahn auf ein städtisches Straßennetz gewechselt wird.

Wird das langsamere Fahren nicht monotoner, so dass der Ermüdung Vorschub geleistet wird?
Die Gegner eines Tempolimits verweisen hierbei gerne auf das "Yerkes-Dodson-Gesetz", wonach die kognitive Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit vom allgemein-nervösen Erregungsniveau in einem mittleren Anspannungsbereich am höchsten ist. Es fehlt jedoch der Nachweis, ob sich bei hoher Geschwindigkeit, also bei ständig hohem Tempo auf linker Spur, nicht ebenso ein entsprechender Gewöhnungseffekt einstellt, der die kognitive Leistungsfähigkeit senkt. Aus einem fehlenden Tempolimit lässt sich keinesfalls ein geringeres Unfallrisiko ableiten.

Sie selbst haben ja kein Auto. Wenn Sie eines hätten, würden Sie schneller als 130 fahren wollen?
Wenn ich ehrlich bin, nein, aber das hat auch damit zu tun, dass ich derzeit grundsätzlich in einem deutlich langsameren Fortbewegungsmodus unterwegs bin, nämlich häufig zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Aber natürlich war ich im jungen Alter - wie fast alle in meiner Generation - ein begeisterter Autofahrer. Wir sind jedoch weniger "schnell" als eher "sportlich" gefahren. Meine Frau und ich haben nun seit eineinhalb Jahren kein Auto mehr, und wir wollen auch keins mehr. Für mich ist es mittlerweile als Fahrer oder Beifahrer eine Strafe, auf deutschen Autobahnen unterwegs sein zu müssen, aber da bin ich wohl eine Ausnahme.

Lesen Sie hier den Kommentar zum Thema: Scheuer gegen Tempolimit - der Autolobby-Andi