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Deutschland als Absteiger? Lindner für "Wirtschaftswende"


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Parteichef Christian Lindner spricht zu Beginn des 75. Ordentlichen Bundesparteitages der FDP in Berlin.

Von dpa

Die FDP-Spitze hat vom Bundesparteitag der Liberalen große Unterstützung für ihre Forderung nach einer "Wirtschaftswende" für Deutschland bekommen. Eine große Mehrheit der Delegierten votierte in Berlin für den dazu vorgelegten Leitantrag des Bundesvorstands. Dieser formuliert die wesentlichen Forderungen des Zwölf-Punkte-Papiers aus, das bei den Koalitionspartnern für Verärgerung gesorgt hatte.

In dem Papier fordert die FDP Priorität für wirtschaftliches Wachstum, Steuersenkungen und eine Haushaltspolitik, die nicht auf weitere Verschuldung baut. Enthalten ist die Forderung nach einem dreijährigen Moratorium für den Sozialstaat: In dieser Zeit soll es keine neuen Sozialleistungen geben.

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«Streitbar in Europa»: Der Parteitag der FDP um Lindner (l-r), Strack-Zimmermann und Djir-Sarai könnte für Zoff in der Ampel-Koalition sorgen.

Allerdings machte Lindner in seiner mehr als einstündigen Rede an mehreren Stellen deutlich, dass er einen Erfolg der Ampel-Koalition will, kein vorzeitiges Ende. Scharf griff er wiederholt die Union an. Seine Partei hatte bei der letzten Bundestagswahl 11,5 Prozent der Stimmen geholt und dümpelt nun in Umfragen nur noch bei 5 Prozent. Damit wäre aktuell nicht mal ein Wiedereinzug in den Bundestag sicher - auch dies kein guter Zeitpunkt, um die Reißleine zu ziehen und die Ampel platzen zu lassen. In der FDP-Parteispitze geht man zudem davon aus, dass wechselfreudige Wähler zur Union abgewandert sind, aber auch zurückgewonnen werden können.

Dabei setzt die FDP nun voll auf Wirtschaftskompetenz, den Erhalt des Wohlstands sowie Chancen für Leistungsfreudige und Talente: "Wir haben tatsächlich die Köpfe. Wir haben das Know-how, wir haben das Kapital, aber unser Land steht sich zu oft selbst im Weg", sagte Lindner. Und er beschrieb einen peinlichen Moment auf internationaler Bühne: Bei einem Treffen von Finanzministern und Notenbankchefs aus 190 Nationen in der vergangenen Woche sei eine Folie zu globaler Wachstumsschwäche mit einer Straßenszene der Berliner Friedrichstraße bebildert worden.

Der FDP-Vorsitzende machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) für überbordenden Verwaltungsaufwand in Unternehmen verantwortlich. "Bürokratiestress hat einen Vornamen: Ursula."

Erneut forderte Lindner die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. "Bevor wir uns von Karlsruhe aus Rechtsgründen dazu zwingen lassen, sofort und ohne Plan auf den Soli verzichten zu müssen, sollten wir lieber die klare politische Entscheidung treffen, planvoll Schritt für Schritt auf ihn zu verzichten", sagte er.

Auch das Konzept der Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) nahm Lindner sich vor und kritisierte, dass dafür bis zu 5000 zusätzliche Stellen geschaffen werden müssten. Und nach einer Studie im Auftrag ihres Ministeriums würden bis zu 70.000 Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden, weil sie keinen Arbeitsanreiz mehr hätten. Es spreche nichts gegen die Kindergrundsicherung, wenn die gemeinsam vereinbarten Bedingungen erfüllt würden, sagte er. Lindner sprach sich aber dafür aus, das Geld anders zu investieren: "Wäre es nicht besser, diese Milliarden einzusetzen in mehr und qualitätsvolle Kinderbetreuung, damit niemand gegen den eigenen Willen in Teilzeit verbleibt, weil man weiß, die Kinder sind gut untergebracht."

Der Ukraine sagte der Bundesfinanzminister weitere deutsche Hilfe bei ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu. Dies liege auch im eigenen deutschen Interesse. "Wir unterstützen die Ukraine, weil sie unsere first line of defence (erste Verteidigungslinie) gegen Putin ist", sagte Lindner. Kremlchef Wladimir Putin habe die Ukraine angegriffen - "er meint aber uns alle und unsere Lebensweise".

Putin wolle nicht nur die Ukraine von der Landkarte entfernen, er wolle auch Europa und die Nato spalten und erreichen, dass sich die USA aus Europa zurückziehen, warnte Lindner. "Putins Ziel ist nicht die Ukraine. Putins Ziel ist es, Macht über uns ausüben zu können. Und das darf ihm niemals gelingen."

Nötig sei, die eigene Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung zu verbessern. Das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr werde in einigen Jahren verbraucht sein, dann werde man die Streitkräfte aus den regulären Mitteln ertüchtigen müssen. Dies werde nicht mit immer neuen Schulden gehen. "Die Aufgabe, die vor uns steht, Frieden und Freiheit in Deutschland, Europa und der Welt zu verteidigen, diese Aufgabe ist nicht limitiert auf wenige Quartale oder Jahre. Potenziell ist es eine Aufgabe für Jahrzehnte und Generationen", sagte Lindner. "Und deshalb kann das nicht auf Pump erfolgen. Wir brauchen dazu unsere Wirtschaftskraft."

Vor dem Parteitag hatte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken die Gemeinsamkeiten des Koalitionsprojekts beschworen und die Freidemokraten davor gewarnt, Zweifel am Zusammenhalt zu nähren. "Angesichts der gegenwärtigen internationalen Krisen widerspräche es staatspolitischer Verantwortung, die deutsche Position zu schwächen, indem man die Koalition infrage stellt", sagte Esken dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Sie fügte hinzu: "Wir haben noch einiges gemeinsam vor. Und man darf bei allen Differenzen nicht vergessen: Vieles wird ohne jeden Streit beschlossen und umgesetzt." Die SPD-Chefin verwies auf die Gründungsidee des Ampel-Bündnisses: "Wir haben diese Koalition mit viel Mut geschlossen - und auch aus staatspolitischer Verantwortung. Die Idee war, dass sehr unterschiedliche Partner das Land genau dadurch voranbringen können, dass sie ihre unterschiedlichen Ideen zusammenfügen."


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