60 Jahre Élysée-Vertrag

Scholz und Macron beschwören Länder-Freundschaft


Bundeskanzler Olaf Scholz (l) und der französische Präsident Emmanuel Macron äußern sich nach der gemeinsamen Kabinettssitzung in Paris.

Bundeskanzler Olaf Scholz (l) und der französische Präsident Emmanuel Macron äußern sich nach der gemeinsamen Kabinettssitzung in Paris.

Von Von Michael Fischer, Michael Evers und Martina Herzog, dpa

Zuletzt hat es zwischen Deutschland und Frankreich ziemlich geknirscht. Das Jubiläum des Élysée-Vertrags machen Scholz und Macron nun zu einer großen Versöhnungsshow.

Nach erheblichen Spannungen in den letzten Monaten haben Deutschland und Frankreich am 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags die Bedeutung ihrer Freundschaft für die Zukunft Europas beschworen. Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte bei einem Festakt in der Pariser Sorbonne-Universität, Deutschland und Frankreich seien für ihn wie "zwei Seelen in einer Brust". "Für einen Franzosen über Deutschland zu sprechen heißt, über einen Teil von sich selber zu sprechen", sagte er vor mehr als 30 Ministern beider Regierungen und rund 200 Parlamentariern.

"Deutsch-französischer Motor ist eine Kompromissmaschine"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dankte den "französischen Brüdern und Schwestern" auf Französisch für ihre Freundschaft. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Ländern wertete er als Normalität bei einer so engen Zusammenarbeit. "Der deutsch-französische Motor ist eine Kompromissmaschine - gut geölt, aber zuweilen eben auch laut und gezeichnet von harter Arbeit", sagte Scholz. "Seinen Antrieb bezieht er nicht aus süßem Schmus und leerer Symbolik. Sondern aus unserem festen Willen, Kontroversen und Interessenunterschiede immer wieder in gleichgerichtetes Handeln umzuwandeln."

Verbunden mit dem Festakt war eine gemeinsame Kabinettssitzung, die aber nur wenige konkrete Ergebnisse brachte. Unter anderem vereinbarten die beiden Regierungen die Verlängerung einer Wasserstoff-Pipeline von Frankreich nach Spanien bis nach Deutschland. Der Ukraine sagen sie darin "unerschütterliche Unterstützung" zu, ohne auf konkrete Waffensysteme wie Kampfpanzer einzugehen.

Anreise mit zwei Regierungsfliegern

Vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag zur Aussöhnung der beiden einstigen Erbfeinde und Kriegsgegner in Paris unterzeichnet. Er gilt bis heute als Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Zum Jubiläums-Festakt und den anschließenden Beratungen beider Regierungen wurde Scholz von seinem fast kompletten Kabinett nach Paris begleitet. Nur Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fehlte krankheitsbedingt. In einem zweiten Flugzeug reisten mehr als 100 Mitglieder des Bundestags an, angeführt von Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD).

Im selben Saal, in dem der Festakt stattfand, entwarf Macron vor gut fünf Jahren seine Vision eines souveränen Europas, die für viel Aufsehen sorgte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab aber bis zum Ende ihrer Amtszeit keine Antwort auf diesen Vorstoß. Scholz reagierte im vergangenen Sommer mit einer europapolitischen Grundsatzrede in Prag, in der er auf die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft für Europa aber nicht näher einging. Beides kam in Frankreich nicht gut an.

In Paris bedankte sich Scholz jetzt ausdrücklich für Macrons Sorbonne-Rede. "Heute arbeiten wir Seite an Seite daran, Europas Souveränität zu stärken", betonte er. Die Kräfte müssten gerade dort gebündelt werden, wo die Nationalstaaten allein an Durchsetzungskraft eingebüßt hätten: "Bei der Sicherung unserer Werte in der Welt, beim Schutz unserer Demokratie gegen autoritäre Kräfte. Aber auch im Wettbewerb um moderne Technologien, bei der Sicherung von Rohstoffen, bei der Energieversorgung oder in der Raumfahrt", sagte Scholz.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Abend mit Macron lobte Scholz die Zusammenarbeit in Energiefragen. Es sei vor einem Jahr nicht vorstellbar gewesen, dass ein Wegbrechen russischer Gaslieferungen ohne Wirtschaftskrise zu bewältigen sei. "Das ist uns aber gelungen, mit europäischer Solidarität." Er verwies darauf, dass Frankreich Deutschland mit Gas aushilft und umgekehrt Deutschland Frankreich mit Strom.

Macron umarmt Scholz - Strategie "Made in Europe 2030" vorgeschlagen

Macron begrüßte den Kanzler vor der Sorbonne herzlich mit einer Umarmung. Deutschland und Frankreich seien entschlossen, ihre Freundschaft "zu einem der Lebensbäume der europäischen Souveränität" zu machen, sagte er in seiner Rede. "Sie können sicher sein, dass wir beide dieses einst unmögliche Paar, das einfach das Ergebnis von Wille, Mut und Stärke ist, weiter voranbringen werden."

Im Konflikt um das amerikanische Klimaschutz-Investitionsprogramm geht Scholz von einer Lösung in den nächsten Monaten aus. "Ich bin gegenwärtig jedenfalls sehr zuversichtlich, dass wir im Laufe des ersten Teils dieses Jahres da notwendige Verständigungen erzielen können." Das US-Inflationsbekämpfungsgesetz sieht milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz vor. Subventionen und Steuergutschriften sind daran geknüpft, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren. In Europa befürchtet man Nachteile für heimische Unternehmen. Sowohl Scholz als auch Macron betonten die Notwendigkeit einer Reform der EU-Regeln für staatliche Unternehmenshilfen.

Serie von Verstimmungen in den letzten Monaten

Seit dem Amtsantritt von Kanzler Scholz vor gut einem Jahr hatte es immer wieder Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis gegeben. So missfiel Frankreich im vergangenen Herbst der deutsche Widerstand gegen einen europäischen Gaspreisdeckel und das 200-Milliarden-Programm der Bundesregierung zur Abfederung der hohen Energiekosten. Macron warf Deutschland damals vor, sich in Europa zu isolieren. Die eigentlich für Oktober geplanten Beratungen beider Regierungen mussten vertagt werden, weil man noch nicht in allen Punkten Einigkeit herstellen konnte.

Zuletzt lief die Abstimmung bei den Waffenlieferungen in die Ukraine nicht richtig rund. Anfang Januar preschte Macron bei der Entscheidung über Späh- und Schützenpanzer vor und verkündete sie einen Tag vor Scholz und US-Präsident Joe Biden.

Vereinbarungen zu Klima, Wirtschaft, Verkehr

In der Abschlusserklärung der gemeinsamen Kabinettssitzung geht es um eine breite Kooperation von Verteidigung über Verkehr bis Klimaschutz.

- Klima: Beide Länder wollen den klimafreundlichen Umbau ihrer Wirtschaft vorantreiben und den Ausbau erneuerbarer Energien - allerdings "unter Achtung des Prinzips der Technologieneutralität". Im Gegensatz zu Deutschland setzt Frankreich bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen nämlich stark auf Atomstrom. Diese unterschiedliche Ausrichtung erkennen beide Seiten an.

- Wirtschaft: Die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft soll mit einer ehrgeizigen Strategie und durch vereinfachte und beschleunigte Verfahren für staatliche Hilfen gestärkt werden. Dass es dabei auch um eine Reaktion auf das US-Inflationsbekämpfungsgesetz mit milliardenschweren Investitionen in den Klimaschutz und einer befürchteten Benachteiligung europäischer Firmen geht, wird in der Erklärung allerdings nicht gesagt.

- Verkehr: Grenzüberschreitender Verkehrsverbindungen sollen vorangebracht werden. Unterstützt werde der Ausbau der Hochgeschwindigkeits-Bahnverbindung zwischen Paris und Berlin - die Bahnen beider Länder wollen zunächst einmal täglich einen schnellen Zug pendeln lassen - sowie der bereits für 2024 angekündigte Nachtzug zwischen den Hauptstädten.

sized

Die Begegung begann mit einer herzlichen Umarmung: Emmanuel Macron (l) und Olaf Scholz.

sized

Kanzler Scholz wurde zum Jubiläums-Festakt und den anschließenden Beratungen beider Regierungen von fast dem kompletten Kabinett nach Paris begleitet.

sized

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hält in der Nationalversammlung in Paris eine Rede.

sized

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (l) wird von seinem französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu begrüßt.

sized

Vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag zur Aussöhnung der beiden einstigen Erbfeinde und Kriegsgegner in Paris unterzeichnet.

Dieser Artikel ist Teil eines automatisierten Angebots der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Er wird von der idowa-Redaktion nicht bearbeitet oder geprüft.