Deal or No-Deal?

May will Parlaments-Abstimmung über Brexit-Aufschub


Der Moment, als Theresa May ihre Kehrtwende vollzieht: die britische Premierministerin gestern vor dem Parlament in London.

Der Moment, als Theresa May ihre Kehrtwende vollzieht: die britische Premierministerin gestern vor dem Parlament in London.

Von Tabitha Nagy

Nun also doch: Theresa May will das Unterhaus über eine Verschiebung des EU-Austritts abstimmen lassen.

London - Die Kehrtwende: Seit Monaten beharrt Theresa May darauf, dass eine Verzögerung des Brexit nicht in Frage kommt. Wieder und wieder beschwor die britische Premierministerin, der Austritt aus der Europäischen Union müsse fristgerecht zum 29. März erfolgen. Noch am Montag hatte sie auf dem Gipfeltreffen in Scharm el Scheich beteuert, dass "ein Aufschub keine Lösung" sei. Und jetzt das: Gestern knickte May im Unterhaus ein - und will nun doch einen Aufschub des Austritts zulassen.

Unter Hohngelächter und Protestrufen von der Opposition führte die Regierungschefin aus, wie der Pfad zu einer Fristverlängerung nach Artikel 50 aussehen könnte.

Die Szenarien: Mays Brexit-Deal, No-Deal oder Aufschub?

Die Verhandlungen mit Brüssel, sagte May, befänden sich in einer wichtigen Phase. Sie wolle Versicherungen seitens der EU-Verhandlungspartner erlangen, dass der sogenannte Backstop im Austrittsvertrag, der eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindern soll, nicht permanenter Natur ist.

Bis 12. März werde sie dem Unterhaus ihren Brexit-Deal erneut zur Abstimmung vorlegen. Sollte er, wie schon Mitte Januar, abgelehnt werden, würden die Volksvertreter tags darauf die Gelegenheit bekommen, zu entscheiden, ob das Land auf ein No-Deal-Szenario zusteuern und die EU ohne Austrittsvertrag verlassen soll. Würde dies abgelehnt, könnten die Volksvertreter am 14. März darüber abstimmen, ob die Regierung um eine Fristverlängerung in Brüssel nachsuchen soll.

Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich das Parlament für einen Aufschub aussprechen wird. Denn damit wäre das Schreckgespenst eines No Deal, also eines ungeregelten Austritts mit all seinen chaotischen wirtschaftlichen Konsequenzen, vom Tisch. Zumindest vorläufig. Die Fristverlängerung, die Theresa May im Auge hat, soll "kurz und begrenzt" sein, "nicht länger als bis Ende Juni" dauern.

Die britische Premierministerin Theresa May hat dem Parlament in London in Aussicht gestellt, über eine Verschiebung des EU-Austritts abstimmen zu dürfen.

Die britische Premierministerin Theresa May hat dem Parlament in London in Aussicht gestellt, über eine Verschiebung des EU-Austritts abstimmen zu dürfen.

No-Deal-Szenario: Drohung von Rebellion und Partei-Austritten

Ursache von Mays Umfaller ist unter anderem ein offener Brief, den gestern drei Juniorminister in der "Daily Mail" veröffentlichten. Darin warnten sie vor den Gefahren eines No-Deal-Brexit und kündigten an, dass sie gegen die Regierung stimmen würden, sollte die Premierministerin keine Verlängerung ansteuern.

In diesem Fall, schrieben die Rebellen, "haben wir keine andere Wahl, als uns Volksvertretern aller Parteien anzuschließen und im nationalen Interesse zu handeln, um ein Desaster zu verhindern". Bereits vergangene Woche hatten vier Kabinettsminister signalisiert, eher zurücktreten zu wollen, als einen No Deal zuzulassen. Massenrücktritte und eine offene Rebellion waren das Letzte, was May sich antun wollte. Dann lieber eine Kehrtwende.

Ob sie in der Verlängerung weitere Zugeständnisse herausschlagen kann, ist fraglich. Aber May sieht eine taktische Chance.

Widerstand gegen Theresa Mays Brexit-Deal

Der größte innerparteiliche Widerstand gegen ihren Brexit-Deal kommt von der "European Research Group" (ERG) um den Brexit-Ultra Jacob Rees Moog. Die ERG will einen klaren Schnitt mit der EU und sieht in einem No-Deal-Szenario eher Chancen als Schrecken. May konfrontiert sie jetzt mit der Aussicht einer emphatischen Ablehnung eines No-Deal-Szenarios durch das Unterhaus, einer Fristverlängerung und der Möglichkeit eines zweiten Referendums.

Denn auch Labour-Chef Jeremy Corbyn hat eine fulminante Kehrtwende hingelegt. Er werde sich, sagt er, für ein zweites Referendum einsetzen, sollte er die Regierung nicht von seinen eigenen Brexit-Plänen überzeugen können, die einen permanenten Verbleib in der Zollunion beinhalte. Da hat er natürlich keine Chance.

Oppositionschef Jeremy Corbyn im britischen Parlament.

Oppositionschef Jeremy Corbyn im britischen Parlament.

Ein zweites Referendum: Realistisch nur im No-Deal-Szenario

Um dem Land einen "schädlichen Tory-Brexit" oder einen No-Deal-Brexit zu ersparen, werde man, so Corbyn, "einen Änderungsantrag für eine öffentliche Abstimmung" unterstützen. Damit hat der Labour-Chef zur Freude von rund drei Vierteln der Parteimitglieder endlich seinen Widerstand gegen eine erneute Volksbefragung aufgegeben.

Freilich ist Labours offizielle Unterstützung der "People's Vote" nur eine notwendige und keine ausreichende Bedingung dafür, dass es auch wirklich dazu kommt. Die Kräfteverhältnisse im Unterhaus würden zur Zeit ein zweites Referendum nicht zulassen. Sollte ein solches Votum allerdings als einzige Alternative zum No Deal übrig bleiben, sähen die Dinge anders aus.

Corbyns Umschwung um Zulauf zur "Independent Group" zu stoppen

Auch Corbyn agiert taktisch: Die Mehrheit seiner Fraktionskollegen sind "Remainer" und wollen einen möglichst weichen Brexit oder gleich den Verbleib in der EU. Nachdem in der letzten Woche acht Labour-Abgeordnete aus Protest gegen Corbyns Brexit-Kurs austraten, beugt sich der Parteichef der Notwendigkeit und verspricht etwas, was sowieso nicht sehr wahrscheinlich ist.

Aber er kann damit den Zulauf zur "Independent Group" stoppen. Diese Gruppe aus ehemaligen Labour-Abgeordneten und drei Tory-Überläufern bietet sich als neue Heimat für Volksvertreter an, die ihre eigenen Parteien von den extremistischen Flügeln übernommen sehen. In den Umfragen hat sie schon gut zugelegt. Mittlerweile sprechen sich 18 Prozent für die zentristische Alternative zu den großen Volksparteien aus.

Theresa May, Premierministerin von Großbritannien, begrüßt Donald Tusk, Präsident des EU-Rats, vor einem Treffen in der Downing Strasse.

Theresa May, Premierministerin von Großbritannien, begrüßt Donald Tusk, Präsident des EU-Rats, vor einem Treffen in der Downing Strasse.

Tusk sieht möglichen Brexit-Aufschub positiv

Man will die morgige Sitzung des Parlaments abwarten, heißt es gestern Nachmittag als Reaktion auf Fragen zu Theresa Mays Vorstoß, den EU-Austritt verschieben zu wollen.

Ansonsten herrscht das große Schweigen in Brüssel, wie AZ-Korrespondent Detlef Drewes berichtet. Am Montag allerdings hatte sich EU-Ratspräsident Donald Tusk noch positiv geäußert: "Ich glaube, in der jetzigen Situation wäre eine Verlängerung eine vernünftige Lösung", sagte Tusk. Zudem versprach er "maximales Verständnis und guten Willen" der übrigen 27 EU-Länder, die eine Verschiebung einstimmig billigen müssten. Zur Zeitspanne äußerte sich Tusk allerdings nicht.

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