Russische Invasion

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

In einem Strategiepapier verlangt Kiew neue Sanktionen gegen Moskau und die Einhaltung bestehender Beschränkungen. Sie begründet dies auch mit dem erneuten Beschuss von Zivilisten. Die News im Überblick.


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Ein ukrainischer Soldat streichelt in einem Unterstand in der Region Donzek eine Katze.

Von dpa

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat nach neuen russischen Angriffen auf zivile Ziele eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Moskau gefordert. "Ein Heimatmuseum und umliegende Häuser wurden zum Ziel der Terroristen", sagte er gestern in seiner abendlichen Videoansprache.

Zuvor waren bei einem Raketenangriff auf die Stadt Kupjansk im Nordosten der Ukraine am Morgen zwei Menschen getötet und zehn verletzt worden. Eine internationale Expertengruppe habe ein Dokument erarbeitet, das auf die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland abziele, sagte Selenskyj.

"Dieses Sanktionsdokument wird auf den Schreibtischen aller wichtigen Führungspersönlichkeiten der Welt liegen - sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit und in der Wirtschaft", sagte der Präsident weiter. Die Sanktionen richteten sich gegen den russischen Öl- und Gassektor, aber auch gegen die Atomindustrie und träfen auch diejenigen, die Russland bei der Umgehung der schon bestehenden Sanktionen helfen.

Selenskyj nahm Bezug auf den gestern vom Leiter seines Präsidentenbüros vorgestellten "Action Plan 2.0". Darin wird vor allem eine Senkung des Höchstpreises für den Kauf von russischem Erdöl der Marke Urals von 60 auf 45 US-Dollar (umgerechnet etwa 41 Euro) pro Barrel gefordert.

Schätzungen aus Kiew zufolge liegen die russischen Förderkosten aktuell bei etwa 30 US-Dollar. Gestern wurde Urals-Öl in Moskau mit über 60 US-Dollar gehandelt. Russland hatte erklärt, nicht unter dem Marktpreis verkaufen zu wollen. Zusätzlich sollen von den Staaten der westlichen Sanktionskoalition Importsteuern für russisches Erdöl und Erdgas eingeführt werden. Die Einnahmen sollen helfen, den geplanten Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg zu finanzieren. Daneben soll ein Embargo auf russische Metalle und Diamanten verhängt werden.

Die Ukraine kritisiert zudem, dass für Russlands Rüstungsindustrie wichtige Halbleiter über Drittstaaten weiter in das Nachbarland gelangen. Der Export habe sich allein über China 2022 mehr als verdoppelt. Kiew fordert daher Strafmaßnahmen gegen Firmen, die Exportverbote umgehen.

Die ukrainische Regierung präsentierte aber auch eigene Aufbaupläne. In einem Pilotprojekt sollen sechs im Krieg zerstörte Ortschaften nach neuesten technischen und ökologischen Standards restauriert werden. Sie würden "besser als zuvor" wieder aufgebaut, kündigte Regierungschef Denys Schmyhal gestern in einer Kabinettssitzung an. Unter den Siedlungen ist der von russischen Truppen zeitweise besetzte Kiewer Vorort Borodjanka, dessen Ruinen zu einem Symbol des zerstörerischen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden.

Schmyhal versprach, bei einem Erfolg des Experiments würden auch andere Ortschaften nach demselben Muster aufgebaut. Das Geld soll aus einem Wiederaufbaufonds kommen. Seit dem russischen Einmarsch vor 14 Monaten wurden laut ukrainischen Zählungen über 130.000 Eigenheime und mehr als 17.000 Mehrfamilienhäuser beschädigt oder zerstört.

Die ukrainischen Verteidiger der Stadt Bachmut im Osten des Landes wehren sich nach britischer Einschätzung weiter erbittert gegen eine Einkesselung durch russische Truppen. Die Ukraine versuche, die Kontrolle über die wichtigste Versorgungsroute der Truppen in Bachmut, die Straße 0506, zu behalten, teilte das Verteidigungsministerium in London am Mittwoch unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.

Dabei gebe es Gefechte vor allem in der Nähe des Dorfs Chromowe westlich der Stadt. "Die anderen Nachschuboptionen der Ukraine nach Bachmut werden wahrscheinlich durch schlammige Bedingungen auf unbefestigten Strecken erschwert." Im Westen der Stadt, die seit mehr als elf Monaten von russischen Kräften attackiert werde, tobe weiterhin ein erbitterter Nahkampf, hieß es weiter.

Die russischen Streitkräfte bildeten nach eigenen Angaben derweil Soldaten aus dem Nachbarland Belarus vor der dort geplanten Stationierung taktischer Atomwaffen an den Raketen aus. Sie hätten gute Ergebnisse gezeigt, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Das Ministerium veröffentlichte auch ein Video, das das Training auf einem russischen Truppenübungsplatz im Süden des Landes zeigen soll. Zu sehen war demnach der Raketenkomplex vom Typ Iskander-M. Die Raketen können mit konventionellen, aber auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte die Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus vor dem Hintergrund der Spannungen mit den Nato-Staaten im Zuge des von ihm begonnenen Krieges gegen die Ukraine angekündigt. Nach den russischen Ministeriumsangaben lief die Ausbildung an den Waffen gemäß Putins Ankündigung seit dem 3. April. Die belarussischen Soldaten hätten im Detail die Aufbewahrung und Anwendung der taktischen Sprengsätze für die Raketen studiert. Auch einen Teststart einer Rakete gab es, wie auf dem Video zu sehen war.

Die Trennung des US-Senders Fox News von seinem für Regierungsschelte und Falschbehauptungen bekannten Rechtsaußen-Moderator Tucker Carlson nutzte derweil Russlands Außenminister Sergej Lawrow für eine Spitze gegen die Vereinigten Staaten. Über die Hintergründe dazu könne man nur spekulieren, sagte er gestern in New York bei einem Besuch im UN-Hauptquartier. Es sei aber sinnvoll, über den Zustand der Meinungsvielfalt in den USA nachzudenken, der "darunter eindeutig gelitten" habe, behauptete Lawrow.

Allerdings sind mangelnde Medienfreiheit und Meinungsvielfalt in Russland ein viel größeres Problem, wie die Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" zeigt: Sie führt Russland auf Rang 155 von 180 Ländern, die USA belegen Platz 42.

Daneben ging Lawrow auch noch einmal auf das mit UN-Hilfe vermittelte Getreideabkommen mit der Ukraine ein. Der russische Chefdiplomat bescheinigte UN-Generalsekretär António Guterres guten Willen zur Umsetzung des Abkommens, doch "Resultate gibt es praktisch nicht". Russland droht immer wieder damit, das zuletzt Mitte März um 60 Tage verlängerte Getreide-Abkommen platzen zu lassen.

Nach Beginn seines Angriffskriegs hatte Russland monatelang die Schwarzmeerhäfen des Nachbarlandes blockiert. Da die Ukraine einer der größten Agrarexporteure ist, mehrten sich Befürchtungen über einen massiven Anstieg der Lebensmittelpreise und - in dessen Folge - eine Hungerkrise in den ärmsten Ländern. Im vergangenen Sommer vermittelten die Vereinten Nationen und die Türkei dann ein Ende der Blockade und ermöglichten das Getreide-Abkommen.

In der Ukraine jährt sich die Katastrophe von Tschernobyl. Am 26. April 1986 explodierte ein Reaktor des Kernkraftwerks in Tschernobyl. Es gab tausende Tote und Verletzte, Zehntausende Menschen wurden zwangsumgesiedelt, eine radioaktive Wolke zog über Europa. Zwar sind keine offiziellen Termine anlässlich des Datums angekündigt, doch wird die Führung in Kiew es wohl zu Gedenkveranstaltungen nutzen - zumal es Sorgen um die Sicherheit des weiterhin von russischen Einheiten kontrollierten AKW Saporischschja gibt.