Russische Invasion

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Eben erst hat die EU der Ukraine Hilfe «so lange wie nötig» zugesagt. Wie dringend das ist, zeigen neue russische Luftangriffe: Bei Eiseskälte fällt der Strom aus. Selenskyj appelliert nun an die Nato.


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Neue Gräber und Kreuze auf einem Friedhof der zunehmend von russischen Truppen eingekreisten Stadt Bachmut.

Nur wenige Stunden nach neuen Hilfszusagen der EU für die Ukraine hat Russland das Land wieder massiv mit Drohnen und Raketen angegriffen. "Die Okkupanten haben Schläge gegen die kritische Infrastruktur geführt", berichtete der Militärgouverneur von Charkiw, Oleh Synehubow, am Freitag. 150.000 Haushalte seien ohne Strom.

Auch aus anderen Regionen wurden Einschläge gemeldet. Am Morgen heulten im ganzen Land wieder die Sirenen. Viele Menschen mussten wieder in Schutzräumen Zuflucht suchen. Die Ukraine fürchtet neue russische Offensiven zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar.

Nach Angaben aus Kiew setzte Russland 71 Marschflugkörper eingesetzt. 61 davon seien abgefangen worden, teilte der ukrainische Generalstab in seinem abendlichen Lagebericht mit. Die Marschflugkörper seien von russischen Schiffen und von Flugzeugen aus gestartet worden. Außerdem habe Russland nach vorläufiger Zählung 29 Raketen des eigentlich zur Luftabwehr bestimmten Systems S-300 auf Bodenziele in der Ukraine abgefeuert. Unabhängig überprüfbar waren die Angaben nicht.

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Einige der letzten Bewohner von Bachmut versorgen sich mit Wasser.

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Anwohner warten in Kiew nach einem Raketenangriff auf die Rückkehr in ihre Häuser.

Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die abermaligen Raketenangriffe auch als "Herausforderung für die Nato". Nach seinem Besuch beim EU-Gipfel in Brüssel bat er die westliche Militärallianz um Hilfe. "Das ist Terror, den man stoppen kann und muss", sagte er in einer Videobotschaft. Selenskyj verwies darauf, dass bei den Angriffen russische Raketen auch durch den Luftraum Rumäniens geflogen seien. Das Verteidigungsministerium in Bukarest bestritt dies jedoch. Rumänien gehört sowohl der EU als auch der Nato an.

Seit dem Herbst zerstört Russland in der Ukraine systematisch zivile Infrastruktur. Kiew fordert vom Westen nach dessen Zusage zur Lieferung von Kampfpanzern auch Kampfjets und andere moderne Waffen. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten hatten bei ihrem Gipfel mit Selenskyj ein klares Bekenntnis zu weiterer Hilfe abgegeben. "Die Europäische Union wird der Ukraine solange wie nötig mit tatkräftiger Unterstützung zur Seite stehen", hieß es in einer Erklärung. Zudem sei man bereit, die Sanktionen gegen Russland weiter zu verschärfen.

Selenskyj zog ein positives Fazit seiner Reise nach Westeuropa. "London, Paris, Brüssel - überall habe ich in diesen Tagen darüber gesprochen, wie wir unsere Soldaten stärken können", sagte er am Freitagabend in einer Videobotschaft. "Es gibt sehr wichtige Vereinbarungen, und wir haben gute Signale erhalten." Dies gelte für Raketen mit höherer Reichweite und Panzer. An der erhofften Lieferung von Kampfflugzeugen als nächster Ebene der Zusammenarbeit "müssen wir aber noch arbeiten".

Allein in der umkämpften Region Saporischschja im Süden der Ukraine schlugen ukrainischen Angaben zufolge innerhalb einer Stunde 17 Geschosse ein. "Das ist die größte Anzahl seit Beginn der Invasion", teilte der Sekretär des Stadtrats, Anatolij Kurtjew, mit. Explosionen waren in der Nacht auch in der Millionenstadt Dnipro und im Gebiet Winnyzja zu hören. Nach Angaben des Leiters der Gebietsverwaltung von Dnipropetrowsk, Serhyj Lysak, stammten die Explosionen von der ukrainischen Flugabwehr. Diese habe alle einfliegenden Drohnen abgefangen. In der Industriestadt Krywyj Rih sei jedoch eine Rakete in eine Anlage der Energieversorgung eingeschlagen. "Dort gibt es ernsthafte Schäden", sagte Lysak.

Der massive Angriff vom Freitag hat nach Angaben des Versorgers Ukrenerho beträchtliche Schäden am Energiesystem angerichtet. Mehrere Wärme- und Wasserkraftwerke seien getroffen worden, sagte der Chef des Konzerns, Wolodymyr Kudryzkyj, am Freitagabend im ukrainischen Fernsehen. Besonders schwierig sei die Lage im Gebiet Charkiw.

Durch den Angriff seien die Pläne zur Wiederherstellung der ukrainischen Stromversorgung zurückgeworfen worden, sagte Kudryzkyj. "Aber es ist erneut keine Katastrophe passiert." Die Kernkraftwerke Riwne und Südukraine mussten wegen der Instabilität im Netz ihre Produktion drosseln, wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien mitteilte. Im AKW Chmelnyzkyj wurde ein Reaktorblock abgeschaltet.

Zwei russische Raketen einer Angriffswelle sollen nach Angaben von Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj vom Schwarzen Meer kommend sowohl über Moldau als auch über Rumänien geflogen sein. Moldau hat den Überflug bestätigt, Rumänien dementiert. Das Verteidigungsministerium in Bukarest erklärte, die Raketen seien in 35 Kilometer Entfernung von der rumänischen Grenze über das Gebiet des Nachbarlands Moldau geflogen. Das dortige Außenministerium bestellte deshalb den russischen Botschafter ein.

Der Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, forderte unter dem Eindruck der neuen Angriffe weitreichende Raketen, Kampfjets und logistische Unterstützung. "Russland hat es auf massenhafte Zerstörung und Tod abgesehen", schrieb er auf Twitter. Nur schnelle Hilfe könne den "Völkermord" stoppen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schloss beim Gipfel in Brüssel Kampfjet-Lieferungen an die Ukraine zwar nicht grundsätzlich aus - diese wäre aber "auf keinen Fall in den kommenden Wochen" möglich.

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich nach dem Gipfel optimistisch, dass die Ziele für die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine erreicht werden. "Mein Eindruck ist, das läuft", sagte der SPD-Politiker. "Aber es wird natürlich nicht einfach gehen." Nach eigenen Angaben nutzte Scholz auch beim EU-Gipfel noch einmal die Gelegenheit, "viele darum zu bitten, dass sie aktiv unterstützen". Man bemühe sich sehr intensiv, das Thema voranzubringen. Dazu gehörten auch Training, Ersatzteil- und Munitionsversorgung. Portugal sagte unterdessen die Lieferung von drei Leopard 2A6 bis März zu.

Als Reaktion auf westliche Militärhilfen für die Ukraine kündigte der Vize-Chef des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, den Bau und die Modernisierung Tausender Panzer an. "Wie Sie wissen, hat unser Gegner gestern im Ausland um Flugzeuge, Raketen und Panzer gebettelt", sagte Medwedew in der sibirischen Stadt Omsk. "Es ist klar, dass es für uns in diesem Fall selbstverständlich ist, die Produktion (...) moderner Panzer zu steigern."

Russlands Außenminister Sergej Lawrow sieht seine Heimat in einem Krieg wie gegen den französischen Feldherrn Napoleon im 19. Jahrhundert und gegen Nazi-Diktator Adolf Hitler im 20. Jahrhundert. "Immer lauter werden Rufe nach einer Zerstückelung unserer Heimat", sagte er bei einem Festakt. Allerdings hat niemand im Westen zur Zerstörung Russlands aufgerufen. Auch gibt es keine Pläne, wie Napoleon in Russland oder Hitler in die Sowjetunion einzufallen.