Politik

Corona-Faktencheck: Wunschdenken und Wirklichkeit

Querdenker behaupten, in Corona-Fragen stets richtig gelegen zu haben. Zum InternationalenTag des Fakten-Checkens nimmt die AZ weit verbreitete Erzählungen unter die Tatsachen-Lupe.


Querdenker, Impfgegner und christliche Fundamentalisten auf einer Demonstration in München im Mai 2022

Querdenker, Impfgegner und christliche Fundamentalisten auf einer Demonstration in München im Mai 2022

Von Sebastian Fischer

Nach mehr als drei Jahren Corona-Pandemie ist bei vielen die Sehnsucht nach einem Schlussstrich groß. Doch eine abschließende Aufarbeitung gab es bisher nicht.

In diese Bilanz-Leerstelle stoßen Querdenker und Impfgegner. Glaubt man ihrer Argumentation, dann wollen sie es etwa in Sachen Masken oder Impfungen schon immer richtig gewusst haben. Die am häufigsten gestreute Erzählung: Mit den Corona-Impfungen sei allen ein unberechenbares Medikament aufgezwungen worden. Sie selbst hätten hingegen schon immer gesagt, die Mittel - von ihnen oft als "Giftspritze" oder "Genspritze" bezeichnet - seien gefährlich bis tödlich. Sie behaupten: Was einst als Verschwörungsmythos gebrandmarkt worden sei, werde mittlerweile als Fakt anerkannt.

Anlässlich des International Fact-Checking Days am Sonntag hat die AZ drei weit verbreitete Thesen aus dem Querdenken- und Impfgegner-Umfeld geprüft:


Behauptung: Überall habe es geheißen, die Corona-Impfung habe keine Nebenwirkungen. Das Gegenteil zeige sich nun an vielen Impfschäden.


+ Bewertung: ungenau.


+ Fakten: Ja, es gab vereinzelt Stimmen wie die des späteren Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD), die von "nebenwirkungsfreien Impfungen" sprachen. Doch Forscherinnen und Wissenschaftler haben von Anfang an deutlich gemacht, dass es keine Mittel ohne Nebenwirkungen gibt.

Auch liegt deren Wirksamkeit nicht bei 100 Prozent. Das ist zum Beispiel bei Grippe-Impfungen so - und eben auch bei Covid-Impfungen.

Der damalige Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, etwa sagte mehrere Wochen, bevor überhaupt der erste Piks gesetzt wurde: Nicht nur die Schutzwirkung der Impfung sei zu beobachten, sondern auch mögliche Nebenwirkungen.

Diese werden nicht etwa unter den Teppich gekehrt, sondern vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) registriert und ausgewertet. Im jüngsten PEI-Bericht für den Zeitraum bis Ende Oktober 2022 ist von knapp 51.000 Verdachtsfällen auf schwere Nebenwirkungen nach einer der rund 188 Millionen Impfungen die Rede.

Wichtig dabei ist aber: Verdachtsfälle sind keine nachgewiesenen Nebenwirkungen - und schon gar keine Impfschäden. Impfreaktionen stünden "oftmals im zeitlichen, nicht aber unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung", so das PEI.

Nach Recherchen der "FAZ" sind bis Mitte März in 13 der 16 Bundesländer 6.600 Anträge auf Versorgungsleistungen nach einem Corona-Impfschaden eingegangen. Davon anerkannt wurden demnach 284. Zu diesem Zeitpunkt hatten in diesen 13 Ländern knapp 62 Millionen Menschen mindestens eine Covid-Impfung erhalten.

Berichte über schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach einer Impfung sind durchaus wichtig, um die Aufmerksamkeit für das Thema zu erhöhen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, wie selten solche Einzelfälle tatsächlich sind und wie sehr eine Impfung vor möglichen schweren Schäden nach einer Covid-Erkrankung schützt. "Unter dem Strich bleibt das sehr gute Nutzen-Risiko-Verhältnis zugunsten der Impfung bestehen", twitterte etwa der Direktor der Klinik für Infektiologie der Berliner Charité, Leif Erik Sander, jüngst.

Behauptung: Eine Studie des Forschungsnetzwerks Cochrane beweist, dass Masken nicht gegen Corona schützen.

+ Bewertung: falsch.

+ Fakten: Dies sei eine falsche und irreführende Interpretation der Überblicksstudie, schreibt Cochrane selbst.

Richtig ist, dass die Studienmacher diverse wissenschaftliche Analysen zur Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen betrachtet haben: Neben Quarantäne und Händewaschen war das auch das allgemeine Maskentragen in der Bevölkerung - aber eben nicht das individuelle Maskentragen, wenn man etwa einer covid-infizierten Person gegenübersteht.

Für dieses Szenario kommt schon Ende 2021 eine Studie des Max-Planck-Instituts zu dem Schluss, dass Masken das Corona-Risiko erheblich senken können: Tragen eine infizierte und eine nicht-infizierte Person gut sitzende FFP2-Masken, beträgt das maximale Ansteckungsrisiko nach 20 Minuten demnach selbst auf kürzeste Distanz in einem Raum kaum mehr als ein Promille.


Behauptung: Die Impfung hat noch nie etwas genützt
- auch nicht gegen schwere Verläufe.

+ Bewertung: falsch.

+ Fakten: Es stimmt, dass sich auch Geimpfte mit dem Coronavirus infizieren, im Krankenhaus landen oder gar an Covid-19 sterben können. In der Zeit nach der letzten Impfung lässt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Schutzwirkung nach.

Das RKI schreibt Anfang März: Mehrere Monate nach einer Impfung könne eine Infektion oder milde Verlaufsform von Covid-19 "inzwischen nur noch in geringem Maße" verhindert werden. Doch nach Auswertung der Corona-Fälle unter Einbeziehung des Impfstatus um den Jahreswechsel 2022/2023 sei festzustellen, "dass der kleine Anteil der ungeimpften Bevölkerung einen verhältnismäßig großen Teil der Covid-19-Fälle mit schwerem Verlauf stellt".

Konkret schreibt das RKI Mitte Januar: Die Wirksamkeit der Grundimmunisierung (zwei Impfungen) gegen einen Krankenhausaufenthalt wegen Covid-19 liege im Schnitt bei gut 55 Prozent, nach einer dritten Dosis bei mehr als 81 Prozent und nach insgesamt vier Impfungen bei knapp 96 Prozent. Das gelte auch für die Omikron-Variante.