Politik
Armes Deutschland!
19. September 2015, 12:51 Uhr aktualisiert am 19. September 2015, 12:51 Uhr
Wer mit dem Flugzeug nach Tel Aviv fliegt, dem kann es passieren, dass kurz vor der Landung die mitfliegenden Israelis vor Freude über die Heimkehr in ihr gelobtes Land zu singen beginnen. Das Land, das sie über Jahrhunderte nie hatten und das sie jetzt notfalls mit Zähnen und Klauen verteidigen.
Als die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg Russland überfiel, brannten die deutschen Soldaten im Regelfall die Häuser, die Dörfer dort nieder. Als sich die Situation umkehrte, vergewaltigten die russischen Soldaten die deutschen Frauen.
Eigentlich gilt das russische Volk als friedfertig und freundlich. Aber die Deutschen hatten ihr Land niedergebrannt. Das war nicht vergessen.
Ein heute pensionierter Oberst im Generalstab erzählt: Vor zwanzig Jahren wurde uns bei der Bundeswehr bewusst, dass wir eines Tages die Grenzen nicht mehr gegen Feinde würden sichern müssen, sondern wahrscheinlich gegen Flüchtlinge. Aber es war uns auch bewusst: Auf Flüchtlinge kann und darf man nicht schießen!
Deutschland - die verspätete Nation, das ist eine Überschrift, die es in den Geschichtsbüchern zuhauf gibt. Das 19. Jahrhundert gilt als das Jahrhundert, in dem Nationalstaat und demokratische Rechte sich durchsetzen. Aber in Deutschland wird
der Nationalstaat ohne Demokratie von oben verordnet. Der schreckliche Otto von Bismarck und die preußischen Wilhelms verordnen 1871 den Deutschen ihren Staat - ohne Österreich und ohne wirkliche demokratische Rechte. Deutsche Nation - arme Nation. Kaiser Wilhelm II. führt mit anderen die Welt in den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs. Armes Deutschland!
Danach ein Schreckensende. Die Weimarer Republik bleibt zwangsläufig kurz und chancenlos. Erbe der Monarchie wird die NS-Diktatur. Sie pervertiert den Nationalstaatsgedanken. Noch ein Krieg. Armes Deutschland! Als dieser Krieg zu Ende ist, bleibt Deutschland geteilt und nur der Westen erhält seine demokratischen Rechte. Deutsche Nation - arme Nation.
Erst exakt 200 Jahre nach der Französischen Revolution wird Deutschland als demokratisches Land vor gut 25 Jahren wiedervereint. Die Welt aber fürchtet sich, nur ein vereintes Europa gilt als Friedensgarant. Helmut Kohl weiß das und stellt sofort das nationale Erbe hinter den europäischen Gedanken zurück. Nur so kann es gehen. Er hat Erfolg. Die Widerstände weichen. Deutschland wird in der Mitte Europas wiedervereint. Kohl wird Ehrenbürger Europas und die Deutschen wählen eine Frau zur Kanzlerin, die in der ostdeutschen Diktatur sozialisiert ist. Sie spielt die Spiele der Macht perfekt, wofür sie steht, bleibt aber unklar. Was auch geschieht: 90 Prozent unserer Gesetze kommen seitdem aus Brüssel und Straßburg.
Als bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 die Deutschen hupend durch die Innenstädte fahren und die deutschen Fahnen schwingen, ist die Welt froh, dass es Deutschland nicht nur als hässliche Fratze gibt. Und wir Deutschen zuerst. Der hässliche Deutsche, nein - wir sind mehr als das. Die deutsche Fußballnation - immerhin dafür reicht es noch am Ende von zwei Jahrhunderten dieser furchtbaren Geschichte unseres Landes.
Und Angela Merkel wird ewige Kanzlerin dieses Landes. Das hat etwas Neutrales, fast Bedeutungsloses, auch Schmerzfreies und strahlt auf jeden Fall Sicherheit aus. Ecken und Kanten - Fehlanzeige. Unsere Geschichte ist offensichtlich zu dramatisch
verlaufen, als dass wir jetzt noch Dramatik ertragen könnten.
Also der ewig-amtliche Verlautbarungston der Regierung Merkel. Keine Aufregung bitte. Milliardenpakete für Griechenland - alles halb so wild. Das Geld wächst auf den Bäumen. Vielleicht stimmt das sogar. Die Druckerpressen der Notenbanken produzieren eben so viele Banknoten, wie es halt braucht. Das ist auch eine Logik. Aber eine Million Flüchtlinge - kein Problem? Wir schaffen das! Wirklich?
Wieder wollen wir nicht hässlich sein und empfangen die Armen der Welt. Das sind wir also wirklich und so stellen wir uns ein gutes Zeugnis aus. Und Angela Merkel lacht geschmeichelt. Deutschland ist ein Einwanderungsland, jetzt geht es halt etwas
schneller. Alles kein Drama? Wirklich?
Und dass wir nicht nachdenken sollen, in welchem Land wir leben wollen? Jetzt schlägt der Mangel an guter eigener Geschichte auf uns selbst zurück. Unser Mangel an eigener Identität. Wir können uns kaum wehren. Wir haben kaum eine Sprache
für unsere Situation, wo wir doch freundlich sein wollen. Und wo wir uns doch abgrenzen wollen, fühlen wir uns verdächtig oder werden verdächtigt. Und der evangelische Landesbischof steht an der serbisch-ungarischen Grenze und sieht in jedem Flüchtling ein Jesuskind. Aber ist das eine Lösung, die uns hilft?
Und Angela Merkel macht Fehler. Wieder sieht sie zu lange zu, bis sie endlich weiß, was vielleicht gewünscht ist. Dann sagt sie auch noch die falschen Sätze. Und ist längst in Vorleistung gegangen gegenüber den meisten europäischen Ländern, die
sich fein bedeckt halten und erst einmal selber schützen. Was für ein Anfängerfehler! Allein zu handeln und erst dann die europäische Solidarität einzufordern, als die Probleme aus dem Ruder gelaufen sind. Immerhin: Selbst die linksliberale Süddeutsche Zeitung mahnt längst, dass es so nicht geht. Und dass die Dinge dramatisch sind. Äußerst dramatisch!
Manchmal fällt es einem schwer, die CSU zu loben. Diesmal nicht. Von Horst Seehofer bis Markus Söder: Hier wurde erkannt, dass uns diese Situation selbst in Gefahr bringt und schöne Worte nicht weiterhelfen. Das können wir nicht bewältigen. Die Flüchtlinge kommen in einer Zahl mit ihren Schicksalen und in ihrer Not, die uns auch auf lange Sicht überfordert. Wirtschaftlich und kulturell. Da hilft auch mehr beten nicht, wie uns die Kanzlerin freundlich empfiehlt. Und der freundliche Willkommensgruß der Münchner Bürger ist kaum durchzuhalten, wenn wir dann über die Jahre spüren, dass die Probleme nicht weggehen, weil die Menschen ja bleiben. Mit wenig Ausbildung, die uns hilft, aber vielen Bedürfnissen, die nur zu verständlich sind.
Denn jetzt rächt sich natürlich, dass wir vor den Problemen der Welt über Jahrzehnte die Augen allzu gerne verschlossen haben. Dass Amerika lieber Krieg geführt hat, als an politischen Lösungen zu arbeiten. Jetzt steht die Welt in ihrer Not vor unserer Tür.
Was ist zu tun? Recht einfach: Schadensbegrenzung. Viele Fehler sind schon gemacht worden. Aber jetzt gilt es den Kurs zu ändern. Unser eigenes Interesse nicht weniger in den Blick zu nehmen als die Flüchtlingsschicksale, die natürlich berührend sind. Dennoch auch Kaufmann oder Arzt zu sein, der weiß, dass er nur dann für die Bedürfnisse der anderen leistungsfähig bleibt, wenn er seine eigenen Möglichkeiten nicht überschätzt. Auch der gute Christ weiß, dass er den eigenen Mantel nicht hundertmal teilen kann.