AZ-Interview

"Wetterfrosch" Sven Plöger über Christian Drosten: "Hochanständig!"


Fährt Bahn, auch wenn es manchmal dauert: Sven Plöger.

Fährt Bahn, auch wenn es manchmal dauert: Sven Plöger.

Von Agnes Kohtz

"Es ist noch nicht zu spät", sagt "Wetterfrosch" Sven Plöger über den Kampf gegen die Erderwärmung. Im AZ-Interview spricht er darüber, welche Lehren sich aus der Corona-Krise für den Klimaschutz ziehen lassen - und warum er Christian Drosten schätzt.

AZ-Interview mit Sven Plöger: Der 53-jährige Meteorologe, Moderator und Autor sagt seit 1999 in Funk und Fernsehen das Wetter voraus.

AZ: Herr Plöger, Ihrem neuen Buch haben Sie ein Kapitel vorangestellt mit dem Titel "Kann uns die Corona-Krise beim Umgang mit dem Klimawandel helfen?" Wie lautet Ihre Antwort?
SVEN PLÖGER: Die Entschleunigung in dieser coronabedingten Zwangs-Auszeit hat einen angenehmen Moment. Nämlich den, dass sich viele fragen, wo wir eigentlich hinwollen: größer, höher, weiter, schneller? Hyperkonsum für einige Wenige, der als Kollateralschaden die Zerstörung von Teilen unseres Planeten in Kauf nimmt? Die Erkenntnis, dass wir theoretisch auch anders können, ist in viele Leute hineingesaust. Auch in der Politik, wo Einige in erfreulicher Weise reagiert und eben nicht die Abwrackprämie für Autos gefordert haben, um den Hyperkonsum gleich wieder anzukurbeln. Das sind Momente, die mir Hoffnung machen, dass sich in der Gesellschaft etwas getan hat - nicht freiwillig, sondern unter Zwang, aber vielleicht kann man daraus trotzdem etwas ableiten.

Als Wissenschaftler muss es Ihnen doch auch gefallen, dass plötzlich auf die Wissenschaft gehört wird. Wir sind mittlerweile alle kleine Virologen. Würden Sie sich Ähnliches für Ihre Disziplin wünschen?
Na klar. Schließlich fühlen wir den Klimawandel ja schon. Wir hatten 2018 und 2019 Dürre, auch im April und Mai dieses Jahres herrschte starke Trockenheit, bevor jetzt endlich mal Regen fällt. Aber es gibt einen Unterschied: Im Fall von Corona sind wir alle kleine Virologen geworden, weil wir konkret bedroht waren. Es ging um Wochen und Monate. Das Virus konnte meine Familie, meine Freunde, mich treffen. In dieser Sorge waren wir bereit, sofort auf die Wissenschaft zu hören. Wir haben uns Zeit genommen, Experten wie etwa Christian Drosten von der Charité in seinem NDR-Podcast zuzuhören, und die Medien haben ihm die Zeit gegeben, differenziert über ein Thema zu sprechen.

"Herr Drosten hat Wissen geschaffen - hochanständig"

Warum ist das beim Klimawandel anders?
Ich vergleiche Corona gerne mit einem Asteroideneinschlag in Zeitlupe und den Klimawandel als einen solchen in Superzeitlupe. Dabei läuft alles so langsam ab, dass die Bedrohung nicht mehr konkret ist, weil sie irgendwann irgendwo mal irgendwen trifft. Und wenn wir gefühlt ewig Zeit haben - was ja eigentlich gar nicht so ist -, schieben wir Dinge auf die lange Bank. Und man beginnt möglicherweise damit, sich selbst Narrative auszudenken, mit denen man wissenschaftliche Erkenntnisse zurückweisen und so sein eigenes klimaschädliches Verhalten rechtfertigen kann. Sehr menschlich und sehr unvernünftig zugleich, denn physikalische Vorgänge interessieren sich nicht für unsere Meinungen oder Wünsche.

Zurück zu Herrn Drosten und Kollegen. Deren Popularität hat auch Kehrseiten: Es gab Morddrohungen und Schmutz-Kampagnen. Haben Sie je Vergleichbares erlebt?
Nicht so extrem, weil es diesen zeitlichen Peak nicht gab. Ich weiß nicht, ob vor einem Jahr schon jemand Professor Christian Drosten kannte, der nicht an der Charité behandelt worden ist. Er selbst hat sich nicht in die Öffentlichkeit gedrängt. Aber er konnte sein Thema sehr gut übersetzen, hat sehr sachlich argumentiert, den Weg hin zu bestimmten Erkenntnissen aufgezeigt und auch die Unsicherheiten verdeutlicht. Er hat Wissen geschaffen. Das fand ich hochanständig und hochinteressant. Die zeitliche Zuspitzung verursachte, dass er schnell sehr bekannt wurde. In dieser Situation hat man leider auch rasch viele Kräfte, die unterschiedlichste Interessen jenseits des Fachlichen verfolgen und jemanden wie Herrn Drosten diskreditieren. Im Internet verbreitet sich das dann und führt zu unglaublichen Auswüchsen, die wir als Gesellschaft mit großer Entschlossenheit einbremsen müssen.

Aber jetzt zu Ihnen!
Natürlich hat es auch gegen mich schon alle möglichen Beiträge gegeben, die sachfremd waren. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn mir jemand nicht zustimmt und sich sachlich mit mir auseinandersetzen will. Wenn das Ganze aber in inhaltlichen Unsinn, schlichte persönliche Beleidigung oder wie unlängst in mediale Verfälschung meiner Aussagen abgleitet, wird es sinnlose Zeitverschwendung. Und meine Zeit lasse ich mir ungern stehlen, sie ist mir zu kostbar.

"Ich bekam teilweise sehr beleidigende Kommentare"

Was ist geschehen?
Ich saß in einer Talkshow und es ging um Inlandsflüge in Deutschland. Ich habe - neben vielen anderen differenzierten Punkten - gesagt, dass es für mich unerklärlich ist, dass eine Taxifahrt von München zum Flughafen 70 Euro kosten soll, ein Flug nach Hamburg aber für 29 Euro stattfindet. Warum kostet der Taxikilometer 1,50 Euro und der Flugkilometer nicht einmal 5 Cent? Solange es mit der Bahn eine klimafreundliche Alternative gibt, sollte beides das Gleiche kosten, so meine Idee. Ein Kolumnist hat dann hochgerechnet, was das für einen Flug nach Mallorca bedeuten würde. Ja, mancher glaubt wohl wirklich, die Insel gehöre zu Deutschland, aber das ist Spanien und deshalb nennt man das nicht Inlandsflug und die Alternative Bahn gibt es dorthin auch nicht. Also gar nicht mein Thema.

Aber heraus kam die Überschrift: "Sven Plöger fordert, dass ein Flug nach Mallorca 4814 Euro kosten muss". Plötzlich ging es nur noch darum und ich bekam teilweise sehr beleidigende Kommentare. Die Zeitschrift hat sich später bei mir entschuldigt. Das war anständig, aber man hätte sich den ganzen überflüssigen Unfug sparen können. So hat es einfach nur mir und vor allem dem Thema geschadet. Die Klimadiskussion ist doch kein Scherz! Sie stellt Weichen für die Zukunft, für unsere Kinder und Enkel.

Was entgegnen Sie, wenn jemand behauptet, es habe schon immer Klimawandel gegeben und deshalb könne das alles doch nicht so schlimm sein?
Der zentrale Punkt ist, dass wir es mit einer globalen Veränderung zu tun haben, die in einer unglaublichen Geschwindigkeit vonstattengeht, die es so früher nicht gegeben hat. Problematisch ist, dass wir sie nicht als solche empfinden. Wenn man sagt, in den letzten 100 Jahren ist es um ein Grad wärmer geworden, klingt das nicht dramatisch. Dramatisch sind vielleicht die Extremwetter, also mehr Trockenheit, mehr Starkregen, mehr Gewitter, mehr Hagel. Da erinnert sich vielleicht der eine oder anderen daran, dass uns das die Klimaforschung schon vor 30, 40 Jahren vorhergesagt hat. Aber ein Grad in 100 Jahren? Das kann kein Mensch spüren. Doch wenn wir jetzt alles so weiterlaufen lassen wie bisher, haben wir Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung von vier Grad. Wir hätten eine völlig andere Welt - und das kann man sehen, wenn man in eine vier Grad kältere Welt schaut.

Die wie aussieht?
Das war ebenso eine völlig andere Welt. In ihr wären die Alpen nicht mehr zu finden, weil alle Täler mit Eis aufgefüllt sind. Berlin läge unter 500 Meter dickem Eis. New York wäre von 1.500 Metern bedeckt und Skandinavien verschwände unter einer bis zu 3.000 Meter dicken Schicht. Vier Grad kälter war es zuletzt am Ende der letzten Eiszeit vor 11.000 Jahren. Wenn wir nun davon ausgehen, dass am Ende unseres Jahrhunderts vier Grad mehr erreicht werden als heute, also 110 Mal so schnell, dann ist das dramatisch. Fauna, Flora und wir Menschen müssten dem folgen - und genau darin liegen die Gefahren.

"Wir sollten nicht nur in der Corona-Krise auf die Wissenschaft hören"

Weil wir uns so schnell nicht anpassen könnten.
Genau. Doch das ist uns nicht klar, weil wir ein paar Jahrzehnte schon schlecht überblicken, von einem Jahrhundert ganz zu schweigen. Aber viele unserer Kinder werden das Jahr 2100 erleben. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Deshalb sollten wir - nicht nur in der Corona-Krise - auf die Wissenschaft hören und aus ihr Handlungen ableiten. Zehn bis 20 Jahre haben wir ja noch, um das Ruder herumzureißen. Es ist keineswegs zu spät!

Wie schützen Sie selbst das Klima?
Ich fahre im Inland fast immer mit der Bahn. Das geht oft genauso schnell wie mit dem Flieger und wer die Unpünktlichkeit kritisieren will: Klar, da gibt es Luft nach oben. Aber wenn ich mit dem Auto im Stau stehe, bin ich auch nicht pünktlich. Im Zug kann ich zudem wunderbar arbeiten. In der Stadt nehme ich Fahrrad oder Straßenbahn, aber vor allem habe ich ein Haus umgebaut: Solaranlage, Wärmepumpe und Smart-Grid-Infrarotheizsystem und so produziere ich seit 2013 Energie. Mittlerweile sind es 36 Megawattstunden. Funktioniert! Und viele wollen es nachmachen, das freut mich. Allerdings habe ich auch ein Auto - das ich jedoch deutlich weniger nutze.

Aber: Wir brauchen keinen Wettbewerb der Freiwilligkeit. Sie eröffnet immer die Möglichkeit zur Ausnahme, und wenn man all die Ausnahmen addiert, hat am Ende alles wenig genutzt. Den Katalysator haben wir in den 80ern auch nicht freiwillig eingeführt, das damals oft gebrauchte Narrativ vom Tod der Autoindustrie hat sich trotzdem als falsch erwiesen. Deshalb müssen wir bei diesem wichtigen Thema den Mut haben, durch demokratisch errungene Regeln gemeinsam in die gewünschte Richtung zu arbeiten.

Zuletzt ist auf diesem Weg das Klimapaket der Bundesregierung entstanden, das vielen Wissenschaftlern und Klimaaktivisten nicht weit genug geht.
Das ist eben das Problem. Es ist sinnlos, etwas zu beschließen, was nicht ausreicht. Aber durch Corona haben wir jetzt eine Zäsur und die politische Möglichkeit, die Wirtschaft neu auszurichten. Wir müssen es schaffen, dass die Unsummen an Geld, die unseren Planeten umwandern, in einen "Green Deal" fließen. Mir ist es lieber, wenn jemand reich wird, indem er die Umwelt schont anstatt, dass er sie verschmutzt. Dafür brauchen wir Rahmenbedingungen.

"In der Politik könnten 'Fridays for Future' noch mehr erreichen"

Was wären Ihre Top 3?
Es darf keine falschen Preise mehr geben, bei denen Menschen oder die Natur ausgebeutet werden. Das ist bei einem T-Shirt für 3 Euro der Fall, das in Bangladesch unter tragischen Bedingungen hergestellt wird oder eben bei dem berühmten Flug von Hamburg nach München für 29 Euro. Oder auch bei einer Kreuzfahrt, die so günstig ist, dass sie sich nur rechnet, wenn die Schiffe mit Schweröl betrieben werden, das dann die Umwelt massiv mit Schwefel belastet.

Das Zweite wäre "Cradle to Cradle" - also beispielsweise eine Waschmaschine zu vermieten auf diese Weise und durch ihre Wartung Geld zu verdienen. Dann wäre der Vermieter daran interessiert, dass er ein gutes langlebiges Gerät auf den Markt bringt. In der Wegwerfgesellschaft von heute wird aber lieber ein billiges Produkt verkauft. Je schlechter die Maschine ist, desto besser ist das für den Hersteller, weil er so bald wieder eine verkaufen kann. Und auf Platz drei steht für mich politischer Mut.

Inwiefern?
Zum einen müssen wir über die Systematik unserer Klimakonferenzen nachdenken. Die sind wichtig, aber immer ergebnislos. Jedes Jahr erleben wir das Gleiche: Die Bremser bestimmen. Das wird auf ewig so bleiben, wenn wir beim Abschluss-Kommuniqué an der Einstimmigkeit festhalten. Das muss geändert werden. Außerdem würde ich mir wünschen, dass die jungen Menschen von "Fridays for Future" den Weg in die politischen Institutionen finden und dort selbst gestalterisch tätig werden - da können sie noch mehr erreichen als auf der Straße.

Sven Plögers Buch "Zieht Euch warm an, es wird heiß!" ist bei Westend erschienen und kostet 19,95 Euro.

Sven Plögers Buch "Zieht Euch warm an, es wird heiß!" ist bei Westend erschienen und kostet 19,95 Euro.

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