AZ-Interview

Martin Rütter: "Hundetraining ist heute viel zu verkopft"


Wieso eigentlich immer dem Tier die Schuld geben? Martin Rütter mit seiner Hündin Emma.

Wieso eigentlich immer dem Tier die Schuld geben? Martin Rütter mit seiner Hündin Emma.

Von Anja Perkuhn

Warum selbst ein Wolfsforscher sich hin und wieder verpeilt mit seinem Hund anstellt, erklärt Trainer Martin Rütter. Der Hundeprofi erzieht Hunde und deren Halter jeden Samstagabend auf VOX.

München - Mensch tut etwas - und Hund versteht etwas anderes. Warum man dann nicht am Hund arbeiten sollte, erzählt Hundetrainer Martin Rütter im Bühnenprogramm "Freispruch" (23. Februar 2019, Olympiahalle) - und in der AZ.

AZ: Herr Rütter, was hat Ihre Emma zuletzt angestellt?
MARTIN RÜTTER: Oh, da muss ich ausholen. Als sie die erste Nacht bei mir war, ist sie auf den Esstisch gesprungen und hat alles abgeräumt. Ich hab ihr das abtrainiert, war nie mehr Thema. Jetzt haben wir aber für die Show einen Intro-Film gedreht, wo sie einen Postboten jagt und auf einen Tisch springt und die Wurst klaut. Also habe ich ihr das für die Dreharbeiten beigebracht. Letztens höre ich abends was in der Küche. Da steht Emma wie früher mit allen Vieren auf dem Tisch. Mein Hundetrainer-Herz sagte natürlich: "Schick sie sofort runter!" Ich musste aber so schmunzeln. Sie hat gemerkt, dass ich das "Geh' runter" nicht so ernst meine wie sonst und blieb schwanzwedelnd stehen. Da hab ich sie einfach runtergehoben und gedacht: "Ist jetzt mal wurscht". Das Thema müssen wir jetzt wieder angehen.

Kann man alles abtrainieren?
Es geht im Zusammenleben mit dem Hund nicht darum, dass er irgendwann wie ein Roboter funktioniert, sondern dass man sich kennt. Ich weiß, wenn ich mit Emma durch ein Gebiet gehe, in dem viele Hasen sind, will sie die vertreiben. Nicht fressen, sondern vertreiben. Also wär ich doch bescheuert, sie in so einer Gegend frei laufen zu lassen. Klar kann man sagen: "Das muss man doch hinbekommen, dass sie die nicht jagt". Aber warum? Das betrifft mein Leben ja nicht. Die Situation habe ich zweimal im Jahr. Da nehme ich sie an die Leine und fertig.

Hunde nicht nach der Optik, sondern dem Charakter aussuchen

Wie viele Menschen gehen zu naiv ans Thema Hund heran?
Alle. Die denken: Es gibt Millionen Hundehalter, die kommen ja alle klar, das wird schon. Und dann merken sie irgendwann: Kommen sie nicht.

Niemand kommt mit seinem Hund klar?
Naja, "nicht klar" in Anführungszeichen. Die meisten schaffen ein gutes Zusammenleben. Aber die Tragweite der Aufgabe, wie viel Aufwand es ist, begreifen alle erst, wenn es so weit ist. Das merkt man auch an der Auswahl der Hunde: Die Leute wählen häufig nach optischen Kriterien und machen sich wenig Gedanken über die Charaktereigenschaften.

Also setzt man sich am besten mit einem Rassenbuch hin?
Andersrum. Die Leute sollen aufschreiben: Was wollen wir eigentlich? Wenn sie sich einen Hund backen könnten, wie wäre der? Dazu gehört auch "Er soll flauschig sein" oder "Er soll ins Bett passen". Da stellt man schnell fest: Ein paar Sachen widersprechen sich. Zum Beispiel "Ich möchte viel Sport mit ihm machen" und "Er soll sehr ruhig sein". Irgendwann merkt man, was wichtiger ist. Und erst dann tingelt man los.

Züchter oder Tierheim?
Ich schick' die Leute immer ins Tierheim. Und da verlieben sich die meisten in einen Hund, ob der passt oder nicht. Da kann man noch so kopfgesteuert sein: Der ist dann richtig und den sollte man auch nehmen. Und das ist am Tierheim so gut: Du lernst den Hund erstmal kennen, bevor du ihn mitnehmen kannst.

So richtig ehrlich zu sich sein ist aber auch nicht leicht.
Wir bieten in unseren Hundeschulen eine Beratung vorm Hundekauf an. Da erleben wir ganz oft, dass der Mann sagt: "Ich würd' mit dem gerne joggen", und dann guckt die Frau ihn an und sagt: "Sachma, wir kennen uns 20 Jahre. Du hattest noch nie Laufschuhe, wat erzählst du hier?" Aber das nähert sich irgendwann schon realistisch an. Und wenn nicht sofort alles passt, muss man das nur wissen und sich entscheiden, ob man diesen Weg geht und sich die Arbeit macht.

"Hundeschule für Menschen"

Ihr Programm dreht sich darum, dass der Mensch am Hund arbeiten will, es aber an sich müsste. Passen wir vielleicht doch nicht zusammen?
Nee, das passt bombig! Der Hund ist das einzige Tier, das in der Lage ist, einen Artfremden als vollwertigen Sozialpartner zu sehen. Dein Hund weiß an jeder Stelle, dass du kein Hund bist - trotzdem kriegst du den gleichen Stellenwert. Dadurch entsteht diese schöne emotionale Nähe. Die Leute kommen auch nicht zu mir, weil sie bekloppt sind, sondern weil die meisten sehr emotional sind mit ihren Hunden. Das vernebelt oft den Blick. Darum nennen wir uns auch "Hundeschule für Menschen". Ich vermittle: "Schau mal, was du machst, meinst du so. Aber der Hund versteht etwas völlig Anderes".

Zum Beispiel?
Erik Zimen, hochgebildet, hochkompetent beim Thema Wolfsforschung, läuft mit mir durch den Wald und sagt, seine Jagdhündin sei so undankbar. "Ich lasse sie sonntags immer jagen. Da kann sie frei laufen, wie sie will, darf auch Tiere fangen. Aber am Montag danach geht sie wieder jagen, obwohl sie das nicht soll!" Menschen sind teilweise beim eigenen Hund so verpeilt, dass man es nicht begreifen kann.

Was haben Sie zuletzt Neues gelernt zum Thema Hunde?
Ich warte auf den Moment, in dem ich die Augen aufreiße und sage: "What?!" Wenn man ein bestimmtes Level erreicht hat, passiert aber nichts mehr, das alles aus den Angeln hebt. Es sind immer nur Nuancen. Wie schade. Ach, ich freue mich zum Beispiel immer sehr, wenn ich mit ganz alten Leuten über Hunde rede. Weil ich glaube, dass vieles im Hundetraining inzwischen viel zu verkopft gemacht wird. "Der Hund macht jetzt dasunddas - ich schlag das mal nach auf Seite 23. Hm, die Ohren sind wie auf der Abbildung..." - und dann ist der Moment vorbei. Vieles hat man früher aus dem Bauch heraus gemacht, und das kann im Grunde gar nicht so falsch sein.

Hunde sind keine Dekoration

Wie geht's Ihnen beim Anblick von Handtaschenhunden, die es ja auch in München oft gibt?
Ich finde es unglaublich dreist, dass die Leute glauben, man könnte sich einen Hund als Dekoration kaufen, in die Tasche quetschen und durch die Gegend tragen. Ich verstehe das, wenn man vor einer Menschenmenge sagt: "Ich hab einen sehr kleinen Hund, ich muss da durch - ich heb' den mal eben hoch, damit keiner drauftrampelt". Aber wenn der Hund beim Oktoberfest ein Dirndl trägt, würde ich wirklich raten, dass die Leute sich psychotherapeutische Hilfe suchen. Das ist tierquälerisch.

Was ist das Schlimmste, das man einem Hund antun kann?
Keine Zeit für ihn zu haben. Das ist auch das wichtigste Kriterium bei der Anschaffung: dass man sich wirklich darüber im Klaren ist, ob man Zeit hat. Es bringt nichts, wenn die Leute einen riesengroßen Garten haben, aber keine Zeit, um sich mit dem Hund zu beschäftigen. Denn für den ist der soziale Kontakt extrem wichtig.