Wahl in der Türkei

Kommentar: Einfallstor für Erdogan


Seine Partei, die islamisch-konservative AKP, hat bei der Parlamentswahl triumphiert: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Seine Partei, die islamisch-konservative AKP, hat bei der Parlamentswahl triumphiert: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Von Manfred Fischer / Onlineredaktion

Das überraschend klare Wahlergebnis in der Türkei dürfte den führenden Politikern in Europa zahlreiche Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Mit der absoluten Mehrheit seiner AKP im Rücken wird Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in Verhandlungen schon bald den Druck auf die Union erhöhen, um endlich die von ihm herbeigesehnte Anerkennung und Aufwertung zu erlangen. Sein entscheidender Trumpf sind dabei - und das ist an Zynismus kaum zu überbieten - die Millionen Flüchtlinge, die sich derzeit in der Türkei aufhalten. Ihr Schicksal gebraucht Erdogan selbst als politisches Einfallstor in die EU.

Der türkische Präsident weiß um seine starke Verhandlungsposition gegenüber Brüssel. Ohne ihn wird der Flüchtlingsstrom aus Syrien oder dem Irak nicht zu stoppen sein. Wie ein Türsteher entscheidet Erdogan an der Grenze zu Europa, wie viele Menschen weitergeschickt werden oder bleiben müssen.

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Seine Gnade werden sich die Europäer politisch teuer erkaufen müssen. So läuft alles auf eine Abschaffung der Visa-Pflicht für Türken bei Reisen nach Europa und forcierte Verhandlungen über einen EU-Beitritt hinaus. Das sind Anliegen eines streng autoritären Herrschers, die in normalen Zeiten niemals Gehör finden würden.

Es wird wegen der dramatischen Flüchtlingskrise nicht ohne gewisse Zugeständnisse gehen, aber die Europäische Union darf sich von Erdogan keinesfalls weiter in die Enge treiben lassen. Sie steht für Demokratie, Menschenrechte, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit - das alles tritt der türkische Präsident mit Füßen, weil er Oppositionelle gängeln, kritische Medien mundtot machen und Regimegegner verfolgen lässt. Ein vertrauenswürdiger Partner sieht sicher anders aus.

Die EU darf sich vor allem nicht darauf einlassen, die Türkei zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären. Mit einem Schlag wären Erdogan rehabilitiert, die vielen Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Jahre beiseitegewischt und die Türkei als Rechtsstaat anerkannt. Schlimmer noch: Dies käme einer Bankrotterklärung der EU-Außenpolitik gleich, die sich normalerweise auf ein Wertefundament stützt. Die EU muss Demokraten belohnen und nicht Autokraten. Das gilt auch im Fall von Erdogan.