Augsburg

Kinder verprügeln für diese Frau aus religiösen Gründen völlig in Ordnung


Die "Zwölf Stämme" berufen sich auf die Bibel und sehen Rutenschläge als übliche Erziehungsmethode für Kinder vom Babyalter bis etwa 14 Jahre an.

Die "Zwölf Stämme" berufen sich auf die Bibel und sehen Rutenschläge als übliche Erziehungsmethode für Kinder vom Babyalter bis etwa 14 Jahre an.

Sie soll als "Lehrerin" der umstrittenen Sekte "Zwölf Stämme" mindestens sechs Kinder brutal verprügelt haben und sollte dafür zweieinhalb Jahre ins Gefängnis gehen. So hatte das Amtsgericht im nordschwäbischen Nördlingen geurteilt. Da die 56-Jährige diese Strafe genauso wenig akzeptieren will wie die Staatsanwaltschaft, verhandelt das Augsburger Landgericht den Fall seit Mittwoch neu.

Zu Beginn der Berufungsverhandlung gab es eine Überraschung: Aus dem Raum Bremen sind neue Vorwürfe bekannt worden. Daher droht der Frau, die Züchtigungen grundsätzlich zugibt, unabhängig vom laufenden Prozess nun demnächst eine neue Anklage. In dem aktuellen Verfahren geht es um Schulunterricht in der Sekten-Gemeinschaft in Klosterzimmern bei Deiningen. Die gelernte Erzieherin war dort Lehrkraft, obwohl sie ebenso wie andere "Lehrer" nicht über eine entsprechende Ausbildung verfügte. Dennoch hatte das bayerische Kultusministerium der Sekte jahrelang den Betrieb einer eigenen Schule erlaubt. Im September 2013 holte die Polizei dann rund 40 Kinder wegen der Prügelvorwürfe aus den Gemeinschaften in Klosterzimmern und im mittelfränkischen Wörnitz - die Ermittlungen kamen ins Rollen.

Sekte beruft sich auf die Bibel

Die "Zwölf Stämme" berufen sich auf die Bibel und sehen Rutenschläge als übliche Erziehungsmethode für Kinder vom Babyalter bis etwa 14 Jahre an. Zu Beginn des Prozesses vor dem Landgericht machte die Angeklagte keinen Hehl daraus, dass sie diese Linie aus religiösen Gründen völlig in Ordnung findet. Schon als Erzieherin in der früheren DDR hätten die Kinder von ihr "einmal auf den Hintern gekriegt", obwohl sie genau wusste: "Natürlich war das alles nicht erlaubt!" Nach der Wende schloss sich die Frau im Westen den "Zwölf Stämmen" an, wo die Prügelstrafe ohnehin an der Tagesordnung war. Sie habe Kinder "unterrichtet und gezüchtigt" und bekomme heute noch Briefe von ihnen, sagte die 56-Jährige und hielt einen dicken Umschlag hoch. "Die Kinder waren mir wichtig", begründete sie die Übergriffe.

Anklage nur die Spitze des Eisbergs



Die in der Anklage genannten Fälle sind demnach nur die Spitze des Eisbergs. Zu Beginn des Prozesses überraschte Richter Lenart Hoesch damit, dass ihm unmittelbar zuvor eine neue Kripo-Akte aus Norddeutschland auf den Tisch gekommen sei. Darin geht es um bislang nicht bekannte Vorwürfe, die laut Hoesch nicht "ganz ohne" sind. Details nannte der Richter zwar nicht, sagte der Angeklagten aber deutlich: "Die Zeugenvernehmung, die neu gekommen ist, wirft auf Sie kein gutes Licht." Im niedersächsischen Pennigbüttel in der Nähe von Bremen hatte die Sekte in den 1990er Jahren mit dem Aufbau einer deutschen Niederlassung begonnen, später erfolgte der Umzug nach Bayern.

Auf weinende Kinder eingedroschen

Wegen der neuen Vorwürfe schlug der Richter vor, dass die Erzieherin ihre Berufung zurückzieht, so dass das Urteil des Amtsgerichts rechtskräftig wird. Dann hätte die Staatsanwaltschaft das neue Verfahren einstellen können. Während der Verteidiger und die Staatsanwältin noch diese Möglichkeit ausloteten, machte die 56-Jährige klar, dass sie das Verfahren führen möchte. Hoesch stieg daraufhin in die Beweisaufnahme ein. Das Amtsgericht hatte die Frau wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen verurteilt. Demnach habe die 56-Jährige auch dann weiter auf die Buben und Mädchen eingedroschen, wenn die Kinder zu weinen begannen. Dies wertete das Gericht als "Perversion" und stellte klar, dass auch künftig ähnliche Taten durch die Angeklagte drohten. Deswegen sei eine Bewährungsstrafe nicht angemessen.

Zwar gab es bisher schon eine Reihe von anderen Verfahren gegen Sektenmitglieder, doch keines endete mit einer so harten Strafe. Um das Urteil zu überprüfen, hat die Augsburger Kammer nun zwei Verhandlungstage eingeplant. Neun Zeugen wurden geladen, doch bereits bei dem ersten, einem Zehnjährigen, wurde zum Schutz des Buben die Öffentlichkeit von dem Verfahren ausgeschlossen. Das Urteil soll am kommenden Mittwoch verkündet werden.