Impfmythen auf dem Prüfstand

Faktencheck - Gerüchte und Wahrheiten zum Thema Impfen


Impfen oder nicht impfen? Bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Welche Fakten stimmen? (Symbolbild)

Impfen oder nicht impfen? Bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Welche Fakten stimmen? (Symbolbild)

Von Sven Geißelhardt

Impfen: Die einen sind sehr dafür, die anderen sehr dagegen. Doch für welche Argumente gibt es wirklich Belege - und was stimmt nicht?

Impfen als Pflicht? Wegen mehrerer Masernausbrüche in Schulen hat sich diese Diskussion neu entzündet. Denn manchmal sind zu wenige Kinder immunisiert. Auch ein nationales Impfregister ist von Ärzten als Alternative vorgeschlagen worden. Wegen der Masern-Ausbreitung in Europa werben nun die EU und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeinsam fürs Impfen. Bei 80.000 Maserninfektionen in Europa habe es 2018 mehr als 70 Todesfälle gegeben.

Wenn Argumente von Impfbefürwortern auf Äußerungen von Impfgegnern treffen, stellt sich oft die Frage: Was stimmt? Ein Check zur Europäischen Impfwoche (noch bis 30. April).

Behauptung 1: Es gibt immer mehr Impfgegner

BEWERTUNG: Das stimmt nicht.

FAKTEN: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung untersucht regelmäßig die Einstellung zum Impfen. Die jüngste Befragung aus dem Jahr 2016 zeigt, dass der Anteil der Impfbefürworter gestiegen ist - von 69 Prozent im Jahr 2014 auf 77 Prozent 2016. Der Anteil der Befragten mit Vorbehalten gegen Impfungen ist dagegen deutlich gesunken, von 25 Prozent 2014 auf 18 Prozent 2016.

Behauptung 2: Eine Impfung belastet das Immunsystem von Kleinkindern zu stark

BEWERTUNG: Das ist falsch.

FAKTEN: "Das Immunsystem von kleinen Kindern ist dafür ausgerüstet, sich mit Krankheitserregern auseinanderzusetzen", sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Das Immunsystem des Menschen entwickele sich durch Training. "Dieses Training sollte so früh wie möglich beginnen, und zwar mit einem ungefährlichen Trainingspartner." Impfstoffe zählten dazu.

Behauptung 3: Die Krankheit kann danach erst recht ausbrechen

BEWERTUNG: Das ist falsch - mit seltenen Ausnahmen.

FAKTEN: "Die meisten Impfstoffe heute sind Impfstoffe, in denen nur noch Teile des Erregers vorkommen", sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Er erklärt: In diesen Mitteln seien keine vermehrungsfähigen Erreger, die Krankheiten auslösen könnten.

Im Unterschied dazu gebe es Lebendimpfstoffe, die abgeschwächte Varianten eines Erregers enthielten. Beispiele dafür sind Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln und Gelbfieber. "Diese Erreger können sich begrenzt vermehren", sagt Cichutek. "Aber sie können die entsprechende Infektionskrankheit nicht mehr auslösen." Bei Masern gibt es eine Besonderheit: So bekämen fünf bis 15 Prozent der Geimpften besonders nach der ersten Immunisierung "Impfmasern" mit mäßigem Fieber, Ausschlag und Atemwegs-Symptomen. Das sei aber nicht ansteckend und verursache nur milde Symptome, die von selbst verschwinden.

Behauptung 4: Polio gibt es hierzulande nicht mehr, also braucht man keine Impfung

BEWERTUNG: Das stimmt nicht.

FAKTEN: Polio (Kinderlähmung) gilt in Deutschland seit der Schluckimpfung-Kampagne ab 1962 als ausgerottet. Die letzten beiden importierten Fälle aus Ägypten und Indien wurden 1992 registriert. Trotzdem kann eine Einschleppung von Polioviren auch heute nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die Impfung ist solange notwendig, bis es nirgendwo mehr Polioviren gibt. Heute wird in Deutschland keine Schluckimpfung mit Lebendimpfstoff mehr gegeben, sondern inaktiver Impfstoff gespritzt. In Ländern mit hohem Risiko setzt die Weltgesundheitsorganisation nach wie vor auf die Schluckimpfung. Durch das Ausscheiden abgeschwächter Impfviren werde die Umgebung mitimmunisiert, erklärt Experte Klaus Cichutek.

Behauptung 5: Pharmafirmen verdienen damit extrem viel Geld

BEWERTUNG: Das kann man so pauschal nicht sagen.

FAKTEN: Die Impfstoff-Herstellung gilt in der Branche als weit weniger lukrativ als die Entwicklung manch anderer Medikamente. Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts gibt es weltweit nur noch wenige Firmen, die Impfstoffe produzieren. Die Herstellung sei extrem aufwendig, dauere je nach Impfstoff zwischen einigen Monaten und bis zu zwei Jahren und erfordere Spezialisten. Zusätzlich zu Kontrollen beim Herstellungsprozess gebe es bei Impfstoffen eine staatliche Chargenprüfung. Erfülle eine Charge nicht alle Kriterien, müsse sie verworfen werden. Das könne sehr große Mengen betreffen - und einen entsprechenden Verlust für die Pharmafirma.

Behauptung 6: Impfen hilft der Gesellschaft

BEWERTUNG: Das stimmt.

FAKTEN: Der Gemeinschaftsschutz ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts ein wichtiger Vorteil. Ein Mensch schütze mit seiner Impfung indirekt auch die anderen. Wenn ausreichend viele geimpft seien, könne sich ein Erreger nicht mehr in der Bevölkerung verbreiten. Erst dann seien auch Säuglinge oder Schwangere geschützt, die zum Beispiel nicht gegen Masern geimpft werden können.

Behauptung 7: Masern muss man durchmachen, das stärkt auch den Körper

BEWERTUNG: Das ist falsch.

FAKTEN: Masern sind keinesfalls harmlos. Denn die Viren unterdrücken die Immunabwehr, so dass andere Erreger zum Zug kommen und zum Beispiel eine Lungenentzündung verursachen können. Pro Jahr werden in Deutschland laut Gesundheitsberichterstattung durchschnittlich vier bis sieben Todesfälle registriert, die auf eine Maserninfektion zurückzuführen sind. Vor Einführung der Impfung waren es um die 100 Todesfälle pro Jahr.

Behauptung 8: Es schützt auch gegen andere Leiden

BEWERTUNG: Das ist richtig.

FAKTEN: Impfungen können laut Robert-Koch-Institut nicht nur vor der Erkrankung, sondern auch vor Folgeleiden schützen. Bei Masern werden Hirnhautentzündungen vermieden, die durch die Viren ausgelöst werden. Oder Lungenentzündungen, die entstehen können, wenn Masernviren das Immunsystem lange Zeit schwächen. Die Influenza-Impfung verringert das Risiko einer bakteriellen Lungenentzündung oder auch von Herzinfarkt und Schlaganfall (als Komplikation nach einer Influenza). Die Windpocken-Impfung im Kindesalter schützt indirekt auch vor Gürtelrose.

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