Kultur

Magie und Zufall

David Crosby ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Er prägte die Rockmusik mit den Byrds und mit Crosby, Stills & Nash


David Crosby im Jahr 2021, als er sein letztes Album "For Free" veröffentlichte. Der Titelsong stammt von Joni Mitchell, die er 1967 entdeckt hatte.

David Crosby im Jahr 2021, als er sein letztes Album "For Free" veröffentlichte. Der Titelsong stammt von Joni Mitchell, die er 1967 entdeckt hatte.

Von Dominik Petzold

"Ich werde bald sterben", sagte David Crosby vor anderthalb Jahren zur AZ, "und in der Zeit, die mir bleibt, will ich nur noch eines: so viel gute Musik machen wie möglich." Die Worte des legendären Musikers klangen damals nicht düster, die Betonung schien auf dem zweiten Teil des Satzes zu liegen. Zumal da ein gut gelaunter, tatkräftiger älterer Herr sprach, der gerade das fünfte Album innerhalb von sieben Jahren herausbrachte. Nun ist David Crosby im Alter von 81 Jahren gestorben - nach langer Krankheit, wie seine Frau mitteilte.

Die Nachwelt hat ihm viel sehr gute Musik zu verdanken, weit mehr als nur die Platten, auf denen sein Name steht. Denn David Crosby hat in der zweiten Hälfte der Sechziger einen immensen Einfluss auf die Entwicklung der Rockmusik genommen: Er war Gründungsmitglied von gleich zwei prägenden Bands. Und obendrein entdeckte er eines der Genies des zwanzigsten Jahrhunderts, Joni Mitchell, und brachte ihre Karriere in Gang.

David Crosby war am 14. August 1941 in Los Angeles zur Welt gekommen. Sein Vater Floyd Crosby war Kameramann, gewann mit Friedrich Wilhelm Murnaus Film "Tabu" einen Oscar und drehte "Zwölf Uhr Mittags". In seinem Haus lief ständig klassische Musik. Das prägte das Harmonieverständnis des Sohnes. Der flog vom College, strebte eine Musikkarriere an und lernte 1964 Roger McGuinn und Gene Clark kennen, die gemeinsam in L.A. auftraten. Sie taten sich zum Trio zusammen, später gründeten sie die Byrds.

Die mischten zwei musikalische Elemente und lösten eine Explosion aus: Zum Folk kam der Sound der Beatles, die Crosby verehrte, und gleich die erste Single "Mr. Tambourine Man" wurde zum Nummer-eins-Hit. Die jingle-janglende Version verzückte auch den Liedautor Bob Dylan, der es wenig später ebenfalls mit der Rockmusik versuchen sollte.

Die Byrds hoben also den Folkrock aus der Taufe, und mit ihrem Hit geriet in Los Angeles eine kreative Lawine ins Rollen - insbesondere im Laurel Canyon, den malerischen Hügeln am Rand der Stadt. In kürzester Zeit wurde Los Angeles zum Pop-Zentrum des Landes, eine wunderbare Platte folgte auf die andere, vier davon machte Crosby mit den Byrds. Deren Markenzeichen waren die mehrstimmigen Gesangsharmonien, die vorwiegend Crosby arrangierte. Inspiration fand er bei den Everly Brothers, aber auch bei Bach und Jazz-Pianisten wie Bill Evans und McCoy Tyner. Den Bandkollegen brachte er daneben auch indischen Raga nahe, und das Ergebnis war die epochale Psychedelia-Single "Eight Miles High" von 1966.

Ein Jahr später überwarf sich Crosby mit den Bandkollegen. Einer der Auslöser war der Streit über sein Lied "Triad", in dem er sich für Dreier-Beziehungen ausspricht. Die Kollegen wollten das Stück nicht auf dem Album haben, dann veröffentlichten es die entspannteren Jefferson Airplane. Crosby sagte später, die Byrds hätten ihn aber letztlich gefeuert, weil er ein, nun ja, Idiot gewesen sei; sein genauer Wortlaut war noch selbstkritischer.

Im selben Jahr hörte der selbstbewusste Mann in einem Folk-Club in Florida die unbekannte kanadische Folksängerin Joni Mitchell und erkannte sofort ihre Gabe. Er nahm sie mit nach Los Angeles und stellte sie stolz den anderen Berühmtheiten aus seiner Nachbarschaft im Laurel Canyon vor. Kurzzeitig hatten Mitchell und er eine stürmische Liebesbeziehung, er verschaffte ihr einen Plattenvertrag und produzierte ihr erstes Album. Ihre Wege trennten sich, bevor beide Welterfolg hatten - er schon zum zweiten Mal, mit "Crosby, Stills & Nash".

Deren Sound war in wenigen Minuten entstanden. Crosby hatte schon eine Weile mit Stephen Stills gejammt, dessen Band Buffalo Springfield sich aufgelöst hatte. Im Sommer 1968 nahm Crosby seinen englischen Bekannten Graham Nash von den Hollies mit zu einer Party und sang dort mit Stills dessen Lied "You Don't Have To Cry". Nash bat die beiden, es noch mal anzustimmen, dann ein weiteres Mal. Beim vierten Durchgang stieg er ein, sang eine dritte Stimme und es klang magisch. "Keiner hätte vorhersehen können, dass die sehr unterschiedlichen Stimmen von Crosby, Stills und Nash zusammen so einen eigenen Klang haben", sagte Crosby 2021 zur AZ.

Dieser Zufall bestimmte den Rest seines Künstlerlebens. Graham Nash blieb in den USA, und das großartige Debütalbum des Trios wurde 1969 ein Riesenhit. Als sie im Sommer des Jahres beim Woodstock-Festival auftraten, waren sie bereits auf Anraten von Plattenboss Ahmet Ertegun um einen vierten Mann verstärkt: Neil Young, dessen Weltkarriere mit Crosby, Stills und Nash den entscheidenden Schub bekam.

Ihr Album "Déjà Vu" von 1970 war ebenfalls bärenstark, wenn auch laut Crosby nicht so stark wie der Vorgänger. Nach dem Live-Album "4 Way Street" von 1971 trennten sie sich erstmals, aber obwohl ihre Beziehungen, vorsichtig ausgedrückt, kompliziert waren, kamen sie im Lauf der Jahrzehnte immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen zusammen. So nahm Crosby in den Siebzigern mit Nash mehrere Duo-Platten auf.

1971 feierte er außerdem, unterstützt von Mitgliedern der Grateful Dead, sein Solodebüt, das Album wurde damals verrissen, im Lauf der Jahre aber immer mehr verehrt. Der Titel "If I Could Only Remember My Name" schien programmatisch, im Lauf der Jahre wurde Crosby ebenso mit seinem ausschweifenden Lebensstil in Verbindung gebracht wie mit seiner Musik. Mit der hatte er noch länger Erfolg, bei einer Welttournee 1974 spielten Crosby, Stills, Nash & Young in Sportstadien, ihr Best-of-Album "So Far" erreichte im selben Jahr Platz 1 der US-Charts. Auch der Yacht-Rock des Albums "CSN" von 1977 war erfolgreich.

Derweil wurde aber Crosbys Drogenproblem immer größer. Seit dem Verkehrstod seiner Lebensgefährtin Christine Hinton 1969 hatte er zunehmend harte Drogen genommen, Mitte der Siebziger war er abhängig von Kokain und Heroin. 1985 landete er wegen Drogenbesitzes und einer illegalen Waffe fünf Monate im Gefängnis, hier wurde er clean.

Ende der Achtziger holte sein Bewunderer Phil Collins, der auf dem Gipfel seines Ruhms war, Crosby ins Studio: Er sang auf "Another Day In Paradise", außerdem produzierte Collins sein Solo-Comeback "Oh Yes I Can". In den Neunzigern aber wurde Crosby von seinem ausschweifenden Lebensstil eingeholt, 1994 musste ihm eine neue Leber implantiert werden. Das bescherte ihm drei weitere Jahrzehnte voller Musik.

Ende der Neunziger gründete er eine Band mit seinem Sohn, dem Pianisten Raymond Carver. Der war von seiner Mutter zur Adoption freigegeben worden und fand erst mit 30 Jahren heraus, dass sein Vater auch Musiker war, ein legendärer obendrein. Außerdem war Crosby mittels Samenspende der biologische Vater der beiden Kinder von Sängerin Melissa Etheridge und deren Ehefrau; der Sohn Becket starb 2020 an einer Überdosis. David Crosby hatte drei weitere Kinder, darunter einen Sohn mit Ehefrau Jan, mit der er seit 1987 verheiratet war.

Seit 2014 hatte Crosby mit jungen Musiker gearbeitet, für die fünf Alben fand er viel Anerkennung. Seine Zusammenarbeit mit Stills und Nash war kurz zuvor zu Ende gegangen. 2013 spielten sie ein letztes Mal in München. Wenig später waren die zerrütteten Beziehungen endgültig nicht mehr zu kitten.

Auch sein engster Partner Graham Nash lag mit ihm überkreuz, fand jetzt aber würdigende Worte für seinen Weggefährten, Stephen Stills ebenfalls. Crosby habe eine "geniale" harmonische Sensibilität gehabt, sagte er: "Er war ohne Frage ein Gigant von einem Musiker."