Filmfestspiele in Cannes

Cannes: Terrence Malicks Eso-Geschichte


Alain Delon wischte eine Träne weg, bevor er mit einer Goldenen Palme für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird. Zuvor winkte er vom Balkon des Palais du Feastival den Fotografen.

Alain Delon wischte eine Träne weg, bevor er mit einer Goldenen Palme für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird. Zuvor winkte er vom Balkon des Palais du Feastival den Fotografen.

Von Adrian Prechtel / TV/Medien

Terrence Malick bleibt seinem esoterischen Kino treu, die frische Überraschung in Cannes aber bietet die Französin Céline Sciamma

Der "Poet des Kinos", wie er huldigend genannt wird, hat eine wichtigtuerische Allüre: Er tritt nicht öffentlich auf - und selbst dann nicht, wenn er eine Premiere in Cannes hat. Aus deutscher Sicht aber ist "Ein verborgenes Leben" sicher der spannendste Film im diesjährigen Wettbewerb ohne deutschen Beitrag.

Heiteres Gesichterraten

Denn es geht um deutsche Geschichte - und man kann ein Gesichter-Raten im Kino veranstalten: ist das nicht Bruno Ganz? Ulrich Matthes, Tobias Moretti, Alexander Fehling, Martin Wuttke? Ja, alle in kleinen Rollen. August Diehl aber hat die Hauptrolle in dem langsam fließenden dreistündigen Film als Franz Jägerstätter.

Er ist ein Bergbauer aus dem Salzburger Land, ganz nah bei Hitlers Obersalzberg. und verweigert aus religiösen Gründen den Wehrmachtsdienst. Er wird inhaftiert und zwei Jahre später, 1943, als "Wehrkraftzersetzer" in Berlin hingerichtet. Seine Frau (Valerie Pachner), die ihn liebt und mit den drei kleinen Töchtern braucht, söhnt sich am Ende mit seinem Märtyrertod aus.

Tourismusbroschürenreif

Aber der Film ist überladen: Fast ununterbrochene romantische Orchester- und bedeutungsschwangere Chormusik suggerieren metaphysische Schicksalsschwere. Dazu werden aus dem Off mit getragener Stimme Briefe und Gebete Jägerstätters gelesen. Große Alpenpanoramen bekommen naturreligiöse Züge, und auch vom Dorf bis hin zum Kohlkopf im Gemüsegarten ist alles tourismusbroschürenreif kitschig.

Im Vordergund wird seltsam langsam, akzentgeschwängert, wie aufgesagt Englisch gesprochen, während im Hintergrund an Tischen und bei der Feldarbeit alpin gefärbt Deutsch geredet wird. Das alles ist unfassbar manieriert, und es gibt keine Innenschau Jägerstätters. So kann man eine brutale, wahre Widerstandsgeschichte nicht erzählen, auch wenn die pathetische Art von Terrence Malick im Palais du Festival gut ankam.

Lesbische Liebe, reiner Frauenblick

Wie man einen historischen Stoff - durchaus auch stark künstlerisch stilisiert - bewegend erzählen kann, zeigte dagegen die Französin Céline Sciamma. Sie verlegt ihren Film in das ausgehende 18. Jahrhundert: Barockkleider, vom Flackern einer Kerze beleuchtete Räumen, ein Liebespaar, das sich auch beim Sex noch siezt - und doch ist alles brennend aktuell.

Denn das "Portrait de la jeune fille en feu" verhandelt die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit völlig unideologisch, dafür sehr klug und kunstvoll. Wer dann noch erlebte, mit welcher natürlichen und nahbaren Grandezza Celine Sciamma mit ihrem Frauenteam die Stufen des roten Teppichs erklomm, hatte das perfekte Bild davon, mit welcher Selbstverständlichkeit Frauen gerade das Kino erobern.

Männer kommen in ihrem Film gar nicht mehr vor. In der ersten Szene setzt man Marianne (Noémie Merlant), eine junge Malerin, die die junge Aristokratin Heloise (Adèle Haenel) zur Brautwerbung malen soll, auf einer Küsteninsel am französischen Atlantik ab.

Das riecht nach Palmenparfüm

Dann sind die Frauen im Schloss unter sich. Sie rauchen, trinken, nehmen eine Droge, werfen die Damastkleider ab, schnüren sich das Korsett auf, gehen schwimmen, haben Sex - und, das ist das Schönste: Sie lernen lachen. Erst als beide alle Konventionen sprengen und eine Affäre beginnen, gelingt der Malerin der Sprung vom Handwerk zur Kunst.

Am Ende des Films kommt die Mutter zurück, das Porträt ist fertig, Heloise wird heiraten. Ihnen bleibt die Geschichte, die sie sich vorgelesen haben: die von Orpheus und Euridike. Dreht Orpheus sich nach der Geliebten um, um seine Kunst zu retten? Das behauptet die Malerin. Denn nur, wenn ich etwas nicht habe, entsteht aus dem Bild, der Erinnerung und der Projektion die Kunst. Und das kann heute natürlich auch Filmkunst sein.

So bekam "Portrait de la jeune fille en feu" nicht nur in der Gala, sondern schon in der Pressevorführung nicht enden wollenden Applaus. Das riecht stark nach goldenem Palmenparfüm!