Eine globale Hitler-Biografie

Brendan Simms über Hitler, die USA und Amerika


sized
Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Die neue "globale" Hitler-Biografie von Brendan Simms legt ein Schwergewicht auf die Hassliebe des Diktators zu Großbritannien und Amerika.

Wenn ein Buch auf der Rückseite marktschreierisch mit den Worten beworben wird, dass viele der wichtigsten Dinge, die man über Hitler wüsste, falsch seien, löst das beim Leser womöglich eine Reaktion der Abwehr aus. Denn die Älteren erinnern sich noch an die (gefälschten) Tagebücher, nach deren (angeblicher) Entdeckung es hieß, die Geschichte des "Dritten Reichs" müsse umgeschrieben werden.

Brendan Simms' über 1000 Seiten starker "Hitler" hat tatsächlich einen neuen Aspekt zu bieten: "eine globale Biografie". Das ist zwar ein etwas vollmundiges Versprechen, weil Australien und die Antarktis (gottlob) auch weiter nazifrei bleiben. Aber die Grundthese des in Cambridge lehrenden Historikers, Hitlers zentrale Obsession habe nicht dem Bolschewismus, sondern der Weltmacht USA und dem britische Empire gegolten, betont einen bisher weniger beachteten Aspekt und ist auch ohne weiteres mit Hitlers Antisemitismus kompatibel.

Der Osten als wilder Westen

Simms' versteht, und da unterscheidet er sich nicht von anderen Hitler-Biografen, den Ersten Weltkrieg als Dreh- und Angelpunkt. Seine Darstellung beginnt im Juli 1918, als sich mit dem Kriegseintritt der USA die deutsche Niederlage abzuzeichnen begann. Am 17. Juli nahm der Gefreite Hitler zwei Amerikaner gefangen.

In späteren Reden kam er immer wieder auf diesen Augenblick zu sprechen, "als auf den französischen Schlachtfeldern die ersten amerikanischen Soldaten auftauchten", die Hitler als "Menschen unseres eigenen Blutes" verstand, "die wir jahrhundertelang abgeschoben hatten und die jetzt bereit waren, das Mutterland selbst in Grund und Boden hineinzutreten".

Damit habe alles begonnen, so Simms, "die Besessenheit von Deutschlands demografischer Schwäche, die letztlich nur durch ,Lebensraum' im Osten behoben werden konnte; der Respekt vor den angelsächsischen Mächten mit ihrem offenbar unbegrenzten territorialen, demografischen und ökonomischen Ressourcen und das Bestreben, einen weiteren, vom ,Weltjudentum' angezettelten ,rassischen' Bürgerkrieg zwischen Angelsachsen und Teutonen zu vermeiden".
Hitler bewunderte das riesige Industriepotenzial und die technologische Entwicklung in Amerika wie die Fließbandproduktion bei Ford. Die Parteizentrale in München sollte anfangs ein Wolkenkratzer werden. In Hamburg sollte eine zweite Golden-Gate-Brücke am Hafen und ein 250 Meter hohes Gauhochhaus den per Schiff aus Übersee Anreisenden imponieren. Auch die Wahlkämpfe der frühen 1930er Jahre mit massenhaften Wahlauftritten und viel Spektakel scheinen die Nazis den USA abgeschaut zu haben.

Die Juden als Geiseln

Hitlers Verhältnis zu den USA blieb ambivalent. Er verachtete ihre Kultur, bewunderte aber den Lebensstandard. Die amerikanische Macht beruhte für Hitler, wie Simms betont, auf der gewaltsamen Eroberung des "Wilden Westens". Als die amerikanische Presse seine Rassenpolitik kritisiert, habe sich Hitler "irritiert" gezeigt, seien es doch die Vereinigten Staaten gewesen, "die als Erste politische Schlüsse aus den Unterschieden zwischen den Rassen gezogen hätten", so Simms.

Der Überfall auf die Sowjetunion 1941 zur "Eroberung des Lebensraums für das deutsche Volk" im Osten sollten das Reich bei den Rohstoffen konkurrenzfähig mit dem britischen Empire und den USA machen. Im Osten werde sich "zum zweiten Mal ein ähnlicher Vorgang wiederholen wie bei der Eroberung Amerikas", prophezeite Hitler, der mit der Ansiedlung von 10 Millionen Deutschen auf dem besetzten russischen Gebiet rechnete.

Und der millionenfache Mord an den Juden? Hitler habe sie zunächst noch als "Geiseln" im Land halten wollen, vor allem für ein "Wohlverhalten" der angeblich jüdisch kontrollierten Vereinigten Staaten, schreibt Simms unter Berufung auf Äußerungen Hitlers. Seine These, das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten sei "Hauptziel und Hauptkontext" von Hitlers Vernichtungskrieg gegen die europäischen Juden gewesen, bleibt mindestens eine fragwürdige Überspitzung.

Ohne jede Einordnung

Sonst argumentiert Simms zwar etwas einseitig, aber nah an den Quellen. Das Problem bleibt - ähnlich wie in Wolfram Pytas vor fünf Jahren erschienenem 800-Seiten-Wälzer "Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr" - die Form der Biografie: Sie zwingt dem Autor Abschweifungen auf, die mit der Kernthese wenig zu tun haben und verführt dazu, alles und jedes auf Amerika und Großbritannien zu beziehen.

Simms ist im Vorwort stolz darauf, dass sein Buch keinen Absatz enthalte, in dem Hitler nicht vorkäme. Genau das aber beschreibt ein Problem: Es fehlt jede Einordnung von Hitlers Amerika- und Großbritannienbild in eine gesamtdeutsche Perspektive von Kritikern wie Oswald Spengler und Thomas Mann ("Betrachtungen eines Unpolitischen") oder Begeisterten wie Bertolt Brecht.

Die Kontinuität eines deutschen Antiamerikanismus wäre womöglich interessanter als die unvermeidlichen Auftritte von Geli Raubal, Eva Braun und Theo Morell, die mit der Kernthese dieses Buchs nichts zu tun haben.

Brendan Simms: "Hitler. Eine globale Biographie" (DVA, 1050 Seiten, 44 Euro)