Münchner Philharmoniker

Auf der Suche nach dem goldenen Weg


Die Münchner Philharmoniker proben mit dem Pianisten Rudolf Buchbinder auf Abstand.

Die Münchner Philharmoniker proben mit dem Pianisten Rudolf Buchbinder auf Abstand.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Die Philharmoniker kehren zum normalen Proben- und Spielbetrieb zurück: erst online, dann mit Valery Gergiev und 50 Zuhörern. In der kommenden Spielzeit hoffentlich wieder in alter Stärke und vor vollem Haus

Ende Februar spielten die Münchner Philharmoniker unter Semyon Bychkov ihr letztes Konzert. Das für Anfang März geplante Programm mit Barbara Hannigan fiel bereits coronabedingt aus. Nun, nach über zwei Monaten Pause, trafen sich die Musiker des Orchesters der Stadt wieder im Gasteig, um unter Leitung des Konzertmeisters Lorenz Nasturica-Herschcovici wieder zu proben - mit großem Abstand.

Am Freitag vor Pfingsten kam der Solist Rudolf Buchbinder hinzu, und am vergangenen Samstag wurde das Programm aufgenommen - allerdings ohne Publikum. Der Mitschnitt der beiden Klavierkonzerte von Joseph Haydn (D-Dur) und Ludwig van Beethovens (Nr. 1 in C-Dur) wird am kommenden Samstag auf dem kostenpflichtigen Streaming-Portal Fidelio und für kurze Zeit auch kostenlos auf der Homepage der Münchner Philharmoniker zu sehen sein.
Ob die Philharmoniker dafür zahlen oder ob die Portale dem Orchester dafür etwas zahlen, blieb offen. Paul Müller, der Intendant des Orchesters, spricht von einem "sehr verantwortbaren Deal". Müller ist es wichtig, an Debüts zweiter Dirigentinnen festzuhalten: Oksana Lyniv leitet - ebenfalls als Aufzeichnung für einen Stream - Haydns Symphonie Nr. 96 mit dem Beinamen "The Mircale" und "The Messenger" des ukrainischen Komponisten Walentyn Sylwestrow.
Auch einen Online-Auftritt von Karina Canellakis wird es geben - ebenfalls mit kleiner besetzten Werken wie Beethovens Vierter und "Shaker Loops" von John Adams. Ab dem 15. Juni sind dann laut dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung 50 Zuhörer zugelassen. Das erste Konzert vor Publikum im Gasteig möchte Chefdirigent Valery Gergiev selbst leiten. Er wird dafür zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder St. Petersburg verlassen.

Die Aufführung des groß besetzten Oratoriums "Arche" von Jörg Widmann unter Kent Nagano muss ausfallen - auch mangels Probenmöglichkeit für den Philharmonischen Chor und die Audi-Jugendchorakademie. Die letzten Konzert der Saison unter dem vielversprechenden Finne Klaus Mäkelä und dem Dirigenten Andrés Orozco-Estrada werden ebenfalls in veränderter Form stattfinden.

Wie die 50 Personen ausgewählt werden, sei eine "hochinteressante Frage", so Intendant Müller. Er arbeite an einem "goldenen Weg", der Abonnenten wie auch die Freunde und Förderer des Orchesters zufriedenstellen werde. Im nächsten Schritt sollen es nach den Vorgaben der Staatsregierung dann - zu einem noch nicht festgelegten Zeitpunkt - 350 Zuhörer sein. Das sind weniger als die 600 Personen, für die der Gasteig ein überzeugendes Hygienekonzept ausgearbeitet hatte, das nach den geänderten Vorstellungen der Staatsregierung hinfällig wurde.

Möglicherweise werden die Programme nach einem Durchlüften mehrfach wiederholt. Die für den Klang eher nachteilige Größe des Gasteig erweise sich dabei als hilfreich, so Müller. Aber der Beginn mit 50 Zuhören sei auch nicht schlecht, um die Bedingungen vor und hinter der Bühne zu testen.

Die Frage, was eigentlich passiere, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein Infizierter ein Konzert besucht habe, konnte Müller nicht beantworten: "Offen gestanden, das hatten wir nicht auf dem Schirm." Tatsächlich müssten dann wohl - wie in der Gastronomie - die meisten Besucher in Quarantäne.

Was die Maskenpflicht angeht, gibt es derzeit behördlicherseits widersprüchliche Aussagen. Realistisch scheint aber ein Tragen im Gebäude bis zur Ankunft auf dem Platz, wie es ähnlich auch bei Konzert auf der Unterbühne der Staatsoper in der vergangenen Woche praktiziert wurde: Während der Aufführung selbst durfte der Mund-Nasenschutz abgenommen werden.

Zur immer noch nicht abgesagte städtischen Großveranstaltung "Klassik am Odeonsplatz" werden sich die Philharmoniker noch diese Woche äußern - zusammen mit dem ebenfalls beteiligten Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Und dann ist erst einmal Sommerpause.

Wie es im September mit den Konzerten der Münchner Philharmoniker weitergeht, ist offen. Der erste Termin der Philharmoniker wäre ein Konzert beim Lucerne Festival gewesen, das abgesagt wurde und nun womöglich in verkleinerter Form doch stattfindet. Diesem Konzert sollen Auftritte in Köln, Freiburg, Frankfurt und Paris sowie eine Spanien-Tour folgen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgesagt wurden.

Wie viele Zuhörer im Herbst in den Saal dürfen, ob es regionale Unterschiede gibt und welche Besetzungen dann möglich sind, das ist alles offen. Auch Widersprüche sind dabei nicht auszuschließen, wie etwa strenge Hygienekonzepte auf der Bühne und im Saal und eher lässige bei der Anreise mit der S-Bahn, im Zug bei den innerdeutschen Reisen des Orchester oder auf Flügen in Europa.

Bis Dezember haben sich die Münchner Philharmoniker einiges vorgenommen: Das Debüt von Joana Mallwitz, Orffs "Carmina burana", das Comeback des Dirigenten Chung Myung-whu, unter Gergiev "Salome" konzertant im Gasteig und szenisch in Baden-Baden, Beethovens "Missa solemnis" und eine CD-Aufnahme der beiden Brahms-Konzerte mit der Pianistin Juja Wang, die ohne eine volle Streicherbesetzung wenig sinnvoll scheint.

Müller will flexibel agieren und so wenig wie möglich absagen. Alle Dirigenten seien zu Programmänderungen bereit. Und die Situation im Frühjahr dürfte noch weniger vorhersehbar sein. Da sind die Philharmoniker nach China eingeladen, um in Peking unter Gergiev Gustav Mahlers Symphonie Nr. 2 aufzuführen und im Abschluss daran weitere Städte bereisen. Derzeit ist weder klar, welche Flüge bis dahin angeboten werden und wie sich die Balance aus Kosten und Nutzen bei solchen für den internationalen Ruf des Orchesters wichtigen Gastspielen dann darstellt.

Prognosen sind derzeit schwierig, zumal die Auswirkungen der Krise auf den Etat des Orchesters kaum absehbar scheinen. In der Spielpause haben die Musiker mit den Abonnenten telefoniert und festgestellt, dass die Sehnsucht nach den Konzerten im Gasteig groß ist, die Angst aber auch besteht, sich anzustecken. Es wird also eine Gratwanderung, und viel hängt davon ab, dass bei den ersten Konzerten im Juni und Juli nichts passiert. Dann wird es wenigstens ein paar Fragezeichen weniger geben.

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