AZ-Interview mit dem spanischen Filmregisseur

Almodóvar: "Der Film war Psychotherapie"


Geniales Trio: Regisseur Almodóvar, der sich heute gerne hinter Sonnenbrillen verschanzt, mit seiner Muse Penélope Cruz, die im Film seine Mutter in Kindertagen spielt, und seinem Freund Antonio Banderas, der sein Alter Ego in "Leid und Herrlichkeit" ist.

Geniales Trio: Regisseur Almodóvar, der sich heute gerne hinter Sonnenbrillen verschanzt, mit seiner Muse Penélope Cruz, die im Film seine Mutter in Kindertagen spielt, und seinem Freund Antonio Banderas, der sein Alter Ego in "Leid und Herrlichkeit" ist.

Von André Wagner

Der spanische Filmregisseur Pedro Almodóvar spricht mit der AZ über über seinen Film "Leid und Herrlichkeit", Drogen, Altersschmerz sowie Lust und Liebe.

München/Cannes - Mit seinen wilden Filmen machte er Antonio Banderas in den 80er und Penélope Cruz in den 90er Jahren berühmt. Als Regisseur wurde er mit "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" (1988) international bekannt. Im Jahr 2000 erhielt er für seinen Film "Alles über meine Mutter" einen Oscar und einen Golden Globe. Am 25. September wird der Mann aus La Mancha 70.

Der Titel ist Programm: "Leid und Herrlichkeit". In seinem 22. Film erzählt Pedro Almodóvar vor allem von sich. Ausgehend von heute als Mann, der von chronischen Schmerzen geplagt wird und noch einmal einer großen Liebe begegnet, erinnert sich der Regisseur (dargestellt von Antonio Banderas) an seine Dorf-Kindheit und die wilden Zeiten in Madrid. Die AZ traf Almodóvar bei der Premiere des Films in Cannes.

AZ: Señor Almodóvar, Sie erzählen in "Leid und Herrlichkeit" von zwei bedingungslosen Lieben: von der zwischen Mutter und Sohn und von der ersten großen als junger Mann.
PEDRO ALMODÓVAR: Aber der Unterschied ist: Die Liebe der Mutter bleibt ein Leben lang. Bei der andere großen Liebe kann der Punkt kommen, dass man sie bei aller Leidenschaft abbrechen muss - aus Selbstschutz. Das hängt einem dann ein Leben lang nach, ist unheilbar, wie wenn man sich einen Arm abgeschlagen hat.

Sie zeigen eine Mutter als Kämpferin für die Familie...
...ja, meine Mutter war immer bedingungslos für mich da. Sie ist in meinen Filmen immer wieder aufgetaucht. Dieses Mal habe ich sie als Überlebenskünstlerin in der Nachkriegszeit zeigen wollen, wie viele spanische Frauen, die jetzt alt sind. Diese Frauen erleben, wie man heute als Frau leben kann. Sie spüren jetzt, dass das Leben nicht fair zu ihnen war, und sie wissen nicht, wie sie glücklich sein können. So werden manche von ihnen verbittert und fast grausam gegenüber ihren Kindern und Familien.

Almodóvar: "Das Alter ist eine Krankheit und ein Massaker"

Wird man im Alter wirklich weiser, ruhiger und toleranter?
Nicht in meinem Fall. Ich bin Atheist und habe keine psychologische Stütze. Ich stimme eher Philipp Roth zu: Das Alter ist eine Krankheit und ein Massaker. Ich verliere jeden Tag ein kleines Stück meines Lebens. Ich werde nicht dieser Typ des "netten Alten". Ich verlange mir jeden Tag 5.000 bis 10.000 Schritte ab, was mich Kraft und Überwindung kostet, und ich habe noch ein Sexualleben. Ich bin mit jemanden seit 20 Jahren liiert, auch wenn ich Sex mit jemand anderem habe.

Die Hauptfigur, die Antonio Banderas als Ihr Alter Ego spielt, umgibt eine gewisse Einsamkeit. Steht das mit Ihrer Homosexualität im Zusammenhang?
Nein, das ist ein Teil der menschlichen Natur und hat mehr mit dem Altern zu tun als mit der Sexualität. Und natürlich ist auch der Beruf des Künstlers mit Einsamkeit verbunden, weil man alleine schreibt und schöpferisch tätig ist. Schaffensphasen sind einsame Zeiten. Das Schreiben für diesen Film ging zögerlicher als erwartet, mir war fast ein wenig schwindelig, weil ich die Hauptfigur so nah an mich herangelassen habe. Und auch noch beim Drehen gab es Momente des Zögerns. Aber Antonio, der mich ja von früher her gut kennt, und ich: Wir haben entschieden, mich nicht zu imitieren. Aber überraschenderweise haben dann doch viele zu mir gesagt: Wenn Antonio spielt, sehen wir Dich! Daran sieht man die große Kunst von Antonio, dass er - ohne zu imitieren - mich unbewusst durchschimmern lässt.

Wer sind für Sie Antonio Banderas und Penélope Cruz?
Antonio ist für mich wie ein jüngerer Bruder, wir sind beide von den 80ern geprägt, als wir fast jeden Abend durch Madrid getigert sind. Mit Penélope Cruz ist das anders. Sie bewirkt, dass ich mich heterosexuell fühle. Und nach all den Jahren ist sie einfach ein wunderbarer Kumpel für mich. Und natürlich sind wir auch eine Art emotionale Familie. Mein Vater ist 1980 gestorben und sagte mir: Jetzt bist du der Pater familias! Ich musste auch nach meinen jüngeren Brüdern schauen. Aber das alles passierte sehr natürlich, auch dass mich umgekehrt meine Schwester unterstützt, wenn ich ins Schwimmen komme. Und dann habe ich diese Familie noch mit meinen emotionalen Geschwistern wie Antonio oder Penélope angereichert.

Almodóvar: "Antonio ist für mich wie ein jüngerer Bruder"

Wie haben Sie Penélope Cruz kennengelernt?
1992, nach dem Film "Jamon Jamon". Sie wollte eine richtige Schauspielerin werden und mit mir konnte sie all ihre Träume verwirklichen.

Ihr Alter Ego im Film gerät in Drogenabhängigkeit.
Aber es ist nicht das Leben eines Junkies. Er ist eher ein Tourist der Drogenerfahrung. Es ist die gewünschte Linderung für jemanden mit chronischen Schmerzen. Ich selbst habe grausame Rücken- und Kopfschmerzen, und diese chronischen Schmerzen verändern deine Gewohnheiten. Denn ich vertrage Lärm nicht mehr, und Sitzen ist nur noch unter Schmerzen möglich. All das verändert die Persönlichkeit. Es verhindert, dass man ins Kino geht oder ins Theater, was ich aber beides noch mache. Aber schon so etwas wie ein Klassentreffen sagt man lieber ab. Man vereinsamt. Und so ist der Griff zu den Drogen im Film verbunden mit der Hoffnung, ohne Schmerzen wieder produktiv sein zu können. Mir geht es genauso: Kein Filmprojekt vor sich zu haben, macht das Leben sinnlos. Und so greift die Figur zu Heroin, riskiert Abhängigkeit. Aber das ist in seinem Alter und Zustand das Risiko, das er in Kauf nimmt, um wieder schreiben zu können. So wird er gerettet. Das ist natürlich kein klassisches Happy End. Aber das alles lässt wieder die Erinnerung an seine Kindheit und an sein erstes Begehren hochkommen.

Im Film sieht ein Junge fasziniert zu, wie sich ein Fliesenleger nach getaner Arbeit auszieht und wäscht. Ist das autobiografisch?
Nur das Alter: dieser Junge um die 9 Jahre. Bei mir war es ein Klassenkamerad, in den ich mich verliebt hatte. Es war das erste Mal, dass man ahnte, was die Erwachsenen mit "Liebe" und "Leidenschaft" meinten.

Almodóvar: "Ich bin kein großer Freund der Ehe"

Und dann kommt im Film ja noch die späte Wiederbegegnung mit einer lang vergangenen großen Liebe.
Ja, und das zusammen mit dem Schreiben und Drehen war wie eine Psychotherapie für mich, die den Umgang mit den physischen und psychischen Schmerzen meiner ungelösten Vergangenheit linderte.

Wie empfinden Sie die Entwicklung in der Schwulen-Szene einschließlich Heiratsmöglichkeit?
Ich bin kein großer Freund der Ehe als Institution, aber natürlich muss man es denen erlauben, die heiraten wollen. Ich denke, dass die Homosexuellen die Idee von Ehe und Familie erneuert haben, nicht nur, weil jetzt auch sie heiraten konnten, sondern auch, weil die Diskussion darüber das Bewusstsein verändert hat. Und was das Kinderhaben anbelangt: Ich habe das lange verdrängt, aber als ich so 45 Jahre alt war, habe ich plötzlich Leute mit Kindern beneidet und empfinde auch heute noch eine Sehnsucht danach. Wenn man jünger ist, gibt es noch mehr Potenzialität im Leben und höhere Erwartungen. Die Vergänglichkeit der Zeit ist das, was man im Alter zunehmend spürt. Und so ist auch die Zeit selbst ein Protagonist des Films.

"Leid und Herrlichkeit", R.: Pedro Almodóvar, Spanien 2019, 114 Minuten, seit Donnerstag im Kino.