Volkstheater

„Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“ von Martin Crimp - die AZ-Kritik


Keine antike Tragödie ohne Blut: Nina Steils als eines der drei bösen Mädchen, die den Chor der Phönizierinnen vertreten.

Keine antike Tragödie ohne Blut: Nina Steils als eines der drei bösen Mädchen, die den Chor der Phönizierinnen vertreten.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Das Volkstheater zeigt "Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino" von Martin Crimp frei nach Euripides

Die Idee ist nicht ohne Reiz. Zwei Thronerben beschließen, sich die Regierung ihres Landes zu teilen. So übernimmt der eine die Regierung und der andere geht in ein freiwilliges Exil. Nach einem Jahr wird getauscht. Doch Eteokles wurde süchtig nach dem Repräsentieren und der Machtausübung. So ein eitler Geck mit Pelzstola und Glitzerschleppe, wie ihn Nicolas Streit auf die Bühne des Volkstheaters stellt, taugt vermutlich ohnehin zu nichts anderem als ein Königs-Darsteller.

Euripides erzählte dieses Szenario in der Tragödie "Die Phönizierinnen", die Martin Crimp, bereits ein Klassiker der zeitgenössischen britischen Dramatik, vor einigen Jahren für das Publikum unserer Zeit auffrischte. Wir kennen inzwischen auch das Kino, was den Titel des Stücks, mit dessen Premiere das Münchner Volkstheater in die letzten Wochen dieser Saison geht, nicht weniger rätselhaft macht: "Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino". Crimp beantwortete alle Fragen nach einer Erklärung bisher nicht.

Doch die jungen Phönizierinnen, die auf der Durchreise nach Delphi in Theben Station machen, erinnern sich an Pier Paolo Pasolinis Verfilmung des Ödipus-Stoffes aus dem Jahr 1967. Was bisher geschah, kennt man also von Pasolini, und wer mit dessen Œuvre weniger vertraut ist, bekommt das Schicksal des Ödipus von Iokaste, sowohl Mutter als auch Ehefrau des einstigen thebanischen Königs, leicht fasslich nacherzählt. Iokaste ist zugleich die Mutter von Eteokles, der jetzt vertragsbrüchig auf den Thron besteht, und Polyneikes (Timocin Ziegler), der gerade vor Theben eine Armee gegen seinen Bruder zusammenzieht.

Starke Effekte

Mara Widmann lässt Iokaste mal mit kahlem Schädel, mal mit brünetter Kurzhaarperücke auftreten und ist strenger Elternteil, liebende Mutter, aufmerksame aber schließlich scheiternde Vermittlerin im Streit der Brüder, der ein politischer Konflikt wird, und Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs zugleich. Dazu braucht sie keinen aufwändigen schauspielerischen Budenzauber, denn die Inszenierung der Hamburgerin Mirja Biel wird von einem effektiven und schnörkellosen Sarkasmus durch 100 Minuten getragen.

Es gibt starke Effekte, wie den meteorenhaften Einschlag eines Wurfgeschosses von draußen in den abgeranzten Palast (Bühne: Matthias Nebel), aber die Affekte entstehen in dieser Familie durch intellektuelle Schlichtheit. Kreon (Jonathan Müller), der Bruder Iokastes, fällt nur durch seine Unauffälligkeit auf und seine Nichte Antigone (Pola Jane O'Mara), die Schwester der zerstrittenen Brüder, ist ein schwer erziehbares Mädchen. Die drei bösen Mädchen widerum, die hier den Chor der Phönizierinnen repräsentieren, finden das zeitweilig wirklich lustig und zeigen sich erst nach und nach genervt bis entsetzt.

In ihren hellblauen Kleidchen (Kostüme: Katrin Wolfermann) haben sie die Spielerinnen und Spieler jedoch unter Kontrolle wie die Hexen im "Macbeth". Wie bei diesen und anders als bei den Göttern in den Tragödien des Sophokles ist das Handeln der Figuren nicht alternativlos. Mirja Biel legt die Mechanismen der Kriegsentfesselung mit kühler Mitleidlosigkeit und in oft schnellen und leicht schrillen, manchmal auch von viel Nebel durchzogenen Bildern offen. Alles Weitere kennen wir aus den Fensehnachrichten.

Münchner Volkstheater, 5., 18. Juli, 19.30 Uhr, Telefon 5234655