Meinung

Leitartikel

#allesdichtmachen: Vom Umgang mit Meinungen


Jan-Josef Liefers (links oben) ist nur einer von vielen Schauspielern, die sich an der Aktion beteiligt haben - und heftige Kritik einstecken mussten.

Jan-Josef Liefers (links oben) ist nur einer von vielen Schauspielern, die sich an der Aktion beteiligt haben - und heftige Kritik einstecken mussten.

Von Emanuel Socher-Jukić

Die notwendige Auseinandersetzung um die Schauspieler-Videos unter dem Motto #allesdichtmachen hat offenbart, dass es um die Diskussionskultur in Teilen dieses Landes sehr schlecht bestellt ist. Dass Furor und Eifer ein differenziertes Für und Wider immer mehr ablösen.

Nein, es geht nicht darum, dass man von Gesetzes wegen bestimmte Dinge nicht mehr sagen dürfte. Wir haben die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit, die in diesem Land sehr hochgehalten und seitens des Staates geschützt wird. Es geht um die sozialen Normen, die unsere gesellschaftliche Kommunikation bestimmen. Die sind akut in Gefahr, wenn vor allem in den sozialen Medien kleine Gruppen zum tobenden Meinungsorkan werden.

Soziale Normen wirken in Gruppen (etwa Familie oder Kollegen) und auch in einer Gesellschaft. Und jeder, der mit anderen Menschen zu tun hat, hält sich mehr oder weniger an diese Normen – jedenfalls wenn er einer bestimmten Gruppe weiter angehören will. Tut er es nicht, wird er im schlimmsten Fall ausgegrenzt.

Und wer möchte ausgegrenzt werden von Menschen, denen man sich zugehörig fühlt beziehungsweise denen man durch äußere Umstände angehört? Die Angst vor dem sozialen Tod kann so groß sein, dass auch die Meinungsfreiheit darunter leiden kann.

Wir können das an der Flüchtlingskrise von 2015 ganz gut festmachen: Manche machten keinen Unterschied mehr zwischen tatsächlich menschenverachtenden und rassistischen Äußerungen und differenzierten, kritischen oder warnenden Stimmen. Die ultimative Zuspitzung lautete damals: Der Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer wird billigend in Kauf genommen, wenn die uneingeschränkte Aufnahme von Flüchtlingen infrage gestellt wird. Die Differenzierung fiel nicht allen leicht, gerade in den sozialen Medien, den Treibern für die verkürzte, schnelle und unreflektierte Meinungsabsonderung. Es war ein „Entweder für uns oder gegen uns“. Eine radikale, unversöhnliche und undemokratische Logik.

Dieses Prinzip greift bei einigen auch während der Corona-Pandemie. Während aus der einen Ecke „Alles Lüge“ gerufen wird, zählt für andere nur die Absolutheit von Inzidenzwerten. Für beide Seiten gibt es nichts mehr dazwischen.

Durch #allesdichtmachen wurde das erschreckend eindrücklich durchexerziert. Wie schnell wurden die beteiligten Schauspieler in die „Querdenker“-Ecke geschubst und/oder ihnen vorgeworfen, sie seien zynisch, weil ihnen das Schicksal der Menschen auf den Intensivstationen egal sei. Wie auch bei der Flüchtlingskrise spielt es überhaupt keine Rolle, worauf die Kritik eigentlich abzielt.

Das soll mitnichten heißen, dass die Aktion #allesdichtmachen oder einzelne Videos nicht kritikwürdig sind. Aber hier handeln doch keine Menschen, die unseren Staat, unser Gemeinwesen abschaffen wollen – im Gegenteil. Liest man allerdings Kommentare auf Twitter oder hört sich manchen Moderator an, kriegt man das Gefühl, hier wurde gerade gefordert, allen Intensivpatienten die Beatmungsgeräte abzuschalten.

Alles ist maximal zugespitzt. Auf Leben und Tod. Weil gerade in Krisenzeiten die Sehnsucht nach Sicherheit so groß ist. Das ist menschlich, aber in der Sache bringt es uns nicht weiter. Da hilft es, einen Schritt zurückzutreten und abzuwägen.

Stattdessen wird nicht mehr auf Augenhöhe kritisiert. Nein, es wird niedergemacht, bepöbelt, nicht mehr angehört – und am Ende ist das Gegenüber ein Ausgegrenzter. Als wäre er kein Mensch mehr, der es verdient hat, gehört zu werden. Ausgegrenzt von all jenen, die sich der eigenen Wahrheit so sicher sind, dass sie jeden Anstand, jede Empathie und jeden Respekt für andere Menschen einfach fahren lassen.

Klar haben wir Meinungsfreiheit. Aber: Wie viel Anfeindung, wie viel Shitstorm erträgt jemand, der sich als Teil dieser Gesellschaft, dieses freiheitlichen Staates begreift? Und wie verhalten sich diejenigen, die sehen, was passieren kann, wenn man das vermeintlich Falsche sagt? Es ist jetzt an den Menschen in diesem Land, die an Differenzierung interessiert sind, dass die Meinungsfreiheit nicht zwischen zwei immer lauter werdenden und eifernden Polen aufgerieben wird.