Laut forsa-Umfrage

Eltern leiden unter Dauerstress - das raten Psychologen


Die kleine Tochter will trotz eisiger Temperaturen ihre Mütze nicht aufsetzen, der zwölfjährige Sohn nur zocken: Mütter und Väter reibt der Alltag zwischen Familie und Beruf häufig auf.

Die kleine Tochter will trotz eisiger Temperaturen ihre Mütze nicht aufsetzen, der zwölfjährige Sohn nur zocken: Mütter und Väter reibt der Alltag zwischen Familie und Beruf häufig auf.

Von Redaktion idowa und mit Material der dpa

Der ständige Kampf mit den Kindern, Druck im Job und dazu noch der Haushalt: Fast 40 Prozent der Eltern mit Nachwuchs unter 18 Jahren fühlen sich häufig oder sehr häufig gestresst. Das geht aus einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) hervor. Das raten Psychologen aus der Region, damit die Gesundheit der Eltern nicht auf der Strecke bleibt.

Als Haupt-Stressursache nennen die Befragten die eigenen hohen Ansprüche: Sie geben alles, um es den Kindern, dem Partner und dem Arbeitgeber rechtzumachen und nebenbei noch den perfekten Haushalt zu führen. 21 Prozent der Befragten führen den Stress (auch) auf den gesellschaftlichen Druck zurück. Im Endspurt vor Weihnachten mit Adventsbasteln, Geschenke-Shoppen, Flötenkonzert und Plätzchenbacken dürfte sich der Stress bei den meisten Müttern und Vätern noch potenzieren.

Um Stress zu vermeiden, wünschen sich Eltern unter anderem flexiblere Arbeitsbedingungen (44 Prozent) und mehr Anerkennung vom Arbeitgeber (39 Prozent). Für die Studie wurden 1.007 Eltern von Kindern unter 18 Jahren repräsentativ für Deutschland befragt.

Als Auslöser nennen die befragten Eltern zu jeweils 30 Prozent Konflikte und Probleme in der Familie sowie die Arbeitsbelastung im Haushalt. Gut jeden Vierten (27 Prozent) setzt das Gefühl unter Druck, ständig erreichbar sein zu müssen oder zu wollen. Dies gilt für das berufliche E-Mail-Postfach genauso wie für private WhatsApp-Gruppen.

Die meisten dauerhaft gestressten Eltern erleben der Umfrage zufolge irgendwann Erschöpfung und Burnout. Viele leiden unter Nervosität, Gereiztheit, Schlafstörungen sowie Kopf-, Rücken- und Magenschmerzen. 31 Prozent von ihnen sagten, dass sie wegen des hohen Drucks schon einmal niedergeschlagen oder sogar depressiv waren.

Die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Leiden ist deutlich gestiegen. In jungen Familien arbeiten zunehmend beide Partner annähernd Vollzeit - bei Alleinerziehenden würde das Gehalt einer Teilzeitstelle meist gar nicht reichen. Sie fühlen sich noch häufiger gestresst als Eltern, die mit ihrem Partner zusammenleben.

"Mit drei Jahren muss kein Kind Englisch sprechen"

Johann Kirmer, Psychologe und Leiter der Familienberatungsstelle Straubing, freut sich über die Studie. Das Thema Kindererziehung finde laut Kirmer in der Gesellschaft meist zu wenig Beachtung. Denn: Kindererziehung werde nach wie vor gesellschaftlich nicht als Arbeit anerkannt. Von Frauen, die zu ihm kommen, hört Kirmer oft: "Ich bin 'nur' Hausfrau und Mutter."

Die Studie zeige aber deutlich, dass es sich bei der Kindererziehung und den Haushaltspflichten um Schwerstarbeit handelt. "Zwar bekommen Eltern sehr viel zurück von ihren Kindern, dennoch ist es sehr anstrengend", sagt Kirmer. Auch positiver Stress könne schnell zu negativem Stress werden. Ist die Dauerbelastung irgendwann unerträglich, wird man krank. "Ein Rattenschwanz" an Ereignissen also, wie Kirmer das Stressleiden der Eltern nennt.

Abkehr von der Perfektion

Eltern haben einen stressigen Job, findet der Psychologe. Das sei bei ihm selbst vor 20 Jahren nicht anders gewesen. Letztlich wachsen Eltern an ihren Aufgaben. "Niemand ist perfekt", mahnt Kirmer. Der Perfektionismuswahn sei bei der Kindererziehung schlicht fehl am Platz. "Mit drei Jahren muss kein Kind Englisch sprechen können."

Warum ausgerechnet Eltern besonders häufig Opfer von Stress sein können, erklärt Hermann Scheuerer-Englisch, ebenfalls Psychologe und Leiter der Beratungsstelle in Regensburg. Es gebe einen Unterschied zwischen Eltern-Burnout und Job-Burnout. Das weiß Scheuerer-Englisch aus repräsentativen Studien aus Frankreich und England. Beim Eltern-Burnout entwickeln Eltern Fluchtfantasien, wenn sie sich dauerhaft erschöpft bei der Erziehungsaufgabe fühlen. "Vom Elternsein kann man sich schließlich nicht krankschreiben lassen oder erholen." Bleibt die chronische Erschöpfung, können Eltern irgendwann keine emotionale Beziehung mehr zu ihrem Nachwuchs aufbauen. Das wiederrum ist für die Kinder entsprechend schlimm.

Mit den Nachbarn beim Kochen abwechseln

Kirmer empfiehlt Eltern, nichtsdestotrotz mehr auf sich selbst zu achten. "Auch Mütter und Väter sind Menschen", sagt er. Der Psychologe legt betroffenen Eltern nahe, ihre Hobbys nicht zu vernachlässigen. Nur wenn es den Eltern selbst gut gehe, können sie für ihre Kinder da sein. Auch solle nicht nur das Verhältnis zu dem Nachwuchs gepflegt werden, sondern auch das zu Erwachsenen. Dazu zählt Kirmer Nachbarn, Freunde und die Familie. Auch empfiehlt es sich, gelegentlich Zeit mit dem Partner allein zu verbringen.

Was Eltern zudem brauchen, sei vor allem soziale Unterstützung. "Warum sich nicht beispielsweise mit den Nachbarn beim Kochen abwechseln? Nachbarn oder das Familienzentrum können eine kreative Unterstützung sein", findet Scheuerer-Englisch. Auch rät der Psychologe dringend dazu, den eigenen Alltag zu entschleunigen. "Einfach mal einen Termin absagen und zuhause bleiben."

Info: Laut Müttergenesungswerk kommen immer mehr Eltern in Beratungsstellen, um sich über Kuren zu informieren. Im vergangenen Jahr haben rund 48.000 Mütter allein an Kuren des Müttergenesungswerks teilgenommen. Die dauerhafte Stressbelastung in Beruf, Haushalt und Familie mache Mütter krank, teilte die Stiftung vor kurzem mit. Auch Väter seien sehr belastet. Notwendig sei ein gesetzlicher Anspruch auf Kurberatung für Eltern. Die bestehenden Angebote bei den Wohlfahrtsverbänden seien stark nachgefragt. Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, gestresste Mütter und Väter für eine vom Arzt verordnete Kur freizustellen.

Für die Studie wurden über 1.000 Eltern von Kindern unter 18 Jahren repräsentativ für Deutschland befragt.

Für die Studie wurden über 1.000 Eltern von Kindern unter 18 Jahren repräsentativ für Deutschland befragt.