"Du bleibst hier"

Der erste Dortmunder "Tatort" nach dem Tod von Kommissarin Bönisch


Peter Faber (Jörg Hartmann, l) bei seinem Vater Josef Faber (Wolfgang Rüter) in einer Szene des "Tatort: Du bleibst hier" (undatierte Filmszene). Der Krimi aus läuft am 15.01.2023 im Ersten.

Peter Faber (Jörg Hartmann, l) bei seinem Vater Josef Faber (Wolfgang Rüter) in einer Szene des "Tatort: Du bleibst hier" (undatierte Filmszene). Der Krimi aus läuft am 15.01.2023 im Ersten.

Von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Dieser "Tatort" ist in mehrfacher Hinsicht anders. Erstmals fehlt Hauptkommissarin Bönisch. Nach ihrem Tod ist das eingespielte Dortmunder Quartett von einst nun geschrumpft auf ein Duo. Speziell wird es für Kommissar Faber, vor und hinter der Kamera.

Ein schmuddelig-verwahrloster Hauptkommissar Peter Faber wischt sich von innen eine Sichtlücke auf der beschlagenen Fensterscheibe frei. Die Nacht hat er offensichtlich in seinem alten Opel Manta im Wald verbracht. Die erste Szene der Dortmunder "Tatort"-Folge "Du bleibst hier" - noch im Halbdunklen - zieht schon mal runter. In der nächsten Einstellung werden die Ermittler Jan Pawlak (Rick Okon) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) in einen Park gerufen: Zwei Liter Blut zeugen von einem Verbrechen, von der Leiche fehlt jede Spur. Deprimiert sind die beiden sowieso schon. Es ist ihr erster Auftrag seit dem dramatischen Tod ihrer Kollegin Martina Bönisch im Einsatz. Und die zwei müssen nun allein ran.

Faber ist noch krankgeschrieben. Er leidet in einer derart krawallig-aggressiven Weise unter dem Verlust seiner langjährigen Kollegin, dass Mitgefühl schwerlich aufzubringen ist bei der Folge am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten. Doch zur Erinnerung: Bönisch ist in seinen Armen gestorben. Zu einer Zeit, in der die zwei tiefe Gefühle füreinander entwickelten, sich die Möglichkeit einer Liebesbeziehung andeutete und Hauptkommissar Faber gerade seine verbitterten, zynischen Züge verlor. Der ruppige Einzelgänger ist nun mit voller Wucht wieder da - ein taumelnder Mensch, der sich zunächst nicht in den Griff bekommt, beleidigt, brüllt, unangenehm verbal austeilt.

Darum geht es

Ein Immobilienunternehmer wird vermisst, der Mietwohnungen aufkauft, um sie zu profitablen Luxusobjekten zu machen. Das Blut im Westpark stammt von ihm, wie eine Analyse ergibt. Viele hassen den Mann. Auch seine Noch-Ehefrau Natalja Richter (Valery Tscheplanowa), die unter Mordverdacht gerät. Zumal rauskommt, dass sie einen ebenso vermissten jungen Dealer für das Schicksal ihres schwerkranken Sohnes verantwortlich macht. Auch den könnte sie auf dem Gewissen haben.

Ein aus der Zeit gefallener Friseursalon in einem gewachsenen Dortmunder Stadtviertel, wo man noch zusammenhält, wird mehrfach zum Schauplatz. Geführt wird der Laden von einem schön schrulligen Inhaber, gelungen verkörpert von Andreas Schröders. Dem gutmütigen Kümmerer-Typen kommt mehr als eine Nebenrolle zu, wie sich zeigt.

Und völlig überraschend rückt der Vater von Kommissar Faber in den Fokus. Josef "Jupp" Faber wohnt ausgerechnet in einer Wohnung, auf die es sein Vermieter, der vermisste Immobilienmogul, abgesehen hatte. Ein Tatmotiv hätte Jupp Faber also, der eindringlich gespielt wird von Wolfgang Rüter. Der Krimi flechtet ein bisher ungeahntes Vater-Sohn-Drama ein. Die beiden hatten seit Jahrzehnten keinen Kontakt. Traumatische Erlebnisse aus der Kindheit von Peter Faber kommen schemenhaft ans Licht.

Bedrückender Rahmen

Auch bei den Kommissaren Jan und Rosa sind persönliche, desolate Beziehungen wieder belastende Begleiter. Der ganze Rahmen wirkt bedrückend. Die schwermütige Folge wirft dann aber Schritt für Schritt Ballast ab. Das Ganze mündet schließlich sogar anrührend. Und Peter Faber gelingt doch noch ein Abstreifen seines schroff-abweisenden Panzers.

Premiere hinter der Kamera: Das Drehbuch für die Folge hat Jörg Hartmann - in Zusammenarbeit mit Jürgen Werner - geschrieben und damit eine Doppelfunktion als Autor und Schauspieler übernommen. Das war eine besondere Herausforderung, wie er sagt. "Meine Nervosität und Anspannung beim Dreh waren auf jeden Fall höher als sonst", zitierte ihn der Westdeutsche Rundfunk (WDR). Für ihn sei es zentral gewesen, der Trauer um Bönisch - "dieser schmerzlichen Leerstelle" - genug Raum zu geben. Alle Figuren hätten das gebraucht.

"Nichts wäre für mich unerträglicher gewesen, als nach dem Tode Martinas einfach weiterzumachen, so als wäre nichts geschehen", betont Hartmann mit Blick auf Bönischs Serientod im Februar 2022. "Ich glaube, auch die Zuschauerinnen und Zuschauer hätten uns das nie verziehen."