Die idowa-Familienkolumne

Kindheit digital: Die grenzenlose Bildschirmzeit


Familienmensch - die idowa-Familienkolumne von Andreas Reichelt.

Familienmensch - die idowa-Familienkolumne von Andreas Reichelt.

Mittags frei. Wenig Hausaufgaben. Viel Freizeit. Und nicht vergessen: dauernd Ferien.

So reduziert die Erinnerung Erwachsener die Sehnsucht nach dem Schüler- und manchmal auch dem Lehrerleben auf das Positive. Was war das doch für eine Wohltat, als die einzigen Probleme darin bestanden, dass einen der Lehrer aufrufen könnte, ohne dass man die korrekte Lateinvokabel rezitieren und dann auch noch in den rechten Kasus zu setzen vermochte.

Familienmensch - die idowa-Familienkolumne gibt es auch zum Anhören:

Während also die Eltern am Frühstückstisch sitzend der Kindheit hinterhertrauern, werden sie vom Nachwuchs in die Realität zurückgeholt. Schlürfenden Schrittes tritt das pubertierende Kind ins Esszimmer und beschwert sich über das Gewicht des Schulranzens, das dem des Trägers ebenbürtig scheint. Das Tablet muss noch kurz ein wenig geladen werden, denn es steht eine Multimediapräsentation im Deutschunterricht an. Deutsch. War das nicht diese Sache mit Aufsätzen, Lektüren und Textanalysen?

Zudem habe der Mathelehrer gestern noch weitere Hausaufgaben via Onlineplattform eingestellt, die das Kind wegen eines von den Eltern verhängten Bildschirmverbots nicht mehr rechtzeitig gesehen hat und nun im Bus anfertigen muss. Digital übrigens, mit einem Funktionsplotter. Was auch immer das nun wieder sein soll.

In den Pausen ist die gepflegte Schafkopfrunde mit Freunden längst einem Handygame gewichen. Gestritten wird im Messenger-Dienst. Referate werden nicht mehr in der Bücherei ausgearbeitet und Kumpels besucht man online. Für all das muss man nicht einmal mehr vom Stuhl aufstehen. Ein Blick ins Tablet reicht. Ja, schöne neue Welt. Oder auch nicht.

Eigentlich sollte es ein Trost für die Erwachsenen sein, dass die Jugend, der sie hinterhertrauern, gar nicht mehr existiert. Aber man hätte sie dem Nachwuchs doch gegönnt. Ein Entschluss ist gefasst: Morgen klettern wir auf einen Baum, fahren Schlitten und schafkopfen abends um Salzbrezeln. Und künftig wird jeden Tag etwas Analoges gemacht. Gemeinsam. Lagerfeuer, Fußball, Zelten, Modellbau, ein Brettspiel, ein Bild mit Fingerfarben malen und was uns sonst noch so einfällt. Gleich morgen fangen wir an. Oder übermorgen. Denn morgen ist eine anstrengende Videokonferenz geplant. Am Rechner. Digital.