Aufarbeitung

SOS-Kinderdorf: "Wir müssen Vertrauen wiedergewinnen"


Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende von SOS Kinderdorf e.V., spricht während eines Interviews.

Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende von SOS Kinderdorf e.V., spricht während eines Interviews.

Von mit Material der dpa

Eine Studie über ein SOS-Kinderdorf in Bayern förderte im Herbst 2021 Erschreckendes zutage: Zwei Dorfmütter sollen ihre Schützlinge gequält haben, auch von sexuellen Übergriffen ist die Rede. Der Verein will nun Konsequenzen ziehen.

Der SOS-Kinderdorf-Verein will Fälle von Übergriffen auf Kinder und Jugendliche konsequent aufarbeiten. "Wir müssen unbedingt transparent sein und Vertrauen wiedergewinnen - nach außen aber auch nach innen. Und das heißt insbesondere gegenüber den Kindern und Jugendlichen und gegenüber unseren Mitarbeitenden", sagte die Vorstandsvorsitzende Sabina Schutter im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur in München.

Denn auch die Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen hätten von den Berichten über Missstände gehört - und nun Fragen. "Natürlich haben wir kritische Rückmeldungen bekommen - von unseren Kindern und Jugendlichen und auch von Spendern. Diese Kritik nehmen wir sehr ernst", sagte sie. "Und man kann sich das Vertrauen nur mit einer umfassenden Aufklärung verdienen."

Anfang Oktober 2021 hatte eine Studie Schlagzeilen gemacht, die "Grenzüberschreitungen" zweier Betreuerinnen in einem Kinderdorf in Bayern nahe legen. Aus der Untersuchung des renommierten Missbrauchsexperten Heiner Keupp geht hervor, dass die beiden ehemaligen Mitarbeiterinnen ihnen anvertrauten Kindern "Leid" zugefügt haben.

Von einem "Klima der Angst" ist darin die Rede. Ehemalige Bewohner beschuldigen die beiden Frauen demnach, von Anfang der 2000er Jahre an bis etwa 2015 "kindeswohlgefährdende Grenzüberschreitungen" begangen zu haben.

Bei den konkreten Vorwürfen soll es beispielsweise um gemeinsames Duschen gehen oder Hygienemaßnahmen, die die Schamgrenzen der Kinder verletzten. Außerdem soll ein fünf Jahre altes Mädchen allein in einen dunklen Keller gesperrt worden sein, ein Junge habe in Hausschuhen schlafen müssen, weil seine Dorfmutter sie ihm mit Klebeband an den Füßen befestigt hatte.

Arbeit des Vereins gründlich überprüfen

Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat inzwischen Ermittlungen aufgenommen. Wie viele Anzeigen oder Beschuldigte es gibt, sagte ein Sprecher auf Anfrage nicht. Es werde derzeit geprüft, "ob es hier zu strafrechtlich relevanten Vorfällen gekommen ist".

Die Studie sei nun Anlass dafür, die Arbeit des Vereins gründlich zu überprüfen, um den Kinderschutz zu verbessern, betonte Schutter. Es soll bessere Supervision geben, die Kinder und Jugendlichen selbst sollen noch mehr gehört werden.

Als diese Studie bekannt wurde, habe das auch dazu geführt, dass Spender sich zurückgezogen hätten, sagte Schutter, bezifferte das allerdings nicht. Gleichzeitig seien aber auch neue Spender dazu gekommen, die den konsequenten Willen zur Aufarbeitung in dem Verein begrüßten, wie die Vorsitzende sagte. "Uns ist klar, dass wir auf jeden Fall überall genau hinschauen wollen", betonte Schutter. "Wir wollen nichts unter den Teppich kehren, denn überall, wo Erwachsene mit Kindern arbeiten, gibt es ein Risiko."

Jede Meldung von mutmaßlich Betroffenen, die beim Verein eingehe, sei gut, weil sie der Aufarbeitung diene. "Wir glauben den Menschen, die sich an uns wenden." Wie viele dieser Meldungen es bislang gibt, dazu macht der Verein keine Angaben. In erster Linie gehe es bei den Meldungen nicht um sexuellen Missbrauch, sondern um "pädagogische Grenzverletzungen", wie Schutter sagte.

Im vergangenen Jahr hatte der Verein noch mitgeteilt, dass sich nach dem Bekanntwerden der Übergriffe weitere mutmaßliche Betroffene gemeldet hätten. Vier hätten seither Kontakt zu dem SOS-Kinderdorf-Verein aufgenommen, sagte die damalige Sprecherin. Mit zweien davon stehe der Verein allerdings "schon länger im Austausch".

Nach Angaben des Kinderdorfvereins aus dem vergangenen Jahr hatten sich, seitdem 2010 eine interne Anlauf- und Monitoringstelle für kindeswohlgefährdende Grenzüberschreitungen eingeführt wurde, bis zur Veröffentlichung der Studie insgesamt 52 ehemalige Betreute gemeldet. Diese haben den Angaben zufolge zwischen den 1960er Jahren und 2015 in einem Kinderdorf gelebt. Darunter sind also auch Fälle, die schon einen längeren Zeitraum zurückliegen. Bislang seien in 21 Fällen auch Anerkennungszahlungen "bei Missbrauchserfahrungen" geleistet worden.

Der Verein hat inzwischen eine unabhängige Untersuchungskommission eingerichtet, die damit beauftragt ist, die Meldungen zu prüfen und "alle Maßnahmen von SOS-Kinderdorf im Umgang mit pädagogischem Fehlverhalten in Vergangenheit und Gegenwart zu bewerten und aufzuarbeiten", wie es in einer Mitteilung hieß. Innerhalb von zwei Jahren soll aufgearbeitet werden, ob es in dem Verein Strukturen gab oder sogar noch gibt, die pädagogisches Fehlverhalten ermöglichten.

SOS-Kinderdorf beherbergt in 137 Ländern 65.000 Kinder und unterstützt weitere 347.000 Menschen mit sozialen Programmen. Laut dem jüngsten Jahresbericht beliefen sich die Einnahmen aus Spenden und staatlichen Hilfsgeldern im Jahr 2019 auf 1,4 Milliarden Euro.

Dieser Artikel ist Teil eines automatisierten Angebots der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Er wird von der idowa-Redaktion nicht bearbeitet oder geprüft.