Atomkraftwerke

Wie nah ist zu nah?


Symbolbild: dpa

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Von Michael Bragulla

Kommt zwei Jahre nach Fukushima die nächste Revolution? Das Reaktorunglück in Japan hat die deutsche Energiepolitik auf den Kopf gestellt. Jetzt könnte ein Berliner Gerichtsurteil die Flugverbotszonen um atomare Anlagen massiv ausweiten. Die Atomkraftgegner in der Region wittern die Chance, die Gegend um das Kernkraftwerk Isar in Ohu sicherer zu machen. Der Betreiber E.on verweist auf die Verantwortung der Bundesregierung. Und die will erst einmal den Rechtsstreit abwarten. Die Revolutionäre brauchen also Geduld.

Auslöser der Diskussion ist ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom Januar. Darin erklärte das Gericht eine Flugroute für den geplanten Berliner Flughafen überraschend für rechtswidrig. Die Route hätte Flugzeuge an einem Forschungsreaktor vorbeigeführt. Das allein wäre nicht das Problem, aber aus Sicht des Gerichts ist bei der Festlegung der Route das Risiko eines Flugunfalls und eines terroristischen Anschlags auf den Luftverkehr nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Die Flugzeuge hätten den Forschungsreaktor in drei Kilometern Entfernung und in rund 2600 Metern Höhe passiert. Dieser Abstand ist aber viel größer als die Flugbeschränkungsgebiete, die derzeit um alle Kernkraftwerke und Kernforschungsanlagen in Deutschland eingerichtet sind. Sie geben nur einen Radius von 1,5 Kilometer und eine Mindesthöhe von 600 Meter vor.

Genau das macht die Sache für die Atomkraftgegner so interessant - auch in der Region Landshut mit dem Kernkraftwerk Isar 2, dem stillgelegten Reaktor Isar 1 und dem Brennelemente-Zwischenlager Bella. Für die Kernkraftskeptiker ist das Berliner Urteil eine gute Gelegenheit, die massive Ausweitung der Flugbeschränkungsgebiete zu fordern.

Der Landshuter CSU-Stadtrat Rudolf Schnur hat die Landtagsabgeordneten Jutta Widmann (Freie Wähler) und Gertraud Goderbauer (CSU) zu einer Stellungnahme aufgefordert, ob die Landespolitik jetzt nicht gefordert wäre. Schließlich liegen die Isar-Kernkraftwerke nicht weit weg vom Flughafen München. Schnur selbst sieht dringenden Handlungsbedarf: "Wir haben drei atomare Anlagen auf einem Fleck, die Anflugschneise des Münchner Flughafens darüber und daneben einen militärischen Tiefflugkorridor. Ein solches Gefahrenpotenzial gibt es wohl nirgendwo sonst in Deutschland."

Von Widmann bekommt er Unterstützung: "Die Forderung nach einer Ausweitung der Flugverbotszonen um Atomkraftwerke oder nach einem generellen Überflugverbot atomarer Anlagen findet die volle Zustimmung der Freien Wähler", heißt es in ihrer Stellungnahme. Die Freien Wähler hätten bereits 2011 im Landtag ein Verbot von militärischen Übungsflügen über Atomkraftwerken gefordert. "Leider wurde unser Antrag von Seiten der Staatsregierung abgelehnt."

Goderbauer hält sich bei diesem Thema zurück. Die Zuständigkeit für den Luftverkehr liege beim Bund, sagt sie auf Anfrage der Landshuter Zeitung. Darum könnten die Bundesländer gar nicht unmittelbar Einfluss nehmen. "Insofern gibt es auch für die Landtagsabgeordneten keine konkrete Möglichkeit, hier etwas zu unternehmen."

Schnur wünscht sich bei seiner Parteifreundin und in der Staatsregierung mehr Kreativität und Einsatzfreude: "Das Land Bayern könnte im Bundesrat bei diesem Thema Initiative zeigen. Und dazu fordere ich die Staatsregierung auch auf." Der Grünen-Landtagsabgeordnete Christian Magerl hat kürzlich bei einer Mahnwache in Ohu als Konsequenz des Berliner Urteils gefordert, dass Atomkraftwerke nicht mehr überflogen werden dürfen, bis alle Anlagen abgebaut sind.

Der Energiekonzern E.on, der die Isar-Kernkraftwerke betreibt, verweist auf die Verantwortung des Staates. Das Bundesverkehrsministerium wiederum lässt diese Diskussion offiziell noch ziemlich kalt. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung habe angekündigt, gegen das Berliner Urteil in Revision zu gehen. Das weitere Verfahren am Bundesverwaltungsgericht bleibe abzuwarten. Das könnte die Ruhe vor dem Sturm sein.