Meinung

Aiwangers digitaler Gillamoos

„Willkommen in der digitalen Zuk…“


Der hängende Live Stream der Freien Wähler versinnbildlicht den Zustand des Breitbandausbaus in Bayern.

Der hängende Live Stream der Freien Wähler versinnbildlicht den Zustand des Breitbandausbaus in Bayern.

Der digitale Gillamoos der Freien Wähler wird unfreiwillig zur perfekten Demonstration der Defizite in der Regierungsarbeit im Bereich Digitalisierung.

"Was ist eine Veranstaltung ohne die kleinen Pannen", kommentierte Generalsekretärin Susann Enders den holprigen Live Stream vom virtuellen Gillamoos der freien Wähler in Abensberg. Die wenigen Dutzend Zuschauer, die die Rede von Wirtschafts-, Landesentwicklungs- und Energieministers Hubert Aiwanger live verfolgt haben, sahen einen immer wieder krisselnd verschwimmenden und in unvorteilhaften Grimassen einfrierenden Minister. Der Sinn seiner Sätze wurde die meiste Zeit von Tonaussetzern gefressen.

In dem stotternden Livestream sprach der Minister von Digitaltechnologie, bei der der Freistaat nicht ins Hintertreffen kommen soll. "Weder die USA noch China warten auf uns…" Sschhhhhs - und wieder rauscht der Mini-Aiwanger im Bildschirm. Warten wollen auch zahlreiche Stream-User nicht mehr darauf, dass die Technik funktioniert. Die Nutzerzahlen sinken während der Rede immer weiter in den tiefen zweistelligen Bereich.

Der digitale Gillamoos wird unfreiwillig zur Realsatire, die die Defizite des Freistaats Bayern in Bezug auf Digitaltechnik offenlegt. Nur etwas über zwölf Prozent der Haushalte in Bayern sind mit modernen Glasfaseranschlüssen ausgestattet. Trotz der Kaskade von Förderbescheidübergaben in den Kommunen. Den Breitbandausbau hat die Regierung erst verschlafen und den Rückstand dann mit einem offenkundig ineffizienten Fördersystem und Public-Private-Partnerships (PPP) aufzuholen versucht.

Digitaler Unterricht: Alles neben- und alles durcheinander

Und dann kam Corona. Als nach den Osterferien die Schulen auf Digitaltechnik angewesen waren, offenbarte sich, dass die bislang entwickelten Konzepte dürftig waren. Nicht einmal jeder siebte Lehrer hatte überhaupt Zugang zu einem Dienstrechner. Hackerangriffe legten zeitweise die Systeme lahm, über die Lehrer und Schüler Unterrichtsmaterialien hätten austauschen sollen. Es herrschte ein unübersichtliches Chaos aus unterschiedlichen, teils verordneten, Plattformen und gut gemeinten individuellen Ansätzen. Mebis, MS-Teams, WhatsApp - alles neben- und durcheinander. Und jetzt soll es die Bayern-Cloud richten. Schauen wir mal. Vier Prozent der Schüler hierzulande nutzte - das selbstverständlich der Stand vor Corona - täglich digitale Medien im Unterricht. Zum Vergleich: In Dänemark traf das auf 91 Prozent der Schüler zu.

Ein Live Stream mit politischem Schattenboxen, für den sich ein paar Dutzend Nutzer interessieren, mag nicht sonderlich bedeutsam erscheinen. Ähnliche Pannen passieren in der Arbeit und im Privatleben ständig. Kennt man, bewältigt man. Und doch: Besser hätte der bayerische Wirtschaftsminister den Stand der Dinge kaum darstellen können. Schade, dass nicht mehr Leute zugesehen haben.