Kurzgeschichte

Nachtwind von Magdalena Wutz


Mit Alkohol versucht der Erzähler, seine Schmerzen zu lindern.

Mit Alkohol versucht der Erzähler, seine Schmerzen zu lindern.

Von Magdalena Wutz

Die Kassiererin schaut über den Rand ihrer Brille und mustert mich. Ich kann es ihr nicht verdenken. Vermutlich sehe ich schlimmer aus als alle Obdachlosen der Stadt zusammen.

Das grelle Licht spiegelt sich auf der glatten Oberfläche des Kleingeldes wider, das ich zusammenfriemle. Es gelingt mir jedoch nicht besonders gut, weil meine Motorik ziemlich im Eimer ist. In meinem Kopf hämmert es. Schließlich habe ich das Geld zusammen und knalle es auf den Tresen. Dann greife ich nach der Flasche, drehe mich wortlos um und komme irgendwie zurück zu meinem Auto, obwohl mir meine Beine nicht gehorchen wollen.

Im Fahrzeug verwechsle ich Bremse mit Kupplung, bevor meine alte Möhre einen Satz nach vorne macht. Auf der Straße blenden mich die grellen Lichter des Gegenverkehrs. Ich fahre zweimal gegen den Randstein, was meine Reifen irgendwie überleben. Eine Hupe dröhnt, weil ich die Kurve schneide. Eher schlecht als recht komme ich an mein Ziel. Die Musik verstärkt das Hämmern in meinem Kopf.

Ich stolpere aus dem Auto, jedoch ohne zu vergessen, meine Weinflasche vom Rücksitz zu nehmen. Der Nachtwind streift meine Wangen und kühlt meine Stirn. Ich muss mich beim Laufen über das Fußballfeld anstrengen, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Grashalme kitzeln mich an den Fußknöcheln. Mein Atem geht schwer und vermutlich rieche ich auch schon nach dem Alkohol, den ich mir einverleibt habe. Ich bin benommen, meine Augen wollen nicht fokussieren, aber ich schleppe mich weiter.

Auf den Tribünen kralle ich meine Hand in das Holz, spüre, wie sich kleine Holzsplitter in meine Haut graben. Mit der anderen Hand umklammere ich die Flasche fester und stoße einen Schwall Luft aus, als ich oben bin. Schotter knirscht unter meinen Füßen und die Musik wird lauter, je mehr Schritte ich auf das Gebäude zu mache. Die schwarze Nacht, die sich inzwischen um die Häuser gelegt hat, bildet einen krassen Gegensatz zum hell erleuchteten Inneren des Hauses. Der DJ legt gerade einen neuen Song auf. Lautes Grölen, Applaus und Pfiffe sind zu hören.

Ich lasse mich auf einem morschen Balken nieder und öffne meine Flasche, von der ich froh bin, dass sie einen Schraubverschluss besitzt. Mittlerweile schmeckt der Alkohol nicht mehr bitter und brennt nicht mehr im Rachen - vielmehr scheint er jetzt endlich die beruhigende Wirkung auf mich zu haben, nach der ich mich gesehnt habe. Ich spüre den Schmerz nicht mehr, die Demütigung ist nur noch ein dumpfes Gefühl, das mir keinerlei Empfindung abverlangt.

Ich setze die Flasche auf dem Kies zwischen meinen Füßen ab und hebe meinen Blick. Inmitten der Leute versuche ich, sie irgendwo zu finden. Ich kneife meine Augen zusammen und erkenne schließlich einen blonden Haarschopf in der Menge. Ich heiße das kühle Glas der Flasche an meinen Lippen erneut willkommen, als ich sehe, dass sie nicht alleine ist.

Ich balle die Hände zu Fäusten und widerstehe dem Drang, sie im Kies unter mir zu versenken, um meine Wut herauszulassen. Das Haar fällt ihr glatt über die Schultern, glänzt seidig im Licht der Kronleuchter. Ihr Kleid ist beige mit bunten Blumen darauf und sicher kein No-Name-Teil.

Ich nehme einen Schluck. Der Alkohol sammelt sich in meinem Mund, weil ich nicht schlucke, sondern sie weiter anstarre. Es ist das erste Mal, dass ich sie mit Make-up sehe. Sie ist nicht stark geschminkt, aber dennoch so, dass es auffällt. Ihre Pumps gleiten schnell über den Boden und führen die Tanzschritte aus, die ihre Füße vorgeben. Sie lächelt und senkt ihren Kopf an sein Ohr, um etwas zu sagen. Aber vermutlich schreit sie ihn bei der Lautstärke eher an. Er nickt, dann lächelt er ebenfalls.

Ich schlucke den Alkohol hinunter und kippe die nächste Ladung hinterher. Dieser Typ wirkt wie ein arroganter Schnösel. Ich frage mich, was sie an dem findet. Schwarzer Anzug, graue Krawatte, schwarze Schuhe. Ansonsten scheint er nichts zu bieten zu haben. Er sieht nicht besonders gut aus. Zu schmale Lippen, die vermutlich verschwinden, wenn er sie zusammenpresst, eine zu breite Nase.

Ich neige den Kopf. Vermutlich hat er Geld. Ich schnaube und nehme den letzten Zug aus der Flasche. Dann werfe ich sie auf den Kies und starre die Scherben an, in die sie zerbrochen ist. Ein kleines Meisterwerk. Mein Leben ist ein Scherbenhaufen. Das trifft es ziemlich gut. Oder eine Tragödie: eine Komödie, die in einer Katastrophe endet.

Ich werfe den Kopf in den Nacken und lache. Plötzlich brechen alle Gefühle aus mir heraus. Als wäre die zerbrochene Flasche der Startschuss gewesen. Ich lache, knurre vor Zorn und Wut, dann ist mir zum Heulen zumute. Ich verfluche den Alkohol dafür, dass er meinen Ausbruch nicht in Schach halten konnte. Ich erhebe mich von dem morschen Balken, schwanke, kann mich jedoch aufrecht halten. Dann sehe ich noch einmal durch das Fenster. Es ist mein letzter Blick - und ihr erster.

Unsere Augen begegnen sich. Mein Herz bleibt stehen, ich halte den Atem an. Sie runzelt die Stirn, blickt an mir herab und widmet sich wieder dem Schnösel, der sie zur anderen Seite des Raumes zieht. Ich atme weiter, obwohl ich eigentlich damit aufhören möchte. Schleppend bewege ich mich in Richtung der Tribünen, entscheide mich aber dann dagegen und gehe vor dem Abhang in die Hocke. Ich zupfe ein paar Grashalme aus und lasse sie zwischen meinen Fingern hindurchgleiten. Keuchend stoße ich Luft aus, dann drehe ich mich zur Seite, rolle mich zusammen und rudere mit den Armen. Der Himmel dreht sich, ich drehe mich, die Welt dreht sich, alles dreht sich.

Ich bleibe auf der Wiese liegen, atme heftig und komme schließlich wackelig auf die Beine. Im einen Augenblick fühle ich mich, als bestünde ich aus nichts, im anderen droht mich der Schmerz zu zerreißen. Ich stolpere zu meinem Auto und diesmal fühlen sich die Grashalme wie scharfe Klingen an meinen Knöcheln an. Ich beiße die Zähne zusammen, entriegle meinen Wagen und lenke ihn zurück auf die Straße. Und obwohl so viele Fahrzeuge in dieser Nacht unterwegs sind, fühle ich mich unglaublich alleine.

Hinweis: Dieser Text stammt aus der Freistunde, der Kinder-, Jugend- und Schulredaktion der Mediengruppe Attenkofer. Für die Freistunde schreiben auch LeserInnen, die Freischreiben-AutorInnen. Mehr zur Freistunde unter freistunde.de.