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Fragwürdige Buchempfehlungen: Wie die Literatur-Seite Booktok kippt

Beherzte Lesetipps werden zu inhaltslosen Slideshows und brutaler Pornografie: Welche Abgründe sich in der TikTok-Nische Booktok aufgetan haben.

Innerhalb der vergangenen Jahre hat Booktok einen beängstigenden Wandel durchgemacht.

Innerhalb der vergangenen Jahre hat Booktok einen beängstigenden Wandel durchgemacht.

Explizite Inhalte, absurde Werbekampagnen und ein Frauenbild, das aus dem Mittelalter stammt: Innerhalb der vergangenen Jahre hat die Literatur-Seite von TikTok, die sich selbst Booktok nennt, einen beängstigenden Wandel durchgemacht. Ursprünglich tummelten sich hier harmlose Buchempfehlungen, Künstler und Cosplayer. Mittlerweile kristallisieren sich immer mehr Probleme heraus. Drei davon fallen in der deutschen Booktok-Szene besonders auf.

Problem 1: Das Schlachtfeld Dark-Romance

Entweder man liebt es, oder man will sich nach einem ersten Einblick die Augen auskratzen: Kaum etwas ist auf Social Media umstrittener als das Dark-Romance-Genre. Sei es der Mafiaboss, ein Serienmörder oder der knallharte Leiter eines Großkonzerns – die Geschichte vom Bad Boy, der nur für ein bestimmtes Mädchen eine sanfte Seite hat, ist gefühlt so alt wie die Zeit selbst. Das mag bekannt sein, Geschmäcker sind aber immer noch verschieden.

Kompliziert wird es, wenn die Werbung für das Buch auf TikTok den brutalsten Pornofilm in den Schatten stellt. Schwach zensiert und vollgepackt mit gewalttätigen Abschnitten wird seitenweise Porno-Literatur geteilt. Oft geht es hier um Bedrängung bis hin zur Vergewaltigung, die dennoch für weibliche Leserinnen erotisch und ansprechend wirken soll.

Den größten Aufschrei verursachte wohl „Hunting Adeline“. Angeblich ist es ein „perfektes Einsteigerbuch für Dark-Romance“ – in Realität stellt es sich als eine Aneinanderreihung perverser Fantasien heraus. Hier wird detailliert beschrieben, wie der weibliche Hauptcharakter von einem Unbekannten gestalkt und vergewaltigt wird.

Dieser Akt wurde von „Dark-Romance-Booktokern“ extrem romantisiert und führte zu einer Normalisierung solcher Inhalte, nicht nur bei Erwachsenen. In den Kommentaren von Videos, in denen das Buch vorgestellt wird, finden sich Fragen wie „Ab welchem Alter empfehlt ihr das? (Bin 13)“. Die Antworten erschrecken: „Ich habe das mit 11 gelesen, geht schon“ und „Ich lese es gerade, bin 14.“

Das Problem ist, dass Minderjährige formbarer sind als diejenigen, die mit dem Alter bereits Erfahrungen gesammelt haben und ihre eigenen sexuellen Präferenzen entwickeln konnten. Die Tische der Buchhandlungen quellen dennoch über mit Dark-Romance.

Das Dark-Romance-Buch „Hunting Adeline“ wird auf Booktok viel diskutiert.

Das Dark-Romance-Buch „Hunting Adeline“ wird auf Booktok viel diskutiert.

Problem 2: Klick auf den Link in der Bio!

Mit der richtigen Strategie lässt sich alles vermarkten. Auch die Geschichten, die bis vor wenigen Jahren frei zugänglich auf Plattformen wie „Wattpad“ waren – auch, weil sie nicht sonderlich gut sind. Die Rede ist von Büchern, die sich an irritierenden Seifenopern orientieren und für die Rechtschreibung ein eher unnötiges Stilmittel ist.

Bedient wird sich eigentlich immer derselben Klischees: heimlich verliebt in den besten Freund des großen Bruders, die heimliche Freundin des Footballkapitäns, zufällig adelig geworden, aus Versehen in eine WG mit sieben ultraheißen Typen eingezogen ... Sobald man all das dann noch auf eine Slideshow mit beliebigen Pinterest-Bildern klatscht, ist der Erfolg garantiert.

Wie Unkraut schießen schlecht programmierte E-Reader und Apps momentan aus den Untiefen Booktoks. Am bekanntesten ist zurzeit „Galatea“. Unzählige Accounts, die sich als private Buchempfehlungen tarnen, verseuchen die For-You-Page mit ihrer Werbung. Fragt man nach dem Buch zur Slideshow, folgt nur eine kopierte Antwort: „Klick auf den Link in meiner Bio! Da kriegst du Rabatt!“

Problem 3: Zielgruppenorientierte Werbung?

„Du hattest noch nie einen One-Night-Stand in Irland?“ Der Autorin Doris R. Thomas ist das nicht passiert, dem weiblichen Hauptcharakter in ihrem „turbulent romantischen“ Liebesroman aber schon – und das lässt sie jeden wissen. Ihr TikTok-Account ist eine spannend zu beobachtende Reaktion auf die derzeitige Jugendkultur. Mit seltsamen Soundeffekten, absurden Einstiegsfragen und ihrer überdrehten Art spricht sie die Generation an, deren Aufmerksamkeitsspanne sich auf wenige Sekunden beläuft. Dabei hat sie bewundernswerten Erfolg: Sogar Deutschlands Top-Twitch-Streamer Papaplatte ist auf sie aufmerksam geworden und ihre Lesungen in ganz Deutschland sind rappelvoll mit jungen Leserinnen. Denn wer möchte nicht gern einer Frau über 40 dabei zusehen, wie sie enthusiastisch Phrasen wie „Hast du dich schon mal in einen Fuckboy verliebt?“ in ihr Handy schreit?

Ob sie nur als Meme oder als anerkannte Autorin im Internet existiert, ist schwer zu sagen. Mittlerweile verkauft sie sogar Merchandise mit „Fuckboy“-Aufdruck.

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