[Frei]schreiben!
Die Karlstadt aus Wahnmoching

"Endlich", werden die Schokoliebhaber und Weihnachtsfans sagen, "endlich ist Advent und wir können Weihnachtssüßkram und Flitterkram kaufen, ohne schief angeschaut zu werden." Somit dürfte für diese Menschen der Dezember der wahre Wonnemonat sein. Die Dezember-Geburtstagskinder haben den Wintermonat erfahrungsgemäß weniger gern. Vor allem, wenn sie physisch und psychisch noch im Kindstadium leben. Eines der berühmtesten Dezemberkinder war Liesl Karlstadt, die mit bürgerlichem Namen Elisabeth Wellano hieß.
Am 12. Dezember 1892 wurde sie in Schwabing als fünftes von neun Kindern geboren. Und zwar in die recht ärmlichen Verhältnisse einer italienischen Bäckerfamilie. Mit ihrem Geburtsort hatte die Elisabeth allerdings reichlich Glück. Denn Schwabing - oder: Wahnmoching, wie es auch heute noch von seinen launigen Liebhabern genannt wird - ist einer der wenigen Orte auf der Welt, der es einem künstlerischem Talent ermöglicht, auch ohne finanziellen Rückhalt seine kreative Bestimmung und Bühnensehnsucht zu erfüllen.
"Sie Fräulein, des is nix für Sie."
Und Elisabeth war wild entschlossen, ihre Bestimmung zu leben, weswegen sie sich nicht mit dem Job als Verkäuferin zufrieden gab, sondern sich einer Theatergruppe anschloss und schließlich am Frankfurter Hof als Soubrette auftrat. Dabei traf sie 1911 das Glück zum zweiten Mal, nämlich in Gestalt von Karl Valentin, der eigentlich Valentin Fey hieß. "Sie, Fräulein", sprach der Komiker zum Fräulein. "Sie sind als Soubrette aufgetreten. Des is nix. A Soubrette muß ganz keß sein, die muß an Busen haben. Des is nix für Sie. Aber Sie sind sehr komisch, Sie müssen sich auf das Komische verlegen." Obwohl die Elisabeth erst einmal eingeschnappt war, merkte sie bald, dass dieser Fey recht hat. Wie es weiter ging, weiß wohl jeder: Fey taufte die Elisabeth Wellano kurzerhand um und ab 1913 traten sie zusammen als Karl Valentin und Liesl Karlstadt auf. Sie wurden erfolgreich, wurden berühmt, weit über die bayerischen Freistaatgrenzen hinaus. Und sie hätten wohl auch öfter in Berlin etc. gastiert, wenn der Herr Fey nicht ein ausgeprägter Hypochonder mit Reiseangst und anderen Launen gewesen wäre. Liesl wurde aufgrund der empfindlichen Künstlerseele von Valentin Fey zum "Fräulein", dass immer für ihn da war, für eine ruhige Atmosphäre und gute Laute sorgte und sein von Angst gezeichnetes Verhalten aushielt. Sie war in dem Duo immer die Nummero Zwo und versuchte vielleicht auch deswegen, allein in der Bühnenwelt weiterzukommen, nahm mit fast 40 sogar Schauspielunterricht. Allerdings konnte sie sich nie ganz von Valentin lösen.
Einer der größten Schläge gegen Karlstadt als selbstbestimmte Person verübte Valentin, indem er seine und ihre Ersparnisse in sein Panoptikum steckte - und verlor. Elisabeth erlitt einen Nervenzusammenbruch, wollte nicht mehr Liesl sein, sondern sich in der Isar das Leben nehmen. Daraufhin kam sie in eine Klinik. Es half nicht viel. Sie litt weiterhin unter Depressionen und schwachen Nerven. Und wenn sie nicht aufgrund einer Gebärmutter-operation keine Kinder hätte bekommen können, hätte man sie zwangssterilisiert, zwecks "Verhütung erbkranken Nachwuchses". Indes versuchte nun der zuvor so gehätschelte Valentin seine Partnerin zu beruhigen und sie mit Briefen und Bitten zurückzuholen. Beide plagten sich, aber Liesl konnte nicht mehr. Beim Kabarett der Komiker in Berlin begann sie sogar auf der Bühne zu weinen. 1939 krachte es dann so richtig zwischen den zwei Komikern. Liesl war damals krank oder beleidigt oder beides. Sie weigerte sich jedenfalls aufzutreten. Und Fey, der auch am Ende seiner Kräfte war, besetzte ihre Rolle mit der jungen Schauspielerin Anne-Marie Fischer. Das konnte die italienische Seele der Wellano nicht verzeihen. Lange. In den Kriegsjahren, in denen auch Valentin sich von der Bühne wegen den Nazis zurückzog, lebte Elisabeth als "Aussteigerin" - was für diese Zeit natürlich recht ungewöhnlich war. Zwei Jahre lang pflegte sie bei den Gebirgsjägern in Ehrwald (Tirol) Maultiere und ihre kranke Seele. Mit Erfolg.
Wieder zusammen auf der Bühne
Denn sie konnte und wollte nach dem Krieg wieder mit Valentin. Im berühmten, alten Simpl und im Bunten Würfel erklomm das Duo 1947/48 einige Male die Bühne. Das letzte Mal spielte sie gemeinsam mit Valentin neun Tage vor dessen Tod. Danach versuchte sich Elisabeth in Fernsehen, Funk und Theater weiterhin als Schauspielerin, aber ihr fehlte offenbar das Verwandeln. Die festgelegten Rollen (humorvolle mütterlich-herzige Frauen) forderten sie nicht so sehr, wie die Auftritte mit ihrem früheren Entdecker und Partner. Es fehlte der gelebte Anarchismus und die tragische Komik und das schaurige Schwingen, die sie zum Beispiel in "Der Firmling" oder "Die Erbschaft" (1936, von den Nazis verboten, wegen "Elendstendenzen") ausspielen konnte.
Gestorben ist Elisabeth Wellano am 27. Juli 1960 während eines Urlaubs in Garmisch Partenkirchen. Und das gemeinsame Vermächtnis von ihr und Valentin ist ein wichtiger Schatz wie Lehrstoff in Sachen Bühne, Witz und Protest.