Bayern

Soforthilfe aus dem ersten Lockdown - jetzt der Rückzahlschock für Münchner Kleinunternehmer und Soloselbständige

Martin P. (75) muss einen großen Teil der Coronahilfe aus dem ersten Lockdown zurückzahlen - wie Tausende Münchner Kleinunternehmer und Soloselbstständige auch. Ist das gerecht?


Seit 42 Jahren betreibt Martin P. einen Friseursalon in Haidhausen am Landtag. Der 75-Jährige arbeitet noch, weil seine kleine Rente zum Leben nicht reicht. Mit Müh und Not hat er sein Geschäft durch die Krise gebracht. Nun soll er Tausende Euro Coronasoforthilfe zurückzahlen

Seit 42 Jahren betreibt Martin P. einen Friseursalon in Haidhausen am Landtag. Der 75-Jährige arbeitet noch, weil seine kleine Rente zum Leben nicht reicht. Mit Müh und Not hat er sein Geschäft durch die Krise gebracht. Nun soll er Tausende Euro Coronasoforthilfe zurückzahlen

Von Nina Job

Herrenhaarschnitt ab 17 Euro" steht in gelben und roten Buchstaben draußen an der Schaufensterscheibe. Darunter steht ein rot-braun gestrichenes Holzbankerl, hier sitzt Martin P. manchmal und raucht eine Zigarette, wenn er auf den nächsten Kunden wartet.

Schon seit 42 Jahren betreibt der Haidhauser in der Max-Planck-Straße, nur wenige Schritte vom Maximilianeum entfernt, seinen "Salon Martin": Die Wände des zwölf Quadratmeter kleinen Ladens hat er mit Faschingsmasken dekoriert, die er auf Flohmärkten gefunden hat, am Waschtisch steht eine Yuccapalme, den roten Frisierstuhl hat er mal vor vielen Jahren im Tausch gegen zehn Haarschnitte erstanden.

Im Februar ist der Friseurmeister 75 Jahre alt geworden. Er arbeitet immer noch gern, sagt Martin P. Aber er müsse es auch. "Ich habe nur eine kleine Rente, 530 Euro. Ich arbeite weiter, um nicht in die Grundsicherung zu rutschen", sagt er zur AZ.
Ab und zu sitzen in seinem Frisierstuhl auch Politiker aus dem nahen Landtag oder aus der Staatskanzlei, einige kennt er schon lange. Aber "auf die deutsche Politik" ist der 75-Jährige zur Zeit gar nicht gut zu sprechen. "Ich bin so verärgert", sagt er. "Mir kommt's vor, als will man uns Kleine zerstören."

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"Existenzbedrohend": Stefan Julinek vom Bund der Selbständigen.

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Caroline Hecker (l.) findet es ungerecht, dass die Einkommensverluste in Bayern nicht berücksichtigt werden.

Der Friseurmeister muss Tausende Euro Corona-Soforthilfe, die er im ersten Lockdown bekommen hat, zurückzahlen. "Damit habe ich nicht gerechnet. Das kam aus heiterem Himmel für mich", sagt er.


Das Schreiben kam Ende November vom städtischen Wirtschaftsreferat und ging an rund 37 500 Münchner Kleinunternehmer und Firmen. Darin wurden die Empfänger aufgefordert zu überprüfen, ob der Liquiditätsengpass, den sie im Frühjahr 2020 angegeben hatten, tatsächlich so eingetroffen ist. Bei einer "Überkompensation" muss die Hilfe anteilig oder komplett zurückgezahlt werden bis 30. Juni.

Die Angaben müssen in eine Online-Datenbank auf den Internetseiten des bayerischen Wirtschaftsministeriums eingetragen werden.

Insgesamt 2,2 Milliarden Euro Soforthilfe wurden laut bayerischem Wirtschaftsministerium zwischen März und Mai 2020 an 250 000 bayerische Unternehmen ausgezahlt - je nach Betriebsgröße zwischen 10 bis 50 000 Euro. Die Stadt zahlte 297 Millionen Euro an Münchner Kleinunternehmer aus. 37 500 Anträge waren bewilligt worden.

Die Hilfe, die vorwiegend vom Bund finanziert wurde, sollte dazu dienen, Verbindlichkeiten "aus dem erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand" zu begleichen. Zu den betrieblichen Kosten gehören zum Beispiel die Betriebsmiete, der Strom oder Telefonkosten.

Martin P. bekam 9000 Euro Soforthilfe. Sein Geschäft rettete er trotzdem nur mit Ach und Krach durchs Jahr. Von März bis Mai mussten die Friseure komplett zusperren - so hatte es die bayerische Staatsregierung verfügt. Danach galten für alle "körpernahen Dienstleister" wie Friseure, Kosmetiker und Fußpfleger strengste Regeln: Anfangs durften nur negativ getestete Kunden mit Maske bedient werden, später ausschließlich Geimpfte, die sich getestet hatten. Mitte Dezember folgte der nächste Lockdown.


Bei Martin P. brach der Umsatz ein.
"Als ich wieder öffnen durfte, blieben viele ältere Stammkunden weg oder kamen nur noch alle paar Monate", erinnert er sich. Einige Kunden seien auch an Corona gestorben. Er und viele andere Selbstständige mussten ihre Altersvorsorge anbrechen. Ohne die Soforthilfe, sagt P. "wäre ich in die Insolvenz gegangen".

Er habe zusätzlich noch 8000 Euro von seinem Ersparten zuschießen und sich Geld leihen müssen. Am Ende des Jahres hatte er einen Überschuss von 909 Euro - somit hatte er also durchschnittlich 75 Euro pro Monat verdient. Viel zu wenig zum Überleben.
Trotzdem fordert der Staat nun mehr als 60 Prozent der Soforthilfe von ihm zurück: 5667 Euro. Martin P. empfindet das als große Ungerechtigkeit. "Da schnürt es dir dein Leben ab", sagt der 75-Jährige. "Versprochen war schnelle und unbürokratische Hilfe - kein Darlehen!" Die Staatsregierung hatte laut dafür geworben, sich fleißig zu bewerben. "Von Rückzahlung war keine Rede" - so verstand es Martin P., und so verstanden es viele andere auch.

"Viele Kleinunternehmer fühlen sich im Stich gelassen. Sie empfinden die Rückzahlungsforderung als sehr ungerecht", sagt Stefan Julinek vom Bund der Selbständigen (bds) in Bayern. Der Gewerbeverband hat rund 1000 Mitglieder in München und vertritt vorwiegend Betriebe mit bis zu fünf Mitarbeitern - neben Friseuren auch Kosmetiker, Fußpfleger, Maurer, Zimmerer, Elektriker, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer.

"Die Soloselbstständigen hat es besonders hart getroffen, denn das eigene Einkommen wurde ihnen nicht ersetzt", sagt Stefan Julinek.

Darüber ärgert sich auch Caroline Hecker extrem. Die selbstständige Friseurmeisterin betreibt einen Salon an der Ismaninger Straße in Bogenhausen und vermietet an zwei Kolleginnen unter. "Die Politik hat mir 16 Wochen den Laden zugesperrt", sagt sie. Das kam für sie einem Berufsverbot gleich. "Trotzdem musste ich ganz normal Steuervorauszahlungen leisten und meine Krankenversicherung, Renten- und Mitgliedsbeiträge zahlen."

Die Krankenkassenbeiträge durften bei den Verlusten genauso wenig eingerechnet werden wie der entgangene Verdienst. Und die Verluste werden bei der Berechnung für die Rückforderungen nur für den Zeitraum März bis Mai berücksichtigt. "Dabei war Corona da noch lange nicht vorbei", ärgert sich auch Martin P.

Stefan Julinek vom Bund der Selbstständigen sieht die Existenz vieler Betriebe durch die Rückforderungen gefährdet: "Ich fürchte in der Gesamtgemengelage mit Ukrainekrieg und hohen Energiekosten wird es für viele Kleine das Aus bedeuten." In Zahlen werde sich das kaum abbilden lassen. Denn kaum ein Soloselbstständiger würde Insolvenz anmelden, stattdessen würde er einfach sein Gewerbe abmelden. "Der kleine Mittelstand verschwindet still und leise", sagt Julinek.

Dabei ist mehr als fraglich, ob die Forderungen immer zulässig sind. In Nordrhein-Westfalen haben Gerichte Bescheide bereits für rechtswidrig erklärt, 2000 Klagen sind dort noch anhängig.
In Bayern hingegen läuft das Rückmeldeverfahren weiter. Darauf, dass ein Berufsverband, eine Innung oder die IHK eine Klage für sie einreicht, warten die Mitglieder bislang vergeblich. Und von der Politik kommen auch keine Zeichen, den Kleinen entgegenzukommen.


Martin P. wird neue Schulden machen müssen,
um die geforderten 5667 Euro zahlen zu können. Seine günstigen Preise fürs Haarschneiden will er trotzdem so lange wie möglich halten. Die 17 Euro am Fenster gelten für Arbeiter und Rentner. "Die sind auch arm dran", sagt er.

Von Politikern, die mehr verdienen, hat er schon immer ein paar mehr Euro verlangt.