Bayern

Scharfe Kritik an der Münchner Beschwerdestelle für sexuelle Belästigung

Eine Studie attestiert "vorbildliche" Arbeit. Kritikerin spricht von einer "Nebelkerze".


Ines Schwab (Name geändert) vor dem Rathaus.

Ines Schwab (Name geändert) vor dem Rathaus.

Von Thilo Komma-Pöllath

Die Stadt München hat eine sehr gute Meinung von sich selbst. Wenn es um ihr Selbstverständnis als "soziale Arbeitgeberin" geht, dann wird das Klischee von der "bunten Familie" bemüht, der es um "Gleichstellung und Diversität" und "Toleranz und Respekt" geht. So umschreibt die Stadt ihre "Arbeitgeberinmarke" im Internet.

Teil dieser Marke ist auch die Zentrale Beschwerdestelle für sexuelle Belästigung (ZBSB). Als "vorbildliche" ZBSB-Stelle stuft sie eine Studie ein - in Auftrag gegeben von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Die ehemalige städtische Bedienstete Ines Schwab (44, Name geändert)i kann darüber nur den Kopf schütteln und sagt: "Mir ist schleierhaft, wie man so etwas vorbildlich nennen kann."

Vor ziemlich genau einem Jahr haben Ines Schwab und ein schwerbehinderter Kollege der AZ von ihren Diskriminierungserlebnissen berichtet, der die zuständigen Beschwerdestellen der Stadt nicht hinreichend nachgegangen waren, so ihr Vorwurf.

Schwab hatte im Oktober 2018 einen Job in der IT-Abteilung der Stadtkämmerei angetreten. Nachdem sie einem Arbeitskollegen sexuelle Belästigung vorgeworfen hatte, wurde ihr in der Probezeit gekündigt. Sie strengte eine Kündigungsschutzklage an - erfolglos.

Ihr Kollege mit Behinderung hatte über Mobbing geklagt und Protokoll darüber geführt, wie er dem "willkürlichen Verhalten" von Kollegen und Vorgesetzten in der Abteilung ausgesetzt war, auch konnte er etliche Nötigungsvorwürfe Schwabs bestätigen.

Im Januar 2022 erklärte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) auf AZ-Nachfrage, dass die nun lobend erwähnte ZBSB-Stelle Schwabs Fall "umfassend geprüft" habe, der Vorwurf aber nicht bestätigt werden konnte.

Der Beschuldigte habe, so Reiter, "glaubhaft" berichtet, Frau Schwab "zu keinem Zeitpunkt körperlich oder sexuell belästigt" zu haben. Außer dem Beschuldigten wurde niemand befragt, eine, wie von OB Reiter behauptet, umfassende Untersuchung durch die Beschwerdestellen hatte es nicht gegeben, das zeigte die AZ-Recherche von 2022. In der Studie von 2021 klingt das ganz anders. Da wird die Leiterin der ZBSB-Stelle Susanne Henke mit den Worten zitiert: "Bei Aussage gegen Aussage hört's nicht auf, da fängt's erst richtig an!"

Durch Zufall stieß Schwab auf die Studie, die München eine derart "vorbildliche" Anti-Diskriminierungsarbeit ausstellte, die sie selbst im März 2019 ganz anders erlebte. Anfang Januar 2023 schrieb Schwab an das Forschungsreferat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nach Berlin und fragte, auf welcher Bewertungsgrundlage die Studie zu ihren Erkenntnissen gekommen sei.

Die Antwort der Referentin ist kryptisch formuliert. Die "vertiefte Analyse" von 25 Unternehmen und Organisationen wie Charité, Deutsche Bahn oder Stadt München sei eine Beispielsammlung "Ansätze Guter Praxis", keine "Best Practice-Beispiele", heißt es. Im Mittelpunkt stehe der modellhafte Ansatz und nicht, ob etwa die Münchner ZBSB-Stelle "die eigenen Regularien immer korrekt umsetzt", darüber könne man "keine Einschätzung abgeben". Genau das aber macht die Studie, wenn sie schreibt, dass die Stadt München über eine "vorbildliche Beschwerdestelle" verfüge. Ein Urteil, das die Studie gar nicht hergibt.

Denn: Beschäftigt man sich genauer mit der Untersuchung, wird klar, dass "im Rahmen dieser Studie die Wirksamkeit der vorgefundenen Beispiele nicht überprüft werden" konnte. Deren Erkenntnisse speisten sich ausschließlich aus den Selbsteinschätzungen der befragten Führungskräfte, also auch von ZBSB-Leiterin Susanne Henke.

Schwab: "Die Studie ist eine Nebelkerze und taugt zum Greenwashing für Unternehmen." Eine Antidiskriminierungsstudie, in der Betroffene nicht vorkommen, sei mit 65.409,50 Euro Steuermitteln, die die Studie gekostet hat, dann doch zu teuer.