Bayern

Pfarrer Wolodymyr im AZ-Interview: "Ich habe gedacht, dass an dieser Kirche nie mehr Gras wachsen wird"

Vor einem Jahr sind Pfarrer Wolodymyr und seine ukrainische Kirche in Untergiesing erste Anlaufstelle für Frauen und Kinder, die aus dem Krieg flüchten. Und für Hunderte Münchner, die spontan helfen möchten. Wie ist die Lage heute?


Pfarrer Wolodymyr Viitovitch in seiner ukrainischen griechisch-katholischen Kirche Maria Schutz an der Schönstraße.

Pfarrer Wolodymyr Viitovitch in seiner ukrainischen griechisch-katholischen Kirche Maria Schutz an der Schönstraße.

Von Irene Kleber

AZ-Interviewmit PfarrerWolodymyr ViitovitchDer Ukrainer (55) kam 1992 als Theologiestudent nach München. Heute ist er Pfarrer in der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche Maria Schutz in Untergiesing (die zu Rom gehört).Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.i

Vor einem Jahr sind Pfarrer Wolodymyr und seine ukrainische Kirche in Untergiesing erste Anlaufstelle für Frauen und Kinder, die aus dem Krieg flüchten. Und für Hunderte Münchner, die spontan helfen möchten.
Wie ist die Lage heute?

Mit dem 24. Februar 2022 wird Pfarrer Wolodymyr zum Krisenmanager. Auf der Wiese hinter seiner ukrainischen Kirche in der Schönstraße 55 stapeln sich Konserven, Schlafsäcke, Kleider, die Münchner spontan vorbeibringen. 300 Studentinnen und Studenten packen alles auf Lkw, die Richtung Kriegsgebiet losfahren.

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Auch Lilja, Switlana und Olena (v.l.) helfen jeden Sonntag dabei, mittags 300 bis 400 Frauen und Kinder mit Essen zu versorgen.

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Heute, ein Jahr später, ist das zertretene Gras auf der Wiese nachgewachsen, "das kann man als Zeichen der Hoffnung sehen", sagt der Pfarrer.

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Schwester Josafata stampft in der Gemeindeküche jede Woche 20 Kilo Kartoffeln, um fürs Sonntagsessen 1000 Teigtaschen zu kochen.

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Kleider, Konserven, Schlafsäcke - kistenweise stapeln sich in den ersten Kriegstagen Hilfsgüter auf der Wiese hinter der Kirche.

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Kinder und Jugendliche aus dem Waisenhaus Mria.

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Babybox-Projektleiterin Olena Schulz (l.) mit Helferinnen.

Zeitgleich kommen erste Frauen, Kinder, alte Menschen aus der attackierten Ukraine vor seiner Kirche an (AZ berichtete).i

Bald weiß der Pfarrer nicht mehr, wie er alle versorgen soll, und bittet die Freiwilligen, den Menschen ein Obdach zu geben. Viele werden über Wochen bei den Helfern bleiben, manche sogar Monate. Wie ist die Situation heute?

AZ: Pfarrer Wolodymyr, Sie haben in den ersten Kriegswochen an die 60 Flüchtlingsfamilien privat untergebracht. Haben Sie noch Kontakt zu einigen?

PFARRER WOLODYMYR: Natürlich, viele sehe ich sonntags nach der Messe, beim gemeinsamen Mittagessen hier in der Gemeinde. 300 bis 400 Frauen und Kinder treffen sich hier, tauschen ihre Sorgen aus und geben sich gegenseitig Kraft.

Wer kocht für so viele?

Die Klosterschwestern um unsere Schwester Josafata. Sie bereiten jede Woche 1000 ukrainische Teigtaschen und 80 Liter Borschtsch-Suppe vor, um alle für wenig Geld zu versorgen.

Wie geht es den Familien hier?

Ukrainer sind sehr lebensfähig. Etwa ein Drittel von denen, die ich kenne, hat schnell Arbeit gefunden und auch eine eigene Wohnung. Die Kinder gehen in die Schule und lernen fleißig. Zehn Prozent sind in die Ukraine zurückgegangen, das sind vor allem die Alten, die sich schwer tun, anzuknüpfen und die Heimweh haben.

Und alle anderen?

Das sind vor allem Frauen mit kleinen Kindern, für sie ist es schwer, zu arbeiten. Manche sind sogar immer noch in ihren ersten Gastfamilien, die Gastfreundschaft in München ist wirklich bewundernswert und ein großer Trost. Aber was wirklich schrecklich ist . . .

. . . ja?

Es kommen laufend Todesnachrichten von zu Hause. Dass der Ehemann gefallen ist, oder der Vater, der Bruder. Alle, die hier sind, aus Cherson, aus Kiew, aus Odessa, aus der Zentralukraine, haben jemanden, der im Krieg kämpft und getötet wird. Gerade hat mir eine junge Frau erzählt, dass ihr Mann umgekommen ist. Sie weiß nicht, wie sie das den Kindern sagen soll, und sie muss zur Beerdigung in die Ukraine, mit der Mutter des Verstorbenen. Furchtbar.

Wie können Sie trösten?

Wir beten, wir halten zusammen, wir versuchen, zu beruhigen und zu umarmen. Wir sind jetzt hier vier Priester, am Sonntag halten wir vier statt zwei Messen, damit jeder zu uns kommen kann. Wir organisieren Konzerte, helfen bei Behörden, bei der Wohnungssuche. Wir taufen Säuglinge. Wir fangen die Kinder auf, in Jugendvereinen und in Pfadfindergruppen. Wir versuchen, ein Stück Heimat zu sein. Es ist keine leichte Zeit.

Immerhin ist auf der Wiese hier wieder Platz zum Spielen.

Ich habe gedacht, dass an dieser Kirche nie mehr Gras wachsen wird - es sind letztes Jahr so viele Hilfsgüter und so viele Menschen wochenlang auf der Wiese gestanden. Aber das Gras ist zurückgekommen, das kann man auch als Zeichen der Hoffnung sehen.

Um Hilfstransporte kümmern Sie sich also nicht mehr selbst?

Doch, das machen wir weiterhin. Und aus unseren 2000 Aktiven in den ersten Kriegsmonaten hat sich im Sommer der Verein "München hilft Ukraine" gegründet, der Spenden für Mütter und Kinder in der Ukraine sammelt (s. unten)i.

Wird denn noch viel gespendet?

Es hat nach Weihnachten etwas nachgelassen und wir suchen auch neue Lagerräume. Aber unsere Helferinnen sind fleißig, und ich bin hoffnungsfroh, dass das gut weiterlaufen wird.

HORIZONTALE LINIE
Der Verein "München hilft Ukraine" unterstützt fünf Waisenhäuser - und Schwangere mit über 1000 Babyboxen

Aus München gelangt viel Hilfe zu Waisenkindern, Schwangeren und Säuglingen im Kriegsgebiet: Der Verein München hilft Ukraine (MHU), der sich aus Ehrenamtlern rund um die ukrainische Kirche in Untergiesing gegründet hat, hat dafür Kontakte geknüpft. Aktuell werden 245 Buben und Mädchen (drei bis 18 Jahre), darunter 30 Waisenkinder, im Kinderhilfszentrum Mria in der Westukraine versorgt. Viele sind aus der umkämpften Region Luhansk gebracht worden. "Seit Weihnachten haben wir in München rund 8000 Euro an Spenden für Mria gesammelt", berichtet Schatzmeisterin Olena Kyselova, "damit finanzieren wir Lebensmittel, Schulsachen, Hygieneartikel, Kleidung, psychologische Unterstützung und die Renovierung von Räumen." Mehr Spenden sollen vier weiteren Waisenhäusern zugutekommen. Ebenfalls unterstützt wird Babybox - ein Projekt, das es seit der ersten Kriegswoche gibt. Helferinnen in München haben dafür schon über 1000 Kisten für Schwangere und Säuglingsmütter im Kriegsgebiet mit Babynahrung, Hygieneartikeln und Medizin gepackt. "Wir laden die Boxen in München auf Lkw und transportieren sie über das polnische Chelm in die Krisengebiete", sagt Kyselova. "Dort werden sie an Mütter mit Babys und in Geburtshäuser verteilt." Wer dafür spenden möchte: München Hilft Ukraine e.V. IBAN: DE19 7002 0270 0035 4040 23, BIC/Swift: HYVEDEMM, Verwendungszweck: "Waisenhaus" oder "Babybox".