Bayern

Experte über gute Grünflächen: "Mehr als eine Parkbank und ein Mülleimer"

Wie gelingt öffentlicher Raum so gut wie am Grünspitz? Und warum gibt es keine besseren Radwege? Ein Experte erklärt, was München von Frankreich lernen kann


Thomas Spinrath arbeitet im Deutsch-Französischen Zukunftswerk. Dieses schaut sich Initiativen in Frankreich und Deutschland an und erarbeitet Politikempfehlungen.

Thomas Spinrath arbeitet im Deutsch-Französischen Zukunftswerk. Dieses schaut sich Initiativen in Frankreich und Deutschland an und erarbeitet Politikempfehlungen.

Von Christina Hertel

München - Wie muss sich die Bundespolitik verändern - damit hier in München mehr Freiräume entstehen und damit die Mobilitätswende klappt? Diesen Fragen widmet sich der Politikwissenschaftler Thomas Spinrath im Deutsch-Französischen Zukunftswerk. Dieses schaut sich Initiativen in Frankreich und Deutschland an und erarbeitet Politikempfehlungen. Fertig sind die Vorschläge noch nicht. Einblicke kann Thomas Spinrath trotzdem schon geben. Er hat den Giesinger Grünspitz und die Radpolitik genauer betrachtet und erklärt, was sich tun muss und warum ein markierter Radweg so kompliziert zu planen ist wie ein gebauter.

AZ: Herr Spinrath, im Giesinger Grünspitz treffen sich Leute zum Gärtnern oder zum Bier trinken. Er sieht aus wie ein Ort, der mit der Zeit zufällig entstanden ist. Aber das ist gar nicht so, oder?

THOMAS SPINRATH: Nein, das war gar kein Zufall. Bis Mitte der 2010er Jahre pachtete ein Autohändler das Grundstück von der Stadt. Dann hat die Stadt im Rahmen einer Städtebauförderung des Bundes aktiv nach neuen Freiräumen gesucht, die sie mit den Anwohnenden entwickeln kann. Die Stadt hat vielfältige Analysen gemacht, Leute aus der Grünplanung waren einbezogen. Ohne die Städtebauförderung wäre der Grünspitz vielleicht immer noch ein Parkplatz.

Woran liegt es, dass der Ort belebt ist, während in Parks in Neubaugebieten oft gar niemand sein will?

Das, was den Grünspitz ausmacht, ist, dass die Stadt hier ganz eng mit dem Verein Green City zusammengearbeitet hat, um eben nicht einfach nur eine Grünfläche zu schaffen, sondern gemeinsam mit den Anwohnenden zu schauen, was an Nutzung interessant ist. Green City hat Veranstaltungen gemacht und das Mobiliar mitgebaut. Dadurch nutzen jetzt auch so viele gesellschaftliche Gruppen den Grünspitz.

Warum überlässt die Stadt nicht mehr Flächen sich selbst, damit die Menschen sich diese selbst aneignen können?

Klar, das ist eine Herangehensweise, die sicher in anderen Städten stärker zu finden ist. Aber wenn man erreichen möchte, dass sich nicht nur eine Gruppe einen Ort aneignet, stellt sich die Frage, ob es nicht jemanden wie Green City braucht, der sicherstellt, dass eine soziale Vielfalt vor Ort stattfinden kann.

Was ist Ihr Rat für die Stadt, um noch mehr solche Orte schaffen?

Die Stadt könnte sich das noch stärker zum Anspruch machen. Dann ist die Frage, wie sie das Baureferat ausstattet, damit es Freiräume aufrechterhalten kann, die mehr als normale Grünflächen sind. Der Grünspitz ist ja mehr als Parkbank und Mülleimer. Und es stellt sich auch die Frage, wie Bund und Länder das noch besser unterstützen können. Dabei geht es nicht nur um Geld - sondern auch um Fläche. Wenn eine dichte Stadt wie München überhaupt neuen Raum schaffen will, dann ist die Mobilitätswende entscheidend. Denn Fahrräder und Busse nehmen pro Person viel weniger Raum ein als Autos.

Wie kann der Bund solche Projekte besser unterstützen?

Bei Zwischennutzungen wie dem Grünspitz stellt sich die Frage, wie sie langfristig erhalten werden können. Städte benötigen nicht nur einmalig die Mittel, Orte wie den Grünspitz zu schaffen. Sie brauchen auch die langfristigen Strukturen, neue Freiräume dauerhaft zu unterhalten, gerade wenn sie so vielfältig genutzt werden.

In München wundern sich viele, warum es so lange dauert, neue Radwege zu bauen. Geht es Ihnen auch so?

Städte, die über Jahrzehnte hinweg autogerecht geplant wurden, lassen sich leider nicht von heute auf morgen umkrempeln. Aber Potenzial ist da, um schneller zu werden. So hat es die Stadt 2020 mit den Pop-up-Radwegen ja auch innerhalb von zwei Monaten geschafft, neue Radfahrstreifen auf die Straße zu bringen. Wir diskutieren nun, wie sich die Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene verändern müssten, um Städten wie München den Radwegeausbau zu erleichtern. Für viele ist eindeutig, dass die Straßenverkehrsordnung eine Erneuerung braucht.

Welche denn?

Bisher ist das einzig starke Argument, um dem Auto Platz wegzunehmen, die Gefahrenabwehr. Das heißt, Städte müssen quasi nachweisen, dass an einer Stelle Fahrradunfälle stattfinden, um dem Rad mehr Platz zu geben. Das Argument, dass mehr Radverkehr beim Klimaschutz hilft, zählt unter geltendem Recht nicht. Das macht es nicht nur München, sondern allen Städten schwer, auf einer juristischen Ebene den Ausbau von Radwegen gut umzusetzen.

Aber Pop-up-Radwege kamen doch sehr schnell.

Die Pop-up-Radwege waren gelbmarkiert und wurden als Versuch angeordnet. Das ist eine Ausnahme in der Straßenverkehrsordnung und geht relativ einfach. Die weißen, dauerhaften Markierungen sind aufwendiger zu begründen. Aus einer planerischen Sicht ist ein markierter Radstreifen nicht unbedingt einfacher umzusetzen als ein baulicher Radweg. Städte müssen dafür die Straßen komplett umplanen. An Kreuzungen müssen sie oft die Fahrbahndeckel erneuern. In der Elisenstraße hat die Stadt zuerst eine Pop-up-Lösung geplant, dann eine weiße Markierung und jetzt wird über einen baulich getrennten Radweg diskutiert. Wenn man jede Straße mehrfach überplanen will, bindet das Kapazitäten.

Ist das in anderen Ländern auch so kompliziert?

Unsere Partnerstadt Lyon baut gerade ein großes Radschnellwegenetz. Die bauen zwölf nummerierte Linien - so wie man das von U-Bahn-Linien kennt. In Frankreich gibt es flexiblere rechtliche Grundlagen und die haben diese rechtlichen Herausforderungen sehr viel weniger.

Was können wir von anderen Ländern lernen?

In unseren deutsch-französischen Diskussionen kamen viele Beispiele auf, wo Partnerstädte beeindruckt ins andere Land geschaut haben. Das betrifft nicht nur große Fragen wie das flexiblere Straßenverkehrsrecht in Frankreich. Auch die Idee, wie in Lyon ein Radschnellwegenetz in Linien zu unterteilen, hat viele deutsche Teilnehmende inspiriert.