Bayern

Die AZ zu Besuch im Bordell

130 Betriebe, in denen Menschen für Sex bezahlen, gibt es in München. Alle muss das KVR regelmäßig kontrollieren. Die AZ war dabei - und wurde überrascht.


1748 Sexarbeiterinnen - und auch Sexarbeiter - arbeiten legal in München. Bevor das Prostituiertenschutzgesetz eingeführt wurde, waren es 1000 mehr.

1748 Sexarbeiterinnen - und auch Sexarbeiter - arbeiten legal in München. Bevor das Prostituiertenschutzgesetz eingeführt wurde, waren es 1000 mehr.

Von Christina Hertel

München - Eva kniet in hohen Schuhen und schwarzen Dessous in einem Gang vor einer Tür, um die rote Lichter brennen. Sie wird das ganze Gespräch über nicht aufstehen, erst als sie nach ein paar Minuten ihr Zimmer zeigt. Ein Bett, auf dem Kondome liegen. Eine Kommode, auf der schwarze Dildos stehen. Eva heißt eigentlich anders, sie ist 29 Jahre alt und kam vor sechs Jahren aus Rumänien nach München, um hier zu arbeiten, erzählt sie.

Alle paar Wochen miete sie sich hier ein Zimmer, in einem Bordell am Stadtrand. Es könnte genauso gut ein Bürohaus sein - wären die Fenster nicht mit dunklen Jalousien verhangen, manche rot, manche schwarz.

Heute, sagt Eva, sei ihr erster Arbeitstag seit Februar. "Es läuft nicht gut, aber man muss optimistisch sein." Es ist gegen 16 Uhr an einem verregneten Mittwoch. Auf dem Parkplatz stehen E-Autos, ein Sportwagen aus der Schweiz, BMWs und Audis, sie kommen aus Erfurt, Landsberg, Wuppertal und München. Die Männer, die durch den Gang laufen, sehen so normal aus, dass man ihre Gesichter sofort wieder vergisst. Einer ist alt, er musste sich schnaufend die Treppe hochziehen, die anderen könnten Ehefrauen und kleine Kinder haben.

Sexarbeiterin Johanna Weber sieht das Gesetz kritisch.

Sexarbeiterin Johanna Weber sieht das Gesetz kritisch.

Eva erzählt, dass sie immer wieder aufhören wollte - aber dann doch wieder hier landete. "Ich hatte keinen Deutschekurs. Sagt man so? Nein, Deutschkurs, ich weiß das." Der Job, sagt sie, sei hart. Mit wie vielen Männer sie am Tag schläft, wie viel Miete sie für ihr Zimmer zahlt, verrät sie nicht. Aber man findet im Internet heraus, dass es pro Tag um die 200 Euro sind.

Sie verlange mindestens 50 Euro, sagt Eva. Warum sie die Männer nicht zu Hause empfängt? Könnte sie da nicht eine Menge Geld sparen? Sie mag es hier, sagt Eva, es sei sicherer. "Es kommen ja auch Perverse und Psychopathen." Außerdem wäre es daheim in ihrer Wohnung nicht legal, sagt sie.

1748 Sexarbeiterinnen - und auch Sexarbeiter - arbeiten legal in München, sagt die Polizei

1748 Sexarbeiterinnen - und auch Sexarbeiter - arbeiten laut Polizei legal in München. Sie haben sich, so wie es das Prostituiertenschutzgesetz seit 2017 vorschreibt, bei einer Kommune angemeldet.

Viele von ihnen saßen bei ihrer Anmeldung einer Mitarbeiterin aus dem Münchner Kreisverwaltungsreferat gegenüber. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Seit fünf Jahren erteilt sie Menschen die Erlaubnis, mit Prostitution Geld zu verdienen.

Ergeben sich keine Hinweise auf eine Fremdbestimmung, gebe es kaum Gründe, die Anmeldung zu verwehren, sagt sie - sofern ihre Kunden eine Arbeitserlaubnis haben und beim Gesundheitsamt waren, wie es das Gesetz vorschreibt.

Nach dem Gespräch, das schon mal eineinhalb Stunden dauern könne, übergibt sie die Anmeldung, ein Formular, das Prostituierte bei ihrer Arbeit dabei haben müssen.

97 Prozent der Sexarbeitetenden in München sind Frauen, 80 Prozent reisen aus dem Ausland an

Die KVR-Mitarbeiterin weiß so viel über Prostitution in München wie wohl kaum jemand. Zum Beispiel, dass 97 Prozent der Sexarbeitenden in München weiblich sind, dass 80 Prozent extra aus dem Ausland anreisen, 36 Prozent aus Rumänien, elf Prozent aus Bulgarien. Sie weiß, dass die meisten etwa zwei bis vier Wochen in München bleiben und dann weiterziehen, nach Österreich, in die Schweiz, in eine andere deutsche Stadt - oder nach Hause. Die Anmeldung im KVR soll keine Strafe sein, das sagt sie oft. "Der Schutz steht im Vordergrund." Es gehe darum, die Frauen zu beraten, sie über Organisationen zu informieren, die wiederum helfen, eine Krankenversicherung zu bekommen oder den Ausstieg aus dem Gewerbe zu schaffen.

Ihre Aufgabe ist auch, zu erkennen, wenn eine Person die Arbeit nicht freiwillig macht. Seit 2017 meldete das KVR 104 Fälle an die Polizei, bei denen es den Verdacht hegte, dass jemand einen Zwang ausübt. In 20 Fällen bestätigte sich das. Aber wie schafft sie es, dass sich ihr jemand anvertraut? "Das Entscheidende ist die Freundlichkeit", meint sie. "Denn die erfahren die meisten selten.”

Mitarbeiter des KVR kontrollieren die 130 angemeldeten Bordelle außerdem regelmäßig - immer unangekündigt. Zwei Kontrolleure hat die AZ begleitet. Sie besuchen den Betrieb, in dem Eva etwa eine Woche später ihr Zimmer zeigt. Die Kontrolleure, ein Mann und eine Frau, wollen anonym bleiben. Verraten kann man aber wohl: Beide sind von der 40 noch weit entfernt, sie tragen keine Uniform, sondern könnten in einem Büro sitzen. Mit Großalarm und Blaulicht hat ihre Arbeit nichts zu tun. Zwei Geschäftsführer des Bordells und ihr Anwalt, ein weißhaariger Mann mit bayerischem Akzent, geben zur Begrüßung die Hand. Man kennt sich.

Die Kontrolleure stellen sicher, dass das Notrufsystem funktioniert

Als Erstes schauen sich die beiden Kontrolleure ein (weil die Presse dabei ist) nicht belegtes Zimmer an. Am wichtigsten ist ihnen, dass das Notfallsystem funktioniert. Ein Notfallknopf muss vom Bett aus erreichbar sein. Wenn die Sexarbeiterin ihn drückt, muss ein Alarm losgehen, und die Tür muss sich von außen öffnen lassen.

An einem Samstag, etwa eine Woche vor der Kontrolle, hat eine Sexarbeiterin den Knopf zuletzt gedrückt und zwar um 0.15 Uhr, das findet ein Mitarbeiter des Bordells mit ein paar Klicks in seinem Computer heraus. "Ein Gast war besoffen und wollte das Zimmer nicht verlassen”, sagt er. Auf seinem Bildschirm sieht er alle Eingänge des Bordells. Jede Person, die es betritt, wird aufgezeichnet. "Zum Schutz der Damen", sagt der Anwalt.

Dann zeigt er einen Raum, der an eine Rezeption erinnert. Lollis und eine Schale Pralinen stehen auf dem Tresen. Ein Regal, das praktisch die ganze Wand ausfüllt, ist voll mit grünen Aktenordnern. Darin sind Listen abgeheftet, welche Frauen ein Zimmer gemietet haben. Ob alle offiziell angemeldet sind, kontrollieren die KVR-Mitarbeiter auch.

"Die Frauen legen die Preise selber fest"

"Die Frauen sind völlig frei, mit wem sie was machen”, sagt der Anwalt. "Auch die Preise legen sie selber fest. Wir vermieten nur die Zimmer wie in einem Hotel." Dann führt der Anwalt in den Keller. Um die Tür zu öffnen, braucht man einen Chip, Freier kommen nicht hinunter. Er zeigt einen Raum, wo Waschmaschinen und Trockner stehen, im nächsten gibt es ein Solarium, im übernächsten sind Fitnessgeräte, und in einem weiteren sitzen Frauen in kurzen Bademänteln. Eine isst Spareribs.

Verstöße gegen die technischen Auflagen stelle er selten fest, sagt der KVR-Kontrolleur. Denn schließlich müssten die Betriebe viele Voraussetzungen erfüllen, um überhaupt eine Zulassung zu bekommen: genug Toiletten und Duschen, einen Aufenthaltsraum, den Notfallknopf, etwas, wo man persönliche Gegenstände einsperren kann - alles geregelt im Prostituiertenschutzgesetz.

"Als das Gesetz 2017 eingeführt wurde, hat das große Unruhe ausgelöst", sagt der Anwalt. "Aber man hat sich dran gewöhnt. Die Zusammenarbeit mit der Polizei und den Behörden ist besser geworden." Wie sich die Straftaten im Rotlichtmilieu seitdem entwickelt haben, kann die Polizei allerdings nicht beantworten.

Die Prostituierte Eva macht gerne SM: "Ist ja besser, du fickst ihn als er dich.”

Sie hatte noch nie eine gefährliche Situation mit einem Freier, sagt Eva. Sie sagt aber auch: Sie mache gern SM. "Ist ja besser, du fickst ihn als er dich.” Dass sie sich beim KVR anmelden musste, sei kein Problem gewesen. Auch andere Frauen in dem Bordell sagen, das sei okay so. Manche wundern sich, warum diese Frage überhaupt kommt.

Johanna Weber sieht das anders. Sie ist Sprecherin des "Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen". Seit über zehn Jahren arbeitet sie in München als Domina. "Prostituiertenschutzgesetz - das klingt so toll", sagt die 55-Jährige am Telefon. Aber tatsächlich führe der Zwang, dass sich Sexarbeitende anmelden und die Papiere mitführen müssen, nur dazu, dass viele lieber illegal arbeiten. "Viele wollen den Job nur vorübergehend machen”, sagt Weber. "Sie haben Angst, wenn sie sich bei einer Behörde registrieren müssen, dass sie für immer als Hure gebrandmarkt sind.”

Experten schätzen, dass nur gut die Hälfte aller Prostutierten in München angemeldet sind

Tatsächlich arbeiteten laut Polizei vor zehn Jahren, also bevor das Gesetz in Kraft trat, 2760 Sexarbeitende legal in München, heute sind es gut 1000 Personen weniger. Ob diese Menschen nun illegal arbeiten? Die Polizei kann nicht sagen, wie groß die Dunkelziffer ist. Johanna Weber schätzt, dass gut die Hälfte der Prostituierten in München offiziell angemeldet ist.

Kontrollieren, meint Weber, können die Behörden ohnehin nur die Bordelle - und das führe dazu, dass immer mehr Frauen zu Hause oder im Hotel arbeiten oder die Freier besuchen. "Vereinzelung" nennt Weber dieses Phänomen, aus ihrer Sicht ist es ein Problem. Im Bordell sei es sicherer, außerdem sei der Austausch mit Kollegen wichtig. "Man muss nicht jeden Fehler selber machen. Von den anderen bekommt man wertvolle Tipps - und Supervision.” Damit meint sie: Wenn es mit einem Freier Probleme gab, muss man drüber sprechen. "Mit wem soll man das sonst tun? Mit der Mutter? Dem Partner?", fragt sie.

Eine Sprecherin der Sexarbeiterinen fordert, dass der "Hurenpass" wegfallen muss

Momentan evaluiert das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen die Folgen des Prostituiertenschutzgesetzes. Im Juli 2025 sollen Ergebnisse vorliegen. Der Bundestag soll dann entscheiden, ob er das Gesetz reformiert. Johanna Weber wünscht sich, dass die Anmeldungspflicht beim KVR - sie nennt es "Hurenpass" - wegfällt. Sie hält es für sinnvoller, wenn stattdessen mehr Geld in aufsuchende Beratung fließt.

Am liebsten wäre ihr "eine Welt, in der ein Kind offen sagen kann: Meine Mutter ist Sexarbeiterin - ohne dafür verprügelt zu werden”, meint Weber. "Aber ich glaube nicht, dass ich das noch erlebe.”