Bayern

80. Jahrestag der Weißen Rose: "Handeln wurde notwendig"

Am 22. Februar 1943 sind drei Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose hingerichtet worden: Hans (24) und Sophie Scholl (21) und ihr Freund Christoph Probst (23). Was von ihnen bleibt.


Sophie Scholl mit ihrem Bruder Hans (l.) und Christoph Probst

Sophie Scholl mit ihrem Bruder Hans (l.) und Christoph Probst

Von Nina Job

München - Von den Weggefährten, die heute noch aus eigenem Erleben über die Mitglieder der Weißen Rose berichten könnten, ist niemand mehr da. Nur Traute Lafrenz, die einst eine Liebesbeziehung mit Hans Scholl hatte, ist noch am Leben. Doch sie ist mittlerweile 103 Jahre alt, lebt völlig zurückgezogen in South Carolina. Mails an sie, berichtet die Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung Hildegard Kronawitter (76), kommen seit ein paar Wochen als unzustellbar zurück.

Heute vor genau 80 Jahren wurden die Studenten Hans und Sophie Scholl und ihr Freund Christoph Probst von der NS-Justiz zum Tode verurteilt und vier Stunden später in Stadelheim mit dem Fallbeil hingerichtet. Vier Tage, nachdem der Hausmeister der Uni sie mit Flugblättern erwischt und an die Gestapo verraten hatte. Die drei waren die ersten Mitglieder der Weißen Rose, die ermordet wurden. Wenige Monate später wurden Kurt Huber, Alexander Schmorell, Willi Graf und Hans Leipelt hingerichtet.

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23. Juli 1942: Sophie Scholl verabschiedet ihre Freunde, die zum Sanitätsdienst an die Ostfront (Russland) abkommandiert worden sind.

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Hildegard Kronawitter in der Gedenkstätte am Lichthof im Hauptgebäude der LMU.

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Bodendenkmal: Vor der LMU erinnern Flugblätter an die Gruppe.

Die AZ hat Hildegard Kronawitter, die Witwe des langjährigen SPD-Oberbürgermeisters Georg Kronawitter († 2016), in der "DenkStätte" in der Ludwigs-Maximilians-Universität getroffen. Die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin war maßgeblich daran beteiligt, dass heute eine Büste von Sophie Scholl im Ruhmestempel Walhalla steht.

Seit 14 Jahren ist Kronawitter Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung, die mit einer Dauerausstellung in der LMU an die Widerstandsgruppe erinnert. Die Denkstätte ist direkt am Lichthof, wo die Geschwister Scholl einst ihre Flugblätter von der Balustrade warfen.

Die Ausstellung wird vor allem von jungen Menschen besucht.

AZ: Frau Kronawitter, die Gestapo war der Weißen Rose im Februar 1943 schon auf den Fersen. Sie suchte nach der Gruppe, die bereits sechs Flugblätter gegen Hitler verbreitet und Häuserwände besprüht hatte. Woher nahmen die jungen Leute ihren großen Mut?
HILDEGARD KRONAWITTER: Wir können nur spekulieren. Aber es gibt von allen Äußerungen, dass ihnen Kritik allein nicht mehr ausreichend schien und für sie persönliches Handeln notwendig wurde. Sie wollten handeln, um sich nicht mitschuldig zu machen. Dies ist auch den Flugblättern zu entnehmen.

War ihnen klar, dass sie sich in Lebensgefahr brachten?
Ich glaube, sie waren sich des Todesrisikos bewusst. Sie wussten, dass die Herstellung und Verteilung und sogar die Aufbewahrung von Flugblättern mit sehr hohen Strafen belegt war. Das war schon seit 1934 der Fall und allgemein bekannt.

Welche Rolle spielte der Glaube für sie?
Festzuhalten ist sicherlich, dass es kein Christentum war, das sich explizit einzelnen Kirchen zuordnen ließ. Die Geschwister Scholl waren im evangelischen Glauben erzogen worden. Willi Graf war katholisch geprägt, aber wir würden heute wohl sagen reformkatholisch. Christoph Probst ist zunächst von der Familie völlig frei ohne Religionsbezug aufgewachsen, hat sich dann aber immer mehr dem Christentum zugeordnet. Und Professor Huber hatte einen Katholizismus, der moralisch fundiert, aber nicht streng kirchengläubig war.

Also hat ihr Glaube eine große Rolle gespielt?
Auf jeden Fall hat die Prägung ihrer Gewissen eine entscheidende Rolle gespielt.

Wie sehr kann die Weiße Rose heute noch Vorbild sein?
In unserem alltäglichen Handeln haben wir oft Situationen, wo wir uns orientieren müssen. Und auch Zivilcourage ist von uns sehr oft gefordert. Zivilcourage und Mut sind letztlich ein und dasselbe.

Die Mitglieder der Weißen Rose wurden alle geköpft. Diese Woche erscheint ein Buch über die Guillotine. Der Autor spricht von Zensur, da sie nicht ausgestellt wird. Was denken Sie?
Zensur ist mir ein zu hartes Wort. Tatsache ist: Das ist ein Objekt, das im Depot des Nationalmuseums verwahrt wird. Eigentümer ist der bayerische Staat. Er kann entscheiden, ob es gezeigt wird oder nicht. Das ist zunächst eine Abwägung museumsdidaktischer Art.

Sollte dieses Mordwerkzeug nicht gezeigt werden - als ein Teil der grausamen NS-Zeit?
Ich finde enorm wichtig, dass es hier nicht allein um die sieben ermordeten Personen von der Weißen Rose geht. Es sind knapp 1200 Personen mit der Guillotine in Stadelheim ermordet worden, darunter waren politisch Verfolgte und auch Menschen, die "Feindsender" gehört oder schwarz geschlachtet haben. Ich wünsche mir, dass man diese Personen namentlich auflistet und dazu den Anlass, den der Staat gesehen hat, um sie zu ermorden. Wenn es der geeignete Kontext ist, um Justizunrecht sichtbar zu machen, kann die Guillotine ein Objekt sein, das diese erschütternde Information dramatisiert. Aber es braucht den Rahmen.

"Der Zaun steht immer noch da"

Das heißt ausstellen ja, aber in einem größeren Kontext?
Über den Widerstand lässt sich vermitteln, was die NS-Diktatur überhaupt bedeutete. Man bringt Menschen um, wenn sie anderer Meinung sind oder vielleicht eine Änderung des politischen Systems wollen. Aber es ist ja auch diskussionsbedürftig, wenn Leute umgebracht werden vom Staat wegen Bagatelldelikten. Das sage ich mit Blick auf die NS-Zeit. Heute steht für mich Todesstrafe außerhalb jeder Diskussion, sie muss abgeschafft bleiben.

Aus der Zeit von damals gibt es noch ein Relikt: den Zaun in der Orleansstraße, an dem das wohl bekannteste Foto von der Weißen Rose entstanden ist. Es wurde viel diskutiert, was mit dem Zaun geschehen soll. Wie ist der aktuelle Stand?
Da passiert im Moment nichts. Der Zaun steht noch da, ich weiß nicht, wann Baubeginn ist. Aber der Investor ist bereit, dass der Zaun historisch-pädagogisch genutzt wird. Wir haben einen ganzen Ordner voll mit Schreiben von Gruppen, vorwiegend in Schulen, die für ihre pädagogisch-historische Arbeit gern ein Stück hätten.

Aber ein Stück bleibt stehen?
Ja, es gibt im Bebauungsplan eine spezielle Stelle, an der ein Memorial stehen soll.

Warum ist dieser Ort wichtig?
Die Fotos am Zaun sind etwas sehr besonderes: Sie sind meines Wissens die einzigen, auf dem bis auf Professor Huber alle Hauptakteure der Weißen Rose abgebildet sind. So ein Foto zu zeigen, ist doch wichtig. Und auch der Tag der Aufnahme ist besonders: Am 23. Juli 1942 wurden Sanitätssoldaten in ihren Semesterferien an die sowjetische Front gebracht. Das Foto ist eine Abschiedsszene. Auch für die Sanitätssoldaten war nicht klar, ob es gut ausgehen würde.

HORIZONTALE LINIE

Die "DenkStätte", Geschwister-Scholl-Platz 1, ist geöffnet: Mo-Fr 10.30-16.30, Sa 11.30-16 Uhr. Heute um 18 Uhr findet in der Großen Aula und im Lichthof eine szenische Lesung mit Musik zur Weißen Rose statt (Eintritt frei).